Bundeswehr-Reform

Privat vom Staat

Scharping schlägt Weizsäcker: Der Umbau der Bundeswehr dürfte auf eine vergrößerte schnelle Eingreiftruppe samt 80000 Wehrpflichtigen hinauslaufen. Die unrentablen Unternehmensbereiche werden ausgelagert.

Die Geschichte der Bundeswehr-Reform erinnert einen mittlerweile stark an die Fabel von Hase und Igel. Allerdings sind in der aktuellen Militär-Variante bestimmt ein halbes Dutzend Igel mit von der Partie. So konnte die vor einem Jahr von Verteidigungsminister Rudolf Scharping eingesetzte zivile Wehrstrukturkommission unter Führung von Leutnant a. D. und Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker am Dienstag zwar ihre Vorschläge auf den Tisch legen.

Was die 20köpfige Truppe in ihrem 100-Seiten-Papier festschrieb, sollte Ausgangspunkt für die Neustrukturierung der Bundeswehr sein. In der Praxis aber kamen Weizsäcker und seine Mitstreiter mit ihren Überlegungen buchstäblich als Letzte ans Ziel. Tage, ja Wochen zuvor hatten Parteien und betroffene Industrieverbände mit ihren Struktur-Vorstellungen in Pressekonferenzen und Tageszeitungen »Allhier« gerufen. Ja, selbst das Weizsäcker-Konzept war von interessierter Seite schon Anfang Mai lanciert worden.

Das ist auch kein Wunder, denn die Kommission hat ein Jahr nach dem ersten Interventionskrieg mit bundesdeutscher Beteiligung die Aufgaben der deutschen Streitkräfte konsequent weitergedacht - und für die Zukunft die nach wie vor andauernde Präsenz der Bundeswehr in Bosnien und im Kosovo zur Regel gemacht.

Was daraus folgt, bedroht die Anhänger der Bundeswehr in ihrer bisherigen Form. Nach dem vorgestellten Konzept soll die Manöver-Armee des Kalten Krieges zu einer international einsatzfähigen Profi-Truppe umgewandelt werden, die »nach Umfang, Struktur, Bewaffnung und Ausrüstung auf die wahrscheinlichsten Einsätze der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung vorzubereiten« ist. Denkbar wäre ein solcher Schritt auch mit den derzeit 330 000 Mann, das aber würde mit 55 Milliarden Mark pro Jahr schwer zu Buche schlagen. So empfiehlt die Kommission, die Zahl der Soldaten auf 240 000 Mann abzubauen, um Milliarden Mark in die Rüstung umzuleiten.

Der größte Teil dieser Truppe, 140 000 Mann, soll zu den weltweit einsetzbaren Krisenreaktionskräften gehören. Die allerdings werden jetzt schlicht als »Einsatzkräfte« bezeichnet. Nur noch 30 000 Soldaten würden künftig Wehrpflichtige sein - statt der heute 130 000 Mann. Faktisch wird hiermit die Wehrpflicht durch die Hintertür abgeschafft. Die Grünen und die PDS würde das freuen. Um jährlich gut drei Milliarden Mark für Investitionen in die Kasse zu bekommen, soll zudem die Zahl des Zivilpersonals von 130 000 auf 80000 verringert werden.

Für die Militärs ist dieses Konzept schlicht ein Sakrileg. Generalinspekteur Hans Peter von Kirchbach, der im Auftrag Scharpings ebenfalls ein neues Bundeswehr-Modell zu erarbeiten hatte, will die Truppe höchstens auf 290 000 Soldaten herunterfahren. Auch die Zahl der Wehrpflichtigen, die nur sieben statt zehn Monate zu dienen hätten, dürfte allenfalls auf 84 000 gedrückt werden. Die Einsatzkräfte für Missionen im Ausland sähen sie dagegen gerne auf 157 000 Mann erhöht.

In die selbe Richtung stieß letzte Woche die SPD-Fraktion mit einem Positionspapier zum Abbau der Bundeswehr auf 280 000 Mann, davon 80 000 Wehrpflichtige. Diese Zahlen sollen sich mit Vorstellungen Scharpings decken. Mit der geringen Zahl von 30 000 aus dem Weizsäcker-Konzept, so der verteidigungspolitische Sprecher Peter Zumkley, lasse sich »eine Wehrpflicht nicht allen Ernstes begründen«. Auch Spitzenpolitiker der Grünen sollen inzwischen signalisiert haben, dass sie auf ihre Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht nicht bestehen würden.

