Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea

Horror am Horn

Äthiopien will mit seinem militärischen Vormarsch in Eritrea irreversible Fakten schaffen. Nebenbei wird in Algier verhandelt.

Äthiopien muss weniger Geld in die Verteidigung und mehr in die Entwicklung investieren«, forderte der äthiopische Präsident Meles Zenawi vor einigen Wochen. »Das können wir nur durch eine Beendigung des Krieges mit Eritrea erreichen.« Was Zenawi meinte, wurde am Morgen des 12. Mai klar. Nach zehn Monaten relativer Ruhe an der 800 Kilometer langen Front eskalierte der Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea stärker als je zuvor. Die neue Offensive begann inmitten einer Hungersnot, die rund 13 Millionen Menschen am Horn von Afrika bedroht. Zenawi erklärte hierzu: »Äthiopier brauchen keinen vollen Magen, um ihr Land zu verteidigen.«

Die Offensive kam nicht unerwartet. Seit Beginn des Krieges im Mai 1998 wurden drei Friedensabkommen unterzeichnet, ohne dass der Frieden näher rückte. Beide Staaten beschuldigen sich gegenseitig, den Krieg provoziert zu haben. Anfang Mai scheiterten von der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) betriebene »Annäherungsgespräche«. Bereits im April konnte man in Äthiopien beobachten, wie Verstärkung an die Front gekarrt wurde.

Nach Siegen an mehreren Frontabschnitten erklärte sich die äthiopische Regierung vergangene Woche zum Sieger des Krieges. Auf den Straßen Addis Abebas feierten einige Tausend Menschen. Am Wochenende setzten die äthiopischen Truppen ihren Vormarsch in Eritrea fort. Eine Waffenruhe lehnte die Regierung ab.

Eritrea wiederum kündigte an, sich aus eroberten Gebieten zurückziehen zu wollen - das sei aber keinesfalls als Kapitulation zu verstehen. Beim letzten freiwilligen Rückzug war die eritreische Armee hinterrücks angegriffen worden. Und Eritrea zeigte Misstrauen gegenüber äthiopischen Ansprüchen auf »souveränes äthiopisches Territorium«. Schließlich ist der Grenzverlauf strittig. Gemäß dem dritten Friedensabkommen sollte der endgültige Status der umstrittenen Gebiete erst nach Einsetzung einer Truppe afrikanischer Peacekeepers und einer unabhängigen Bestimmung des Grenzverlaufs festgelegt werden. Ab Montag dieser Woche sollten in Algier indirekte Gespräche zwischen Äthiopien und Eritrea stattfinden. Weitergekämpft wurde dennoch. Äthiopien setzt offensichtlich darauf, am Boden Fakten zu schaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Seine Wurzeln hat der Konflikt in dem dreißigjährigen Unabhängigkeitskrieg Eritreas, das bis 1991 eine Provinz Äthiopiens war. Die äthiopische Tigreische Volksbefreiungsfront (TPLF) und die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF) kämpften gemeinsam gegen den diktatorischen äthiopischen Staatschef Mengistu Haile Mariam, den »Roten Negus«. In den befreiten Gebieten setzten die Kämpfer eine eigene Verwaltung ein, ohne sich an die offizielle Grenzziehung zu halten. Inzwischen setzt sich die Regierung in Äthiopien mehrheitlich aus TPLF-Anhängern zusammen und beansprucht nun die Flächen, die in der Zeit des Kampfes ihrer Verwaltung unterstanden. Die EPLF-dominierte eritreische Regierung hingegen beruft sich auf von den Kolonialmächten erstellte Karten, die bis 1902 zurückdatieren, nach denen dieselben Gebiete zu Eritrea gehören.

Der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea ist zur Zeit weltweit der größte. Schätzungsweise 750 000 Soldaten sind an ihm beteiligt. In den vergangenen zwei Jahren wurden ungefähr 70 000 Menschen getötet. Und die gegenwärtige Offensive kann als die blutigste in der Geschichte des gesamten Krieges gelten, selbst vorsichtige Schätzungen sprechen von 100 000 Opfern.

Die Kriegstaktiken der beiden Gegner scheinen sich aus den Bevölkerungszahlen zu erklären: Während in Eritrea lediglich 3,5 Millionen Menschen leben, sind es in Äthiopien mehr als 60 Millionen. Entsprechend geht sich die eritreische Armee auf maximale Zerstörung mit minimalen Verlusten in den eigenen Reihen aus. Äthiopiens Soldaten dagegen stürmen, um Boden zu gewinnen, in Wellen voran, ohne Rücksicht auf Minenfelder und Beschuss aus den schwer befestigten, gegnerischen Schützengräben. Ein eritreischer Kämpfer, der 1998 an der südlichen Front in der Nähe von Assab kämpfte, beschrieb die Situation so: »Wenn wir mit dem Schießen aufhören mussten, dann nicht, weil Ziele fehlten, sondern wegen der überhitzten Gewehrläufe.«

