Die Musik der Neuen Deutschen Härte

Gelobt sei, wer affirmiert

Die »Neue Deutsche Härte« provoziert nicht, sie ist völkisch geerdet. Und das macht sie so erfolgreich.

Gerade bei Rammstein«, behaupten Daniel Bax und Tobias Rapp in der letzten Jungle World, lasse sich vor allem eines »prächtig beobachten»: Das »Teutonen-Brimborium« der Neuen Deutschen Härte sei »kein politisches Statement, sondern eine Strategie der gezielten ästhetischen Provokation«, die auf kommerziellen Erfolg abziele. »Gelobt sei, was provoziert«, finden sie. Das ist Quatsch. »Gelobt sei, wer affirmiert« trifft es besser.

Man kann den Bandmitgliedern von Rammstein zwar schwerlich vorwerfen, Nazis zu sein, dass sie aber ausgerechnet mit Leni Riefenstahls arischen Jünglingen das Musik-Video »Stripped« aufzupeppen versuchten, ist allemal politisch. Auch wenn sich die Band dabei nichts gedacht haben will - mit den Riefenstahl-Bildern in dem Video-Clip tragen sie dazu bei, faschistische Ästhetik in Deutschland zu repopularisieren.

Damit fügen sich Rammstein - wahrscheinlich ohne dies zu wollen - einer rechtsextremen Strategie: »Das Feld von Kunst und Kultur ist alles andere als unpolitisch«, bemerkte der österreichische Neonazi Jürgen Hatzenbichler in Nation & Europa bereits 1991 und rief gleichzeitig zur Herausbildung einer rechten »Gegenkultur und Alternativkultur« auf. »Kultur« wurde kurzerhand zur »Machtfrage« erklärt, man machte die Popkultur als Kampfterrain aus. Dort würden sich »reaktionäre Ästhetik und Lebensauffassungen« (Roland Bubik in der Jungen Freiheit, 10/93) am besten unter die Leute bringen lassen.

Der rechtsextreme Kulturkampf erschöpft sich längst nicht mehr in programmatischen Absichtserklärungen, die Besetzung kultureller Räume mit reaktionären Vorstellungen und Inhalten ist in vollem Gange. Über Rammstein können sich die »echten Nazis« (Bax/Rapp) nur freuen. »Das 'Deutsche'« bei Rammstein, jubelte die Junge Freiheit vor drei Jahren, »dient als Chiffre und Symbol des Unheimlichen, auch als ironisches oder provokantes Zitat. Sie sind (...) Symptom eines ästhetischen Paradigmenwechsels, der allmählich, sehr allmählich stattfindet.«

Rammstein leistete in diesem Sinne Pionierarbeit: Mit Riefenstahl wurden Tausenden Kids die vermeintlich »positiven« Seiten des Nazismus vor die Nase gesetzt. Unter dem Label »künstlerische Freiheit« werden angebliche Tabus gebrochen. »Riefenstahls Arbeit sei ein Beispiel für gute Kunst«, zitieren Bax und Rapp ein Rammstein-Interview mit dem New Musical Express, »und daher auch nicht politisch codiert«. Hemmungslos inszenieren sich Rammstein mit solchen Statements als Rebellen: Man wolle doch lediglich der »reinen Kunst« Ehre erweisen. Dieses vorgeblich »unpolitische Rebellentum« hat mit Auflehnung gegen das »Establishment« nichts zu tun. In Deutschland, wo rechte Diskurse längst die gesellschaftliche Mitte und den popkulturellen Mainstream beherrschen, sind auch die »rechtsdrehenden Pop-Phänomene« (Rapp/Bax) der Neuen Deutschen Härte ein Teil der Mehrheitsgesellschaft. Die Neue Deutsche Härte ist zunächst einmal »Deutsch«, aber gar nicht so »Neu«.

Als »Harte« neue Deutsche steht man bei der Normalisierung des Nationalen mit an vorderster Front. Rammstein, die Böhsen Onkelz oder Joachim Witt walsern fleißig um die Wette: Man wähnt sich als verfolgte Unschuld, wettert gegen die »Nazi-Keule«, bezichtigt KritikerInnen »faschistoider Repressalien« (Joachim Witt) und ist, vor Kühnheit zitternd, patriotisch. »Pathos ist eben nicht gleich Nationalsozialismus«, gab Witt im Zillo (7-8/98) zum Besten. Bei solchen Tönen ist es kein Wunder, dass er auch im NPD-Blatt Deutsche Stimme abgefeiert wird. Sicherlich, Witt dürfte über derartige Umarmungsversuche kaum erfreut sein. Spätestens hier müsste ihm jedoch aufgehen, dass seine Ästhetik in dem »Flut»-Video mit rechtsextremen Vorstellungen kompatibel ist.

Mittlerweile schmeißen sich Nazi-Blätter wie Einheit & Kampf oder Europakreuz selbst an Bands mit hohem Reflexionsniveau wie Laibach heran. Auch Roxy Music ist nicht vor dem rechten Kulturkampf sicher - das Cover ihrer Platte »Flesh & Blood« mit den blonden speerwerfenden Frauen ziert einen Abo-Coupon der Deutschen Stimme.

