100 Tage Widerstand gegen Schwarz-Blau in Österreich

Schulterschluss der Staatsbürger

Was mit Aufmüpfigkeit begann, hat sich in verletzten Patriotismus verflüchtigt: Nach 100 Tagen Blau-Schwarz hat sich in Österreich die Normalität gegen alle Widerstände durchgesetzt.

Vor rund 100 Tagen wurde ein weiteres Kapitel österreichischer Nach-NS-Geschichte eröffnet. Die von ihrem eigenen Überflüssigwerden gebeutelte ÖVP bildete eine Regierungskoalition mit der österreichischen Volksbewegung des Dritten Weges, kurz FPÖ.

Die Reaktionen darauf waren für die vom postfaschistischen Konsens geprägte österreichische Gesellschaft unerwartet heftig: ein die Regierung unverhohlen ablehnender Bundespräsident sowie spontane Demonstrationen, die die Etablierung einer so genannten Widerstandsbewegung zur Folge hatten. Auch die EU-Partner reagierten einigermaßen schockiert über die Regierungsbeteiligung einer offen antieuropäisch und rassistisch auftretenden Partei.

Aus der Widerstandsbewegung wurde mittlerweile ein wöchentlich stattfindendes Demonstrationsritual und in der EU wird immer offener darüber diskutiert, die anfänglich verhängten Einschränkungen der bilateralen Beziehungen wieder aufzuheben. Eine Farce steuert auf ihren letzten Akt zu.

Die anfängliche Spontaneität der Demonstrationen, die mit einer für österreichische Verhältnisse geradezu unglaublichen Aufmüpfigkeit einherging, verlor sich bereits nach wenigen Tagen im Nichts. Dass es dieser Widerstandsbewegung von Anfang an nicht im Geringsten um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den österreichischen Zuständen ging, wurde bereits einen Tag nach dem Regierungsantritt deutlich.

Schon zu diesem Zeitpunkt wurden Aktionen, die sich im Zuge der ersten Demonstrationen ereignet hatten - wie etwa Eier- und Farbbeutelwürfe auf PolizistInnen oder die Besetzung des Sozialministeriums - von der Widerstandsbewegung Seite an Seite mit den Medien und der Regierung als nicht tolerierbare Gewaltexzesse und als Angriffe auf den Rechtsstaat inkriminiert. Diese spontane Allianz ließ hervortreten, dass der Inhalt des breiten Widerstands nichts als verletzter Patriotismus war, und es wurde klar, dass es der Mehrheit der Widerstandsbewegung lediglich darum ging, sich als das andere, bessere Österreich darzustellen.

Dass der Kampf gegen die »Verhaiderung des Landes« immer schon ein Kampf für Österreich war, manifestierte sich bereits in den Reaktionen auf die Nationalratswahl am 3. Oktober. So waren die Protestveranstaltungen, die unter dem Motto »Menschenrechtruck statt Rechtsruck« eine demokratische Offensive forderten, nur das Abfeiern der moralischen Gemeinschaft des »anderen Österreichs«.

Das intellektuelle Rüstzeug, das dabei gegen die FPÖ in Anschlag gebracht wurde, könnte direkt deren Parteiprogramm entnommen sein. Die Forderung nach mehr Zivilgesellschaft und direkter Demokratie, die Haider und seine GegenerInnen abgesehen von allen oberflächlichen Differenzen eint, zielt auf die Ersetzung der parlamentarisch repräsentativen Demokratie durch die distanzlose Nestwärme völkischer Mitbestimmung. Die StaatsbürgerInnen sollen unmittelbar vergemeinschaftet werden und so ihr Wohl unvermittelt mit dem der Nation in eins setzen. Das Bündnis zwischen Mob und Elite, das hier geschmiedet wird, kann nur dazu führen, den Rassismus sowie den Antisemitismus zu verstärken, da die Identifikation mit dem Kollektiv immer ein Nichtidentisches benötigt, an dem sie sich bestätigen und ausagieren kann. Genau damit ist der Zusammenhang zwischen Demokratie und nationaler Paranoia gesetzt.

Mit schlafwandlerischer Sicherheit machen österreichische StaatsbürgerInnen die Ursachen der nationalen Missstände ausfindig. Die postfaschistische Kontinuität äußert sich darin, dass die Feinde von damals auch die Feinde von heute sind. Der permanent wiederholte Hinweis, dass hinter dem Verhalten der restlichen EU-Staaten eine geheime internationale Macht stünde, die diese Verschwörung gegen Österreich ausgeheckt und durchgesetzt hätte, verweist auf den ungebrochenen Antisemitismus.

Unlängst brachte der ÖVP-Klubobmann Andreas Khol in einer Fernsehdiskussion diese Geschäftsgrundlage der österreichischen Demokratie auf den Punkt, indem er bestätigte, worüber der Mob stets schon Bescheid wusste. Als Ausgangspunkt der »Sanktionen« gegen Österreich machte er die Holocaust-Konferenz in Stockholm aus, auf der sich die »Sozialistische Internationale« getroffen hätte, um Österreich anzuschwärzen. Haider selbst gab in einem ähnlichen Zusammenhang ein Musterbeispiel an verfolgender Unschuld ab, als er augenzwinkernd, das nationale Bewusstsein Österreichs verkörpernd, anmerkte, dass nun ja wohl klar sei, woher der Antisemitismus komme.

