Reaktionen auf Eta-Mord

Polarisiere und verwalte

Nach der Erschießung eines Journalisten in Andoain droht den gesamtbaskischen Gesprächsforen das Aus.

gaston kirsche

Wie jeden Morgen ging José Luis L-pez de Lacalle auch am 7. Mai um kurz nach Neun zum Kiosk. Er kaufte acht Tageszeitungen und ging noch auf einen Kaffee in die Bar Elizondo. Auf dem Weg nach Hause dachte er vielleicht an seine letzte Kolumne, die am 2. Mai in der spanischen Tageszeitung El Mundo erschienen war.

Unter der Überschrift »Der nötige Wechsel« hatte er dort Neuwahlen und den Rücktritt der von der bürgerlich-nationalistischen PNV gestellten Regierung im Baskenland gefordert. Seit dem Ende der Franco-Diktatur war die Partei im Baskenland immer an der Regierung beteiligt gewesen. »Ein neues nationalistisches Bündnis kann nur Bestand haben, wenn Eta sich vom Terrorismus lossagt.« De Lacalle plädierte dafür, dass sich die verfassungstreuen spanisch-nationalen Parteien stärker auf der Straße zeigen und die Regierung übernehmen sollten. Bereits zwei Monate zuvor hatte de Lacalle geschrieben: »Das baskische Problem ist heute Eta, und der Konflikt, der die nationalistische Front beschäftigt, ist die Konsequenz ihres Aktivismus«. Als er vor seinem Hauseingang ankam, töteten ihn vier gezielte Schüssen.

Die Kleinstadt Andoain, wo de Lacalle lebte, wird regiert von dem linksnationalistischen Wahlbündnis Baskische Bürger (EH). EH distanzierte sich, wie immer, nicht von dem Anschlag. Der EH-Bürgermeister, José Antonio Barandiaran, sprach zwar bei einer Versammlung im Rathaus der Familie de Lacalles sein Beileid aus. Er fügte aber hinzu, dieser Anschlag sei eine der dramatischen Konsequenzen aus der politischen Frage, die gelöst werden müsse: Dem baskischen Volk fehle das Selbstbestimmungsrecht.

Auf diese Formulierung, mit der EH eine Distanzierung von Eta vermeidet, reagierten viele der Versammelten mit dem Ruf: »Mörder, Mörder«. Auf der anderen Seite riefen EH-Anhänger Parolen zur Solidarität mit gefangenen Etarras und für die Unabhängigkeit des Baskenlandes. Und auf der Seite der Eta-Gegner wurden Slogans laut, die ansonsten von EH und der linksnationalistisch-baskischen Bewegung kommen: »Baskenland und Revolution«. Auf Baskisch wurde gerufen: »Ihr seid Faschisten, seid Terroristen!« und auf Spanisch: »Ihr habt einen Revolutionär getötet!« Das skandierten Mitglieder der CCOO (Arbeiterkommissionen). Bei der Beerdigung am nächsten Tag bildeten 60 Mitglieder der CCOO mit erhobenen Fäusten ein Geleit für de Lacalle.

Ende der fünfziger Jahre hatte de Lacalle die CCOO im Untergrund als illegale kommunistische Gewerkschaft mitgegründet, bis zu seinem Tod blieb er Mitglied. Auch der KP Spaniens gehörte er an, fünf Jahre saß er unter Franco im Gefängnis. Die spanischen Medien - allen voran die zwar pluralistische, aber im entscheidenden Moment spanisch-nationale El Mundo - nutzten de Lacalles Biografie, Eta mit der Franco-Diktatur in Zusammenhang zu bringen: »Die Franco-Zeit hat er überlebt, aber nicht den Faschismus im Baskenland,« schrieb El Mundo.

Die spanische Rechte profitiert von dieser Verharmlosung der Franco-Diktatur. In Bilbao demonstrierten 10 000 Leute unter dem Motto: »Gegen den Faschismus - Für die Freiheit«. Besonders Funktionäre der Volkspartei (PP), die sich im spanischen Parlament bis heute weigert, die Franco-Diktatur zu verurteilen, taten sich dabei hervor. So demonstrierte der von der PP gestellte Innenminister, Jaime Mayor, gemeinsam mit den regionalen Generalsekretären der KP und den CCOO.

Eta ist an dieser Entwicklung nicht unschuldig. Mit ihrer Strategie der Polarisierung, bei der auch Leute zu Anschlagszielen werden, nur weil sie eine andere Meinung haben und mit dem spanischen Staat zusammenarbeiten, treibt Eta viele in die spanisch-nationale Ecke.

