Adenauer-Preis für Nolte

Wo der Daumen linksradikal ist

Ernst Nolte erhält den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung.

Die Deutschland-Stiftung e.V. ist eine bemerkenswerte Versammlung nazistischer und national-, rechts-, wert- und sonstwaskonservativer Köpfe. Das Landgericht München erlaubte es vor Jahren ausdrücklich, ihren Mitbegründer, den ehemaligen Generalsekretär und Ehrenvorsitzenden Kurt Ziesel einen »notorischen Nationalsozialisten« zu nennen. Bereits seit 1931 Mitglied der NSDAP, hatte er sich als Kriegsberichterstatter und völkischer Beobachter hervorgetan.

Zum 20. Juli 1944 hatte er den Volksgenossen geschrieben: »An welchem Abgrund menschlicher Verworfenheit oder geistiger Umnachtung müssen jene Ehrgeizlinge gestanden haben, als sie, wider den Geist des ganzen Volkes sündigend, die Hand gegen den Führer erhoben! (...) Wer sich gegen den Geist des Krieges versündigt, muß vernichtet werden.« 1943 hatte er seine 22jährige österreichische Köchin wegen antideutscher Äußerungen denunziert: »Im Hinblick darauf, daß ebenso wie ich Millionen Deutsche heute Schulter an Schulter, ganz gleich aus welchem Gau sie kommen, ihr Leben einsetzen, bin ich als Frontsoldat der Ansicht, daß derartige Haßausbrüche gegen Großdeutschland und die Volksgenossen aus dem Altreich eine Gesinnung verraten, die für das Konzentrationslager reif ist.«

Nach dem Krieg widmete er sich dem Kampf gegen Gottlosigkeit und Wertezerfall, gegen das linke Meinungskartell und den spirituellen Selbstmord der Deutschen, für Freiheit, Verantwortung und eine homogene deutsche Kultur. Diesen Kampf kämpfte er in besagter Stiftung, deren Patron er bis heute blieb, im Deutschland-Magazin und in der National-Zeitung. Edmund Stoiber und Helmut Kohl dankten ihm bei Gelegenheit für seinen jahrzehntelangen unermüdlichen Einsatz.

Ziesels Stiftung spendierte einen dreifachen »Konrad-Adenauer-Preis« für Wissenschaft, Literatur und Publizistik sowie einen »Freiheitspreis« und beehrte nach und nach u.a. Armin Mohler, William S. Schlamm, Matthias Walden, Gerhard Löwenthal, Axel Springer und Alfred Dregger. Als Wolfgang Schäuble ausgezeichnet wurde, sprach Angela Merkel die Laudatio, von der diesjährigen Wahl distanzierte sie sich wegen »persönlicher Schwierigkeiten« mit einem der Preisträger.

Der ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz und Bernhard Vogel, der thüringische Ministerpräsident, haben solche Probleme offenbar nicht: Sie sitzen im Vorstand der Stiftung und müssen, da die Entscheidung einhellig fiel, für Otfried Preußler und Ernst Nolte gestimmt haben.

Das war nun ein Skandal. Wieder einmal wurde ruchbar, dass die CDU sich um ihren antitotalitären Rand wenig sorgt und da, wo der Daumen linksradikal ist, allerhand herzliche Beziehungen unterhält. Und es erging die Aufforderung, sie möge im Zuge ihrer umjubelten Erneuerung nun endlich auch an Backbord die Schotten dicht machen. Man wird es aber nicht erleben.

Und einen neuen Historikerstreit, der von einigen Kommentatoren geweissagt wurde, auch nicht. Denn Ernst Nolte hat sich inzwischen längst ins wissenschaftliche Abseits begeben, seine Äußerungen werden außerhalb der FAZ, die noch zu retten versucht, was nicht zu retten ist, nur als peinliche Kuriositäten registriert. 1986 veröffentlichte eben jene Zeitung einen für die Frankfurter Römerberggespräche verfassten, aber zurückgewiesenen Vortrag Noltes: »Vergangenheit, die nicht vergehen will«. Darin behauptete er, zwischen dem »roten Terror« in der Sowjetunion und den Verbrechen der Nazis bestehe ein kausaler Zusammenhang: »Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine 'asiatische' Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer 'asiatischen' Tat betrachteten? War nicht der 'Archipel GULag' ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten?« Diese Fragen, sobald sie einmal gestellt waren, beantworteten sich von selbst, denn »sie beruhen auf schlichten Wahrheiten«.

Noltes Theorem vom »europäischen Bürgerkrieg«, der 1917 von der »unberechtigten« Oktoberrevolution ausgelöst worden sei und das gesamte europäische Bürgertum mit dem »Klassenmord« bedroht habe, insinuierte die Folgerung, die Nazis hätten auf der historisch richtigen und schließlich siegreichen Seite gekämpft. Was aber hatten die Juden damit zu schaffen?

Ganz einfach: Der »jüdische Bolschewismus«, eine Wahnvorstellung Hitlers, der Nolte einen »rationalen Kern« nicht absprechen konnte, machte sie zu Kombattanten. Nolte hielt es für erwägenswert, ob nicht die Juden Deutschland den Krieg erklärten, als Chaim Weizmann sie aufforderte, sich an die Seite der Alliierten zu stellen, und ob sie nicht deshalb mit einigem Recht in Konzentrationslager gesperrt wurden.

