Affäre um iranischen Top- Agenten

Die Nachtigall aus Teheran

Ein flüchtender Top-Agent hat die iranische Regierung beschuldigt, für das Attentat in Lockerbie verantwortlich zu sein.

Die Nachtigall aus Teheran zwitschert«, spöttelten die türkischen Zeitungen nach den spektakulären Aussagen des iranischen Geheimdienst-Mitarbeiters Ahmet Behbahani beim US-Sender CBS. Der Top-Agent wird den Medien vermutlich noch viel Stoff für künftige Enthüllungs-Stories liefern. Denn seinen Äußerungen zufolge soll die iranische Regierung unter anderem für den PanAm-Anschlag über dem schottischen Lockerbie sowie für ein Attentat auf US-amerikanische Soldaten in Saudi-Arabien verantwortlich sein.

Behbahani hatte sich nach den iranischen Parlamentswahlen im Februar, die einen klaren Sieg für die den Präsidenten Mohammad Khatami unterstützenden Parteien brachte, mit seiner Familie in die Türkei abgesetzt. Dort hielt sich der iranische Geheimdienstler zunächst ohne besondere Sicherheitsmaßnahmen in einem Flüchtlingscamp auf. Doch nach dem Interview in der CBS-Sendung »60 Minutes«, das vergangene Woche im Gästehaus des Camps stattfand, gilt Behbahani in der Türkei nun als neuer Superagent und als wichtigste Informationsquelle des türkischen Geheimdienstes.

Tatsache ist bislang nur, dass Behbahani Asyl in den USA beantragen will und bereit ist, alle möglichen Auskünfte zu geben, die seinen neuen Gönnern nützlich sein könnten. Der Agent soll bislang vor allem neue Erkenntnisse über die am 21. Dezember 1988 in der PanAm-Maschine gezündete Bombe, die 270 Menschen tötete, geliefert haben. Demnach soll der Anschlag vom Iran mit Hilfe von libyschen Agenten organisiert worden sein, als Vergeltungsschlag für den Abschuss eines iranischen Airbusses 1987 durch ein US-Kriegsschiff.

Auch das Bomben-Attentat auf die US-Kaserne in Saudi-Arabien, bei dem 1996 neunzehn amerikanische Soldaten starben, soll nach Behbahanis Angaben von Teheran initiiert worden sein. Er selbst will 1989 in Wien, als Journalist getarnt, den iranischen Kurdenführer Abdul-Rahman Ghassemlu erschossen haben. Die amerikanische CIA kommentierte die Aussagen bislang mit einem lapidaren »vielleicht ja, vielleicht auch nicht« und gab nur zu bedenken, dass Ahmet Behbahani damals erst 20 Jahre alt gewesen sei.

Auch der im französischen Exil lebende erste Präsident der islamischen Republik Iran, Abolhassan Bani Sadr, schaltete sich in die Spekulationen ein. Nach seinen Informationen stehen die Mitarbeiter des früheren Geheimdienst-Oberhauptes Ali Fallahian, der auch für die Organisation der Berliner Mykonos-Morde verantwortlich gemacht wird, im Iran auf der Abschussliste. Abgeblich verfügen sie über zuviele Informationen über die Morde an Oppositionellen im Iran und im Ausland. Bani Sadr erwähnte außerdem, dass sich neben Behbahani der sehr viel wichtigere Fallahian-Mitarbeiter Hamid Ekberi ebenfalls in der Türkei aufhalte.

Diese Informationen bekommen eine besondere Brisanz vor dem Hintergrund des aktuellen Machtkampfs im Iran. Vor allem Präsident Khatami ist sehr interessiert daran, die Sünden der alten Regierung und des vor zwei Wochen zurückgetretenen Ex-Präsidenten Haschemi Rafsandschani aufzudecken, um die Konservativen zu schwächen. Diese beherrschen jedoch momentan faktisch den Staatsapparat und kontrollieren den Geheimdienst. Ein gefährliches Spiel, bei dem viele Köpfe rollen könnten. Und Behbahani wollte auf keinen Fall diesem Machtkampf zum Opfer fallen.

Kein Wunder also, dass sich die türkischen Medien mit Begeisterung auf die Behbahani-Geschichte stürzen. Zunächst wurde nach der Sendung auf CBS über die üblichen Medienkanäle suggeriert, der türkische Geheimdienst habe Behbahani bereits seit einem Monat über die Morde an Oppositionellen verhört, die vom Iran in Auftrag gegeben worden seien.

Dies passt zur bisherigen Berichterstattung, denn seit Mitte Januar, als plötzlich der Führer der türkischen Hisbollah, Hüseyin Veliodlu, in einer Villa in Istanbul entdeckt und dann auch gleich erschossen wurde, werden in den Medien ständig Szenarien kolportiert, die die Morde an Regimegegnern in der Türkei als durch den Iran initiiert erklären sollen.

Die Enthüllungen führen mittlerweile auch zu diplomatischen Verwicklungen. Der türkische Präsident Necdet Sezer erklärte nach einer Entscheidung des vom Militär dominierten Nationalen Sicherheitsrates Ende Mai, dass er einer Einladung Teherans nicht folgen werde. Der türkischen Öffentlichkeit wurde diese Nachricht wie ein Affront gegen die iranische Regierung verkauft. Dabei handelt es sich bei der Einladung nicht um einen Staatsbesuch, sondern lediglich um ein Treffen der Vereinigung für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO). An dem Treffen wird statt Sezer nun Staatsminister Mehmet Keçeçiler teilnehmen.

Der Iran reagierte bislang nur mit laschen Dementis auf die Anschuldigungen aus der Türkei. Denn Ankara und Teheran wissen, dass die Ermittlungen über die ermordeten Regimegegner vor allem dazu dienen, die innenpolitischen Kritiker ruhig zu stellen, und außenpolitisch fast keine Bedeutung haben.

Doch die mediale Inszenierung, die sowohl der türkischen wie der iranischen Regierung entgegen kommt, verpatzte überraschenderweise der Ankaraner Polizeipräsident Kemal Iskender. Als Mitglied der Delegation von Innenminister Sadettin Tantan erklärte er auf einem Flug nach Baku gegenüber türkischen Journalisten, dass die Hauptzeugen im Verfahren wegen des Mordes an dem prominenten Journalisten Ugur Mumcu von 1993 nicht ernst zu nehmen seien. Für den Anschlag waren damals religiöse Fanatiker verantwortlich gemacht worden, da Mumcu mehrere spöttische Bücher über die Verstrickung von Islamisten mit dem türkischen Staat geschrieben hatte. Die Nachricht über die zweifelhaften Zeugen sorgte in der Türkei für Schlagzeilen, denn obwohl viele Prozess-Beobachter die bisherigen Ermittlungen für unglaubwürdig hielten, wurden sie der Öffentlichkeit unter dem pathetischen Namen »Operation Hoffnung« als Jahrhundertcoup der türkischen Polizei präsentiert.

Innenminister Tantan und Ministerpräsident Bülent Ecevit, Meister in der Abgabe rührseliger Statements über die heldenhafte Arbeit der türkischen Sicherheitsbehörden, reagierten am Wochenende säuerlich. Ecevit weiß von nichts, und Tantan erklärte, dass schließlich die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führe und in der Öffentlichkeit nicht soviel darüber geredet werden sollte. Da hat er wohl auch nicht unrecht.