Warum dieses Pochen auf die Wehrpflicht? Ex-Generalinspekteur Klaus Naumann bestand Mitte Mai noch auf ein »gewisses Maß an Aufwuchsfähigkeit« für einen »nicht auszuschließenden Verteidigungsfall«. Konkreteres findet sich in einem bereits im April erschienenen »Wehrtechnischen Report« zur »Zukunft der Bundeswehr«, in dem sich Politiker, Militärs und wehrtechnische Industrie in die Diskussion zum Umbau der Truppe einklinkten. Gedacht ist das Papier eher für Fachleute. Hier wird die Wehrpflicht noch immer mit nicht auszuschließenden aggressiven Akten Russlands gegen die Nato begründet. »Zur Abschreckung«, so wird festgehalten, seien »etwa 50 moderne Divisionen zu veranschlagen«. Selbst wenn zuvor festgestellt wird, dass Russland derzeit mit »ca. 30 Divisionen und ca. 1 500 Kampfflugzeugen auch ohne Berücksichtigung des desolaten Zustands der Streikräfte zu einem aggressiven Verhalten im geschilderten Umfang kaum fähig« ist. Gefährlich könnte für die Nato erst eine Größenordnung von 40 bis 60 Divisionen werden, so der Fachautor. Nötig sei trotzdem eine Aufstockung der Bundeswehr auf 500 000 Mann - realisierbar nur durch die Wehrpflicht. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, hat die Wehrpflicht besonders archaische, ja reaktionäre Züge. Schließlich halten unter 19 Nato-Staaten nur noch neun an der Wehrpflicht fest - größtenteils frühere »Frontstaaten« zu Russland.

Auch Scharping hat sich übrigens mehrfach als Igel betätigt, der schneller war als Weizsäcker mit seiner Kommission. Mitte Mai wurde öffentlich, dass Scharping noch vor einer Entscheidung über die künftige Bundeswehrstruktur, die er eigentlich erst am 14. Juni im Kabinett einbringen will, Verträge aushandeln lässt, die ein klares Bild über die künftige Bundeswehr voraussetzen. So soll auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin die Beschaffung des Transporthubschraubers NH 90 zusammen mit Frankreich, Italien und den Niederlanden vereinbart werden. Ein Rüstungsprojekt mit einem Volumen von 18 Milliarden Mark. Trotz Sparzwangs will die Bundeswehr zunächst 134 Maschinen im Wert von 6,8 Milliarden Mark ordern.

Ist die ganze Kommissionsarbeit also nur Theater, eine demokratische Fassade, hinter der der Verteidigungsminister längst entschieden hat? Auch ein Vertrag mit der Post deutet in diese Richtung. Das Logistik-Unternehmen soll die gesamte Bekleidungswirtschaft der Truppe samt der 4 000 Zivilbeschäftigten übernehmen. Wie Scharping und Post-Chef Klaus Zumwinkel ankündigten, wird eine Arbeitsgruppe bis November die Organisation durchleuchten. Bei der Auslagerung verspricht sich Scharping, von bisher 600 Millionen Mark Kosten knapp 100 Millionen einzusparen. Ob solcher Ideen rief Kanzler Gerhard Schröder Anfang Mai bei der Tagung »Bundeswehr und Wirtschaft« in Berlin vor 600 Zuhörern: »Von Rudolf lernen, heißt Siegen lernen.«

Alles, was nicht zu den militärischen Kernaufgaben gehört, soll künftig kostengünstiger von Privatfirmen erledigt werden. Dadurch sollen die Betriebskosten von 13 Milliarden Mark je Jahr um 20 Prozent gesenkt werden. Die eingesparten 2,6 Milliarden werden für neue Bewaffnung ausgegeben. Selbst das so genannte Gefechtsübungszentrum für Panzereinheiten in der Colbitz-Letzlinger Heide soll im Rahmen eines privaten Betreibermodells die Betriebskosten minimieren. Gut 500 Firmen sollen bis Ende 2000 für Privatisierungen gewonnen werden.

Der frühere Vorsitzende von Daimler-Benz, Helmut Werner, soll nach Scharpings Wunsch Aufsichtsratsvorsitzender einer »Agentur für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb« werden. Diese GmbH soll die Truppe beraten, wie Betrieb und Beschaffung am effizientesten zu organisieren sind. Als Geschäftsführerin dieser Agentur agiert Scharpings Parteifreundin Annette Fugmann-Heesing. Der Name der Berliner Finanzsenatorin ist mit knallharten Privatisierungen verbunden.

Dass Scharping die Eckpunkte des Umbaus bereits am 21. oder gar am 14. Juni im Kabinett durchbringen will, hat wohl seine Gründe. Denn die radikalste Entscheidung der letzten Jahrzehnte für den Umbau der Truppe dürfte sich eigentlich nicht bereits nach drei oder vier Wochen Diskussion durchziehen lassen. So hat Scharping schon vor einem Jahr betont, dass allein er - unabhängig von den Konzepten anderer - selbst entscheiden wird. Das Ergebnis der Theatervorstellung wird wohl die von Weizsäcker vorgeschlagene Profi-Interventionstruppe für Auslandseinsätze mit zusätzlichen 80 000 Wehrpflichtigen sein. Das aber wird teuer.