Die »Tabubrüche« und »Provokationen« der Neuen Deutschen Härte im Deutschland der neunziger Jahre lassen sich vor diesem Hintergrund auch schwerlich mit denen der Punk-Revolte im England der Siebziger gleichsetzen, wie es Bax und Rapp versuchen. Die Autoren verkennen bei ihrer Argumentation (»es gab nicht wenige Punks, die mit Hakenkreuz-T-Shirts durch London liefen«) entscheidende gesellschaftliche und pophistorische Unterschiede. Siouxsie Sioux oder Sid Vicious (Sex Pistols) agierten vor einem anderen Hintergrund. Sie trugen Hakenkreuze in einem Land, das von den Nazis angegriffen worden war, nicht im Land der Täter.

Trotzdem mußte sich Siouxsie in der englischen Musikpresse dafür rechtfertigen. Nachdem bei Konzerten von Siouxsie & The Banshees Neonazis mit Hitlergrüßen auftauchten, ließ sie das Symbol fallen und ersetzte es, ähnlich unreflektiert, durch den Davidstern. Aber immerhin reagierte sie damit auf die reale rechtsextreme Problematik zu dieser Zeit in England, das Aufblühen der National Front. Die britische Pop-Szene erteilte dann mit der Rock-Against-Racism-Kampagne den Rechten eine klare Absage.

Gut zwanzig Jahre später werde auch in Deutschlands Medienöffentlichkeit »sensibel (...) auf tatsächlich rechte Sprüche« in der Popkultur reagiert, behaupten Bax und Rapp. Dies zeige nicht zuletzt das Beispiel der Band Weissglut. Es scheint, als wüssten die beiden zumindest an diesem Punkt nicht, wovon sie reden. Über drei Jahre nach dem ersten rechtslastigen Interview des ehemaligen Weissglut-Sängers Josef Klumb im Gothic-Magazin (23/95) kam dieser beim Sony-Label Dragnet / Epic unter (Jungle World, 42/98). Auch nachdem seine Verstrickungen in die braune Szene öffentlich bekannt worden waren, wurde der antisemitische Sänger immer noch von auflagenstarken Musikmagazinen wie Zillo, Rock Hard und Metal Hammer verteidigt.

Das Zillo lud ihn noch im Frühjahr 1999 zu einer Podiumsdiskussion auf das 8. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig ein. Die Veranstalter des Festivals nahmen Klumbs Projekt Von Thronstahl trotz Weissglut-Rausschmiss und namentlicher Erwähnung im VS-Bericht 1999 in das diesjährige Programm auf. Auch andere rechtsextreme Musikprojekte aus der Neo-Folk-, Dark-Wave- oder Industrial-Szene werden von der Musikpresse keineswegs boykottiert.

»Echte Nazis hören andere Musik, die mit gutem Grund indiziert ist«, wissen Bax und Rapp. Wer die Gelegenheit hatte, den Auftritt des rechtsextremen Neo-Folk-Projektes Death In June beim 9. Wave-Gotik-Treffen über Pfingsten in Leipzig zu begutachten, weiß, dass es gerade im Dark-Wave-Bereich durchaus musikalische Alternativen für »echte Nazis« gibt. Death In June spielten jahrelang das Mimikry-Spiel der »Rückkehr des Verdrängten als Travestie« (Bax/Rapp). Diese Maskerade scheinen sie nicht mehr nötig zu haben. Längst hat sich in Deutschland eine offen rechte Subkultur etabliert, die mit Fanzines, Fan-Clubs, Auftrittsmöglichkeiten, Vertrieben und Labels am Start ist. Wenn die Kids jemals »alright« waren - hier sind sie es längst nicht mehr.

Man kann es deshalb nicht mehr nur »geschmacklos finden, wenn Joachim Witt oder Rammstein mit schweren Zeichen spielen«. Von einer Strategie des »gezielten Missverständnisses« kann hierbei längst nicht mehr die Rede sein: Mag »schwere Symbolik« in der Siebziger-Jahre-Punk-Bewegung noch als mehrdeutige Provokation durchgegangen sein, die keine eindeutige politische Zuordnung erlaubte, erledigt sich diese Mehrdeutigkeit heute schon in Hinblick auf den gesellschaftspolitischen Kontext in Deutschland. Dass sich mit Nazi-Ästhetik auch prima Geld verdienen lässt, muss dazu kein Widerspruch sein: Affirmation und völkische Erdung sind der Schlüssel zum Erfolg. Wer darin noch immer Provokationen zu sehen glaubt, verkennt, dass das »Phänomen« der Neuen Deutschen Härte längst durch einen rechten Kulturkampf untermauert ist.

Hierin mag auch der Grund dafür liegen, dass ähnliche Erfolge »schon lange keiner 'linken' Band in Deutschland mehr gelungen« sind. Doch nicht nur linke Bands sind erfolglos. Die gesamte bundesdeutsche Linke ist spießig und kulturell borniert. Sie ist für niemanden mehr attraktiv. Doch das ist eine andere Diskussion.