De Lacalle hatte vor sechs Jahren im Baskenland die regionale Vereinigte Linke (IU), ein Wahlbündniss um die spanische KP, mitbegründet. Er stieg dort aus, weil IU mit EH ein Bündnis einging, und gründete 1997 das Forum von Ermua mit, das zivilgesellschaftlich gegen Eta agiert. Er begrüßte es, dass der konservative Ministerpräsident Aznar das Forum besuchte und lobte. Aznars Politik der Repression wurde von de Lacelle ebenso gerechtfertigt wie dessen Weigerung, mit Eta zu verhandeln.

Anstatt darauf politisch zu reagieren, hat Eta mit dem Attentat eine militärische Antwort gewählt. Hinzu kommt, dass wenige Tage zuvor eine baskische Polarisierung eingesetzt hatte: In der linksnationalistischen Zeitung Gara waren interne Papiere aus Verhandlungen mit den Parteien der baskisch-nationalen Regionalregierung, der Baskisch-Nationalistischen Partei PNV und der Baskisch-Nationalistischen Solidaritätspartei EA, veröffentlicht worden. Eta wollte die legalistischen Parteien öffentlich vorführen.

Das gelang: PNV und EA publizierten zwar ihrerseits Briefe, aus denen hervorging, dass sie nicht bereit waren, für eine nationale Polarisierung aus der lukrativen Mitarbeit in den Institutionen des spanischen Staates auszusteigen. Aber sie wetteifern nun verstärkt mit Eta darum, wer sich mehr für einen baskischen Staat einsetzt. Seit der Erschießung von de Lacalle werden PNV und EA auch von Seiten der spanischen PP-Regierung und der sozialdemokratischen PSOE unter Druck gesetzt: PP und PSOE verweigern nahezu jeden Kontakt mit der Begründung, dass sie sich zuerst von Eta und der ihr nahe stehenden Partei EH distanzieren müssten.

Der Chef der baskischen Regionalregierung, Juan José Ibarretxe (PNV) erklärte denn auch am 12. Mai das Ende jeder Zusammenarbeit mit EH: »Solange Eta aktiv ist, werden die Parteien der baskischen Regierung nirgendwo mit der nationalistischen Linken zusammenarbeiten. Nicht in Lizarra und auch an keinem anderen Ort.« Alle gemeinsamen Foren würden so lange ruhen, bis Eta eine neue Waffenruhe erkläre.

Dies gilt auch für den ständigen Ausschuss des Vertrages von Lizarra, in dem sich alle größeren baskischen Organisationen für das Selbstbestimmungsrecht der baskischen Bevölkerung einsetzen. Und auch die aus dem Vertrag von Lizarra Anfang 1999 hervorgegangene erste proto-staatliche Institution ist betroffen: Udalbiltza, die Versammlung baskischer Kommunalabgeordneter. Bei ihrer zweiten Hauptversammlung im September nahmen mehr als 1800 Funktionäre aus dem baskischen Autonomiegebiet Spaniens, der spanischen Region Navarra sowie aus dem französischen Baskenland teil: Das Territorium, für dessen institutionelle Einheit Eta kämpft.

Ohne die Teilnahme von PNV und EA ist die für den 27. Mai angesetzte dritte Hauptversammlung von Udalbiltza zum Scheitern verurteilt. Das weiß auch Eta, die sich am 17. Mai mit einem Interview in der baskisch-sprachigen Tageszeitung Euskaldunon Egunkaria zu Wort meldete. Der politische Prozess im Baskenland sei offen und auf einem guten Weg, PNV und EA könnten ihnen jederzeit Vorschläge unterbreiten. Die Lage sei besser als vor zwei Jahren, nationaler Aufbau möglich: Die Entwicklung von Udalbiltza werde als Konsequenz die nationalen Institutionen und Strukturen schaffen, mit denen das baskische Volk selbst entscheiden könne. Damit sei Eta näher an der Aufgabe des bewaffneten Kampfes als je zuvor.

Und auch EH ist nicht untätig - beim Kampf um eine Verwaltungsreform. Am 19. Mai forderte das Wahlbündnis: Udalbiltza solle einen baskischen Personalausweis kreieren und ausgeben - zur Vorbereitung der Wahl einer verfassunggebenden Versammlung auf dem Territorium der Autonomen Region Baskenland, Navarras und des französischen Baskenlandes.