1994 mochte Nolte nicht mehr ausschließen, dass erheblich weniger jüdische Opfer der Nazis an Gas gestorben seien als an Seuchen, schlechter Behandlung und durch Massenerschießungen, und er ventilierte die Frage, ob Gas nicht ein »humaneres« Mordinstrument sei als Hunger. Die Leugnung des Holocaust zu bestrafen, nannte Nolte einen Angriff auf die »geistige Freiheit«. Er forderte »Tabufreiheit im Umgang mit der Geschichte des Dritten Reichs« und bescheinigte manchem »Zweifler am Holocaust«, dass er »die Dinge mit so viel Kenntnis und Argumenten behandelt, dass man das nicht durch Schweigen aus der Welt schaffen soll«.

Diesen Mann mit einem »Konrad-Adenauer-Preis« zu behängen, war skandalös genug. Den »Skandal im Skandal« aber geißelte die Süddeutsche Zeitung, als der Name des Festredners bekannt wurde. Professor Horst Möller antwortete mit der Beteuerung, er werde als Privatmann loben, nicht als Direktor des Instituts für Zeitgeschichte - was ihm aber niemand glauben mochte, denn Möller kann zwar zu allen möglichen Themen eine private Meinung haben, nur nicht zu historischen, und der Privatmann wäre kaum von Ziesels Stiftung eingeladen worden, wäre er in seinem Amt kein Direktor.

Schon während des Historikerstreits verteidigte Möller sich, seine Kollegen und namentlich Nolte gegen Jürgen Habermas, der in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung seit der politischen Wende von 1982 »apologetische Tendenzen« in der Bewertung des Nationalsozialismus auszumachen glaubte, nämlich revisionistische Versuche konservativer Historiker, die Nazi-Verbrechen zu relativieren und Auschwitz »auf das Format einer technischen Innovation« zu verkleinern. Möller widersprach: »Habermas selbst und nicht wenige, die ihm folgen, interessieren sich allerdings für die geschichtswissenschaftliche Problematik überhaupt nicht, sondern sind offensichtlich von politischen Motiven geleitet: Sie wollen eine tatsächlich nicht existierende 'Wendehistorie' entlarven. (...) Der Versuch von Habermas, ein bestimmtes Geschichtsbild über die Geschichte nach 1933 aus gesellschaftspolitischen Motiven festzuschreiben, ist ein Mißverständnis des pluralistischen Charakters der bundesrepublikanischen Wissenschaft und ignoriert das grundgesetzliche Gebot der Wissenschaftsfreiheit.«

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass eine »Wendehistorie« sehr wohl existiert und dass Möller einer ihrer Vertreter ist. Heftig kritisierte er »die in den letzten Jahren die Gemüter erhitzende mißlungene sog. Wehrmachtsausstellung«, weil sie historische Dokumente, nämlich Fotos, »zum Mittel der Agitation« missbraucht habe.

Wie man es richtig macht, demonstrierte die von Möllers Institut konzipierte Ausstellung auf dem Obersalzberg. Zahlreiche Fotos zeigen Hitler und ein kleines blondes deutsches Mädel namens Bernile. Was der Betrachter nicht ahnen kann und was ihm erst der wissenschaftliche Begleittext verrät: Bernile war nach den Kategorien der Nürnberger Rassengesetze eine so genannte Vierteljüdin. Der Führer wusste davon, und Möller beweist nun an diesem Beispiel die ganze »Heuchelei des Regimes und Hitlers«. Nein, er meint es nicht, sagt es aber trotzdem: Hitler hätte an Glaubwürdigkeit gewonnen, wenn er Bernile nicht hätte fotografieren, sondern ermorden lassen.

Den eigentlichen Gegenstand der revisionistischen Bemühungen Möllers bildet allerdings die westdeutsche Nachkriegsgeschichte: »Wie kaum ein Staat zuvor entstand - und stand - die Bundesrepublik im Schatten der Katastrophe, die sie nicht verursacht hatte, aber deren Erbe sie nicht ausschlagen konnte und wollte. (...) Anders als die DDR hat die Bundesrepublik von Beginn an diese Vergangenheit als Teil ihrer historisch definierten Identität begriffen und sich folglich ständig mit ihr auseinandergesetzt. Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit haben auf ihre Weise dazu beigetragen, das Bewußtsein für die nationalsozialistische Epoche der deutschen Geschichte wachzuhalten und zu schärfen.« Im Westen also alles super. Und wenn die Fakten sich dem Möllerschen Urteil widersetzen, werden sie nach Bedarf zurechtgebogen (Jungle World, 50/99).

Den Historiker Nolte loben, ohne sich mit seiner Historie gemein zu machen - dieser Schwierigkeit entging Möller, indem er ihn zum Geschichtsphilosophen beförderte. Manche frühe und manche marginale Schrift Noltes fand Möller lobenswert, seine zentrale These, der Mord an den Juden sei nur als eine Reaktion auf die vorhergehenden bolschewistischen Verbrechen erklärlich, fand Möller »zu einseitig«. So bleibt vom Historiker Nolte der »bedeutende Geschichtsdenker«. Leider ist fast alles, was er gedacht hat, falsch.