Während ihrer noch immer anhaltenden Offensive überraschte die äthiopische Armee die eritreischen Truppen mit einer veränderten Angriffstaktik. Unter Rückgriff auf altbewährte Guerilla-Methoden durchstießen mehrere Zehntausend äthiopische Soldaten zu Fuß eine schwach verteidigte Lücke in den eritreischen Verteidigungslinien. Während eritreische Truppen damit beschäftigt waren, die Stellung im Westen zu halten, fielen die Äthiopier ihnen in den Rücken. Die Eritreer befinden sich seither auf dem Rückzug. Ihre Truppen verwandelten sich in mobile Evakuierungskräfte, die die ebenfalls fliehende Bevölkerung schützten. Etwa eine halbe Million eritreischer Zivilisten befinden sich auf der Flucht.

Mit der neuen Offensive riskiert Äthiopien internationale Isolation. In die letzten Monaten hatte Addis Abeba vor allem das Ausland für die anhaltende Hungersnot verantwortlich gemacht. Hilfsorganisationen und Uno gaben diesen Vorwurf zurück und beschuldigten die äthiopische Regierung, zu viel Geld für Waffen ausgegeben zu haben, anstatt für die eigene Bevölkerung. Während die äthiopische Regierung 200 Millionen Dollar an Nahrungsmittelhilfe einforderte, wird täglich eine Million für den Krieg ausgegeben.

Die internationalen Hilfsorganisationen erklärten, nicht noch einmal - direkt oder indirekt - durch Hilfsleistungen den Krieg unterstützen zu wollen. Sie sehen die Ernährung der hungernden Bevölkerung primär als Aufgabe der äthiopischen Regierung. Sie befürchten, dass sich ihre Erfahrungen mit Mengistu Haile Mariam wiederholen könnten. Mengistu benutzte die Hungersnot von 1984 als Waffe in seinem Krieg gegen die Guerillas in Tigre und Eritrea. Hilfsgelder flossen in Waffenkäufe, Lebensmittelspenden kamen der Verpflegung der Armee zugute. Mengistus Missbrauch war eine der Ursachen dafür, dass rund 800 000 Menschen verhungerten.

Als eines der ärmsten Länder der Erde ist Äthiopien auf Spenden angewiesen. Doch bei vielen Hilfsorganisationen scheint eine »Äthiopien-Müdigkeit« einzusetzen. Kritik aus dem Ausland am »Kampf gegen die eritreische Aggression« stößt in Addis Abeba auf Unverständnis. Präsident Zenawi erklärte: »Wir glauben nicht, dass der Schutz der eigenen Souveränität ein Privileg der reichen Ländern im Norden ist.«

Es ist unbestritten, dass der seit drei Jahren ausbleibende Regen die unmittelbare Ursache für die gegenwärtige Hungersnot ist. Zudem spielt die hohe Bevölkerungsdichte in den nördlichen Provinzen Wollo und Tigre eine Rolle. Auf den kleinen Feldern können die Bauern nicht ausreichend Nahrung für ihre Familien produzieren. »Freiwillige« Abgaben für den Krieg belasten die Landbevölkerung zusätzlich.

Neben Krieg und ausbleibendem Regen ist aber auch Zenawis Regierung für die Hungersnot mitverantwortlich. Seine Regierungspartei wird von TPLF-Mitgliedern aus der nördlichen Provinz Tigre dominiert. Nach dem Sturz Mengistus wurden unverhältnismäßig große Anteile der Entwicklungsgelder in Tigre investiert. Während dort Industrien und neue Gebäude, die offiziell alle der TPLF gehören, aus dem Boden schossen, wurde der Rest des Landes vernachlässigt. Auch der kostspielige Krieg wird in dieser Grenzregion zu Eritrea stärker als sonst im Land unterstützt. Denn in Tigre wird der Konflikt als Kampf zwischen TPLF und EPLF wahrgenommen.

Manche Beobachter vermuten hinter dem erneuten Kriegsausbruch sogar versteckte Unabhängigkeitsbestrebungen der einflussreichen äthiopischen Provinz Tigre. Schlüsselpositionen der äthiopischen Regierungspartei Äthiopische Revolutionäre Demokratische Volksfront (EPRDF) werden von Mitgliedern der TPLF aus deren ehemaligem marxistisch-leninistischen Flügel eingenommen. Hauptziel der damaligen TPLF-ML war die Unabhängigkeit eines Groß-Tigre. In den Jahren nach Mengistu verleibte sich Tigre Teile der Nachbarprovinzen Wollo und Gondar ein und grenzt nun an den Sudan. Für eine eventuelle Unabhängigkeit fehlt der Provinz nur noch ein kleiner Teil Eritreas und ein Zugang zum Meer, der eritreische Hafen Assab. Die äthiopische Regierung bezeichnet solche Überlegungen als lächerlich.