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»Die Arbeit erledigt sich von selber, bei allen Veranstaltungen hat man freien freien Eintritt, am Ende jedes Monats landet ein hoher vierstelliger Betrag in stabilen Deutschmark auf dem Konto, dazu gibt es regelmäßig Sondervergütungen von einem ganzen Schwanz korrupter Politiker: So stellen Sie sich sicherlich das Leben eines Jungle-World-Korrespondenten in einem südosteuropäischen Land vor. Wir auch.

Leider müssen wir uns immer wieder Klagen anhören, dass die Realität ganz anders aussehe. Knallharte Recherche in Tuchfühlung mit der Realität, so dachten wir uns, ist das tägliche Brot des Journalisten. Also entsandten wir einen Sonderkorrespondenten, der die Arbeitsbedingungen unseres Griechenland-Korrepondenten Harry Ladis auskundschaften sollte.

Hören sie nun seinen Bericht: »Thessaloniki schwitzt unter einer beispiellosen Hitzewelle. Schon am frühen Morgen klettert das Thermometer über die 30-Grad-Marke. Wer kann, setzt den Fuß nur aus dem Haus, um in einem der zahlreichen Straßencafés etwas Kühlung zu suchen. Nicht so Harry Ladis. Um 9 Uhr eilt er, der sengenden Sonne ein verächtliches Lächeln entgegenschleudernd, ins Gerichtsgebäude, wo der Fall eines anarchistischen Wehrdienstverweigerers verhandelt wird. Anschließend bleibt gerade noch Zeit für etwas Büroarbeit, bis schon wieder die Journalistenpflicht ruft: eine Real-Life-Recherche in den Spelunken des Marktviertels. Das öffentliche Leben ist wegen der Hitze längst zum Erliegen gekommen, doch Ladis ist unermüdlich: 'Für heute Abend', berichtet er, 'hat sich eine halbe Million fanatischer Christen angesagt, um gegen das neue Passgesetz zu protestieren, nach dem die Religionszugehörigkeit nicht mehr im Personalausweis vermerkt werden soll. Das wird die Story der Woche, das bringe ich ganz groß raus - exklusiv für Jungle World.'

Auf dem Aristotelou-Platz im Zentrum der nordgriechischen Millionenstadt hat sich mittlerweile eine unüberschaubare Menschenmenge eingefunden, zahlreiche Priester, Möche und Nonnen darunter. Ein Erzbischof bereitet sich auf seinen Auftritt vor, die Stimmung erreicht den Siedepunkt, die Temperatur ebenfalls - Ladis ist mitten im Gewühl. Am folgenden Tag erfährt er, dass Jungle World seinen Artikel abgelehnt hat. Man könne ja nicht jede Woche über eine halbe Million fundamentalistischer Orthodoxer berichten. Ein kurzer Moment der Enttäuschung, schon stürzt sich Ladis auf sein nächstes Recherche-Objekt - den von der Terror-Gruppe '17. November' ermordeten britischen Militär-Attaché in Athen.

Ich frage ihn, was denn mit dem vierstelligen Betrag am Monatsende sei. 'Den gibt es schon', lacht Ladis, 'aber in Drachmen.'«