Widerstand in Österreich

Im Kaffeehaus von Kakanien

Wer die nationalen Motive der Anti-Schwarz-Blau-Bewegung kritisiert, muss zuerst die Ursprünge ihrer Entstehung reflektieren.

Vor zwei Wochen gab es Schulnoten für politische Praxis (Jungle World, 22/00): Alexander Gruber und Tobias Ofenbauer schrieben über Österreich als post-nationalsozialistische Gesellschaft. Die Widerstandsbewegung - Setzen! Sechs! - sei durch und durch nationalistisch, ja völkisch, weil sie einem naiven Begriff der Zivilgesellschaft huldige. Die Vermitteltheit repräsentativer parlamentarischer Demokratie solle durch die distanzlose Nestwärme völkischer Mitbestimmung und ein Bündnis zwischen Mob und Elite ersetzt werden.

Eine solche einfache Subsumption politischer Ereignisse unter die eigenen theoretischen Lieblingskategorien kann man affirmieren oder nicht. Sie trägt jedoch wenig dazu bei, die genauen Ursprünge der nationalen Motive der Widerstandsbewegung zu erforschen und ihre Dekonstruktion zu betreiben.

Gerade bei der Analyse einer post-nationalsozialistischen Gesellschaft ist die Art der Verarbeitung, der Verdrängung und Verschiebung rassistischer, antisemitischer und antikommunistischer Ressentiments von Bedeutung. Es geht darum, die politische Phantasmatik im Detail zu analysieren. Und die ist in Österreich, der DDR und der Bundesrepublik signifikant anders. Gehen wir kurz ein paar Stationen zurück:

Befreiungsfeier Mauthausen 1998. Bundeskanzler Viktor Klima würdigt die AntifaschistInnen und WiderstandskämpferInnen aller Parteien. Dabei vergisst er die KommunistInnen. Darauf aufmerksam gemacht, entschuldigt er sich vielmals. Es seien ja gerade die KommunistInnen gewesen, die die meisten Opfer für Österreich gebracht hätten. Einem deutschen Kommunisten steigen die Tränen in die Augen: Er wolle nur einmal erleben, dass der kommunistische Widerstand von einem deutschen Bundeskanzler öffentlich gewürdigt werde.

Befreiungsfeier Dachau 1999. Ein Überlebender des KZ Dachau stellt sich gegen die postkoloniale Propaganda der Nato. Er erklärt jedes Statement, dass mit der Bombardierung Jugoslawiens eine Lehre aus dem Nationalsozialismus gezogen werde, für unerträglich. Er wird vom versammelten Publikum ausgebuht.

Mauthausen 2000. Aus dem Steinbruch ertönt die Europahymne »Freude, schöner Götterfunke«.

Drei Szenen, die für den Umgang mit der Vergangenheit symptomatisch sind: Die bundesdeutsche Schulbuch-Geschichtsschreibung spricht zwar von der Shoah, beschreibt sie aber als unerklärlichen Ausbruch von Rassenwahn, von oben exekutiert, von den verführten Massen nicht erkannt. Aus dem Widerstand nennt sie bestenfalls noch die Weiße Rose oder den 20. Juli.

In Österreich ist die Würdigung der WiderstandskämpferInnen wesentliches Moment eines nationalen Mythos: Österreich stilisierte sich zum »ersten Opfer« des deutschen NS-Expansionsdrangs. Dafür mussten natürlich die sozialutopischen Motive und der jüdische Widerstand zu Gunsten des nationalen Pathos - »Für ein freies Österreich!« - vergessen werden. Im Nato-Land Bundesrepublik schob sich der Antikommunismus vor den Antisemitismus als offen ausgesprochenes Lieblingsressentiment. Während mit KPD-Verbot, Notstandsgesetzen und Radikalenerlass der Staatsapparat gegen links hochrüstete, unterrichteten im neutralen Österreich KommunistInnen in den Schulen oder gingen zur Polizei. Der erste Innenminister war 1945 der Kommunist Franz Honner. Gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung wurde ein strenges Verbotsgesetz erlassen.

Im Laufe dieses Jahrhunderts koexistierten und wechselten verschiedene Varianten des Nationalismus in Österreich: Die extreme Rechte war fast durchgängig deutschnational. Die Austrofaschisten Dollfuß und Schuschnigg inszenierten sich dagegen als Österreichnationalisten. Nach 1945 wurde versucht, diese Hypothek abzuschütteln und den österreichischen Nationalismus in einem Schulterschluss zwischen Klerikal-Konservativen, Sozialisten und Kommunisten zu reformulieren.

Geht man geschichtlich noch einmal zurück, wird eine lange Hegemonie des Deutschnationalismus sichtbar: Nachdem der k.u.k.-Vielvölkerstaat, Musils »Kakanien«, 1918 in Nationalstaaten aufgeteilt wurde, war die Vereinigung des mehrheitlich deutschsprachigen Restösterreichs mit Deutschland - trotz des Verbotes durch die Verträge von St. Germain - die hauptsächliche politische Vorstellung der Linken. Noch 1931 lautete die historische Perspektive der KPÖ: Österreich wird als Teil eines Sowjetdeutschlands sozialistisch. Der Vordenker der Sozialdemokratie, Otto Bauer, sah noch im Anschluss an das Deutsche Reich 1938 einen Schritt in Richtung »Befreiung des ganzen deutschen Volkes von den nationalsozialistischen Unterdrückern«.

