Aufschwung für den Euro-Raum

Geldregen in Europa

Was würden Sie machen, wenn Ihr Kontostand sich um den Betrag erhöhen würde, den Ihre Wohnung wert ist? »Ich fahre in Urlaub, lege mir ein neues Auto zu und kaufe meinen Käse im Ökoladen«, denken Sie sich, »aber wann passiert das schon, dass Geld vom Himmel fällt?« Es passiert tatsächlich. Nicht auf Ihrem Konto wahrscheinlich, aber bei vielen von denen, die auch vorher schon reich waren.

1996 war der Dow-Jones-Index, der die Aktienkurse der Industriewerte an der New Yorker Börse widerspiegelt, bei 6 000 Punkten. Jetzt liegt er bei 11 000 Punkten. Dieser Anstieg entspricht dem Wert aller Häuser in den Vereinigten Staaten. Von 1994 bis 1999 hat sich der Wert des Dow sogar verdreifacht. Der Wert der Technologiebörse Nasdaq ist in diesem Zeitraum sogar noch stärker gestiegen.

Was haben die Amerikaner gemacht mit dem Geldregen? Sie sind in Urlaub gefahren, haben sich ein neues Auto zugelegt und Ökokäse gekauft. Die erhöhte Nachfrage hat den Vereinigten Staaten in den neunziger Jahren ihren längsten Wirtschaftsboom im 20. Jahrhundert beschert: Elf Jahre hält er schon an.

Doch seit einem Jahr ist der Aufwärtstrend an der Wall Street vorerst beendet. Die Internet-Euphorie ist abgekühlt, und auch bei den Industriewerten setzt sich die Erkenntnis durch, dass der rasante Anstieg der Aktienkurse nicht unendlich weitergehen kann. US-Notenbankchef Alan Greenspan beteuert schon seit einiger Zeit, dass die Kurse überhöht seien.

Und immer mehr Ökonomen fragen, was passiert, wenn sie wieder sinken. Sie befürchten, dass die Konsumenten dann ihre Ausgaben verringern, was die Umsätze und Gewinne der Unternehmen reduziert und die Kurse weiter abfallen lässt - die Aufwärtsspirale könnte sich umkehren. Die Anleger könnten merken, dass langfristig an der Börse doch nicht so viel Geld zu machen ist, andere Anlageformen wieder bevorzugen und ihr Geld von den Aktienmärkten abziehen. Ein Kurssturz wäre die mögliche Folge, es käme zu einer Rezession.

Tatsächlich scheint der Boom jetzt abzuflauen. Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich und das Verbrauchervertrauen sinkt, ist aber immer noch sehr hoch. Wenn die US-Ökonomen sich über die Abkühlung freuen, mag das auf den ersten Blick verwundern. Der Grund ist, dass sie auf eine weiche Landung hoffen. Wenn die Luft langsam aus der Blase entweicht, platzt sie nicht und es kommt nicht zu einem Schock.

Das hohe US-Wirtschaftswachstum Ende 1999 hat dazu beigetragen, dass auch auf der anderen Seite des Atlantiks, in Europa, allmählich die Konjunktur angezogen hat. Der Export in die Vereinigten Staaten belebt die Produktion. Selbst in Deutschland, dessen Wirtschaftswachstum im Vergleich mit den meisten anderen EU-Ländern bisher noch bescheiden ausfiel, scheint der Aufschwung angekommen zu sein.

Verantwortlich für die guten Aussichten ist vor allem der schwache Euro. Zwar brachte er in den vergangenen Monaten die europäischen Wirtschaftspolitiker in Erklärungsnöte. Doch gleichzeitig verbilligte er die europäischen Waren und machte somit den Export-Boom überhaupt erst möglich. Steigt jedoch die Konjunktur in Europa, während der Kaufrausch zwischen New York und Seattle versiegt, spiegelt sich dies auch bald in den Wechselkursen wider. Dann würde das Anlage-Kapital aus den USA wieder über den Atlantik fließen. Und das Geld dann für die Europäer vom Himmel fallen.