Spiegelbildlich zum herbeihalluzinierten äußeren Feind begibt sich das Verfolgerkollektiv auf die Suche nach Verrätern im Inneren, die in vaterlandslosen Gesellen und Nestbeschmutzern ausgemacht werden. Nachdem die Oppositionsparteien, SPÖ und Grüne, auf die Forderung der Regierung nach einem »nationalen Schulterschluss« gegen die Bedrohung von außen nicht in der gewünschten Weise reagierten, waren sie von der öffentlichen Meinung mit dem Stigma des das Allgemeinwohl vernachlässigenden Verräters belegt, der sein bloßes Eigeninteresse verfolgend, aus der Lage der Nation politisches Kleingeld schlagen wolle.

Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, wenn neuerdings gesetzliche Sanktionen gegen »Abweichler« erwogen werden. Jörg Haider beschuldigte jene Politiker, die sich nicht vorbehaltlos, jedes besondere Parteiinteresse vernachlässigend, hinter den nationalen Konsens stellen, des Bruchs ihres Treuegelöbnisses, auf den der Verlust der Funktion zu folgen habe. Mit dem demokratischen Ideal, dass alle ÖsterreicherInnen treue StaatsbürgerInnen sein sollen, soll Ernst gemacht werden: Es gibt keine Parteien mehr, nur noch das österreichische Kollektiv.

Diesen gesellschaftlich objektiven Tatbestand will die Widerstandsbewegung nicht kritisieren. Die Intimität der demokratischen Volksgemeinschaft (vgl. Gerhard Scheit, Jungle World, 16/00) ist ihr kein Thema. Stattdessen möchte sie unentwegt das Volk gegen die Regierung mobilisieren, indem sie jenem vorrechnet, wie diese mittels Sozialabbau gegen es vorgehe. Dabei ignorieren die demokratischen und linken KritikerInnen permanent das Bündnis zwischen Elite und Mob, dem schon lange bekannt ist, dass die Rettung des Sozialstaates nur über dessen Demontage zu haben ist.

Dem staats- und kapitalfetischistischen Bewusstsein ist der defizitäre Wohlfahrtsstaat längst ein Dorn im Auge. Er wird als äußerlicher Störenfried wahrgenommen, der die produktiven Fähigkeiten der Gesellschaft hemme. Das Bedürfnis nach Zivilgesellschaft jenseits formaler Staatlichkeit, das jene demokratischen KritikerInnen hochhalten, ist exakt diesem Transformationsprozess geschuldet, ohne dass sie dies reflektieren könnten. Auch hier wird offenbar, wie wenig sich Kritik und Gegenstand der Kritik unterscheiden.

Diesem autoritären Aufstand gegen die Parteiendemokratie ist Rassismus zwangsläufig eingeschrieben. Den linken Teilen der Widerstandsbewegung stellt sich dieser jedoch lediglich als bewusste Propaganda der »Herrschenden« zur Ablenkung und zum Zwecke der Spaltung des Volkes bzw. der Unterdrückten dar. Auch sie wollen von der grundsätzlichen Verfasstheit der postnationalsozialistischen Demokratie Österreichs nichts wissen. Spätestens seit dem gemeinsam verübten Verbrechen und seinem kollektiven Beschweigen nach 1945 kann von einem Gegensatz zwischen Volk und Führung jedoch keine Rede mehr sein. Wer permanent vom Sozialabbau redet, will von der Volksgemeinschaft schweigen.

Der linke Hausverstand, der noch immer vom österreichischen Proletariat als Opfer spricht, kann die klassenübergreifende Paranoia des Rassismus nicht begreifen. Diese bricht sich in Österreich in einer Hetzkampagne gegen ausländische Drogendealer Bahn. Der Slogan »Keine Gnade für Drogendealer«, den die FPÖ im Wahlkampf plakatierte, wird seit Regierungsantritt in die Tat umgesetzt.

Dem Ressentiment, dem nun freier Lauf gelassen wird, sind seit dem 3. Mai drei Nicht-Österreicher zum Opfer gefallen. In Zusammenhang mit Drogendelikten kam es zu mysteriösen Todesfällen im Zuge von Polizeiaktionen bzw. in Polizeigewahrsam. Die öffentliche Meinung, die Ausländer zunehmend nur noch als kriminelle Elemente und Drogendealer wahrnimmt, stößt sich nicht sonderlich daran, sondern befürwortet dieses Vorgehen und schreibt die Schuld für ihren Tod den Ermordeten selbst zu.

Mit einem repressiven Vorgehen gegen die bestehende Widerstandsbewegung ist wegen der Gemeinsamkeiten kaum zu rechnen. Hingegen werden alle Bestrebungen, die über zivile Gemütlichkeit hinausgehen, mit zunehmender Kriminalisierung rechnen müssen. Versuche dazu lassen sich bereits erkennen.

So wurde eine spontane Demonstration am 20. Mai, die sich gegen die Erschießung eines als Drogendealer verdächtigten Migranten durch die Wiener Polizei richtete, von dieser angegriffen und über Stunden unter Schlagstockeinsatz eingekesselt. Da bei dieser Gelegenheit nur der österreichische Rechtsstaat für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Einsatz war, ist mit einer Infragestellung der österreichischen Normalität wohl nicht zu rechnen.