Erst im antifaschistischen Kampf gegen den NS setzten sich die Thesen des Kommunisten Alfred Klahr über die nationale Eigenständigkeit Österreichs durch, die er der nationalen Legende nach in einer Baracke von Auschwitz verfasste. Dass dieser linke Nationalismus ebenso wie der Stalinismus und der Antisemitismus der KP niemals Thema einer Auseinandersetzung waren, ist eine der Wurzeln der nationalistischen Konstitution des Widerstandes gegen die FPÖVP-Regierung.

Die vielen österreichischen Nazis, die Braunauer und Wiener Wurzeln Hitlers, vor allem aber auch der Austrofaschismus wurden in Österreich »vergessen«. Kaum ein Wort über die Geschichte des klerikalfaschistischen Ständestaats von 1934 bis 1938, seine Funktion als Wegbereiter des Nationalsozialismus und die Rolle, die führende Politiker der Zweiten Republik dabei gespielt haben.

So formierte sich Nachkriegsösterreich als Nation des sozialen Friedens - mit vergleichsweise bis heute hohen Sozialleistungen, billigen Gemeindebauwohnungen und einem Kammernsystem, das Klassengegensätze prophylaktisch ausverhandelte.

Ein Land, in dem nicht gestreikt, der Bau von Atomkraftwerken, die Zerstörung der Hainburger Donau-Au und die Expo per Plebiszit verhindert wurden, in dem Antisemitismus und Rassismus nie Themen einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung geschweige denn Ächtung gewesen sind. Die extreme Rechte schürte faschistoide Ressentiments und die Sozialdemokratie bemühte sich beschwichtigend, sie in technokratische Politik umzusetzen.

Diese Mischung von vergleichsweise üppigem Sozialstaat für InländerInnen und schaumgebremster politischer Diskussion ist nicht zuletzt Produkt des Spagats der politischen Klasse zwischen den Kalten-Kriegs-Blöcken: eine Meisterleistung der Wiener Liebe zum Paradoxon. Radikale, eindeutige politische Identität galt eher als peinlich. Man wackelte donnerstags betroffen den Kopf auf der Veranstaltung der FreiheitskämpferInnen und ehrte sonntags die Herren vom Kameradschaftsbund.

Das Innenministerium bezuschusste einerseits die Kampagne kein mensch ist illegal, entließ Flüchtlinge aus der Schubhaft, sobald sie sich unter ein bestimmtes Gewicht gehungert hatten, gewährte gnadenhalber Asyl, wenn wirklich mal ein paar Prominente den einen oder die andere vehement unterstützten.

Andererseits setzte die SPÖ seit 1993 Punkt für Punkt die asylrechtlichen Maßstäbe der EU, die strengen Anforderungen von Bayerns Innenminister Beckstein an die Grenzsicherung wie auch den Forderungskatalog der FPÖ in der Flüchtlingspolitik um. Als Marcus Omufuma letztes Jahr bei der Abschiebung erstickt wurde, musste der sozialdemokratische Innenminister Karl Schlögl nicht zurücktreten.

Mit dem Eintritt der FPÖ in die Regierung wurde dieser gemütliche Konsens aufgekündigt. Das von der FPÖ geschürte Ressentiment gegen die Anderen, zuerst gegen die staatlich als »Volksgruppen« anerkannten nationalen Minderheiten wie die Kärtner Slowenen, dann vor allem gegen die »neuen Minderheiten« der MigrantInnen, spielt unterschwellig deutschnationale, austrofaschistische und auch nationalsozialistische Images an. Das wird gegen die Bilder eines multikulturellen Wien gesetzt.

Die Widerstandsbewegung versucht diese Entgegensetzung einfach herumzudrehen: Kakanische Vielvölkerstaatstraditionen gegen FPÖ-Ressentiment einerseits und die Verbesserung Mitteleuropas durch das Wiener Kaffeehausweltbürgertum andererseits wurden zum weiteren nationalen Identifikationsmuster für die Anti-Schwarz-Blau-Bewegung. Das setzt genauso wie die Identifikation mit der »Wertegemeinschaft der EU« auf einen Gegensatz zwischen aufgeklärtem Kosmopolitismus und dumpfem Nationalismus.

Es wird nicht erkannt, dass der aufgeklärte Kosmopolitismus, der hier gemeint ist, genauso ein Mechanismus des Ausschlusses ist, ein Euronationalismus der EU-Citoyens gegen den Rest der Welt. Und es ist natürlich die von der EU ob ihrer rechtsextremen Diktion geächtete FPÖ, die antritt, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen und die nachholende Angleichung österreichischer Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik an die EU-Norm zu vollziehen.

Dagegen eine Kampagne für Neuwahlen zu organisieren, wie sie die bürgerlich-zivilgesellschaftliche Demokratische Offensive gerade startet, ist völlig sinnlos. Sie schweigt vom institutionellen Rassismus der SPÖ, die mit einer Großrazzia und Verhaftungen letztes Jahr in die xenophobe Kampagne - Organisierte Kriminalität gleich Drogen gleich nigerianische Mafia - massiv einstieg.

Die Chance der Widerstandsbewegung gegen Schwarz-Blau läge darin, zu einer Bewegung der Dekonstruktion aller möglichen Phantasmen des Ausschlusses, des Ressentiments, der Konstitution privilegierter und »minderer« Gruppen zu werden. An ihren Rändern, vor allem durch die politischen Organisationen der MigrantInnen, wird immerhin solche Arbeit verrichtet, lauter und mehr als je zuvor in Österreich.