Debatte um Einwanderungsgesetz

Asyl auf Abruf

Der Kampf um das wirtschaftsfreundlichste Einwanderungsgesetz hat begonnen: Kommende Woche verknüpft der Bundesrat die Green-Card-Debatte mit der Einschränkung des Grundrechts auf Asyl.

Die Grünen haben allen Grund zum Jubeln. Nach dem gelungenen Atomausstieg und der umweltrettenden Ökosteuer erhält eine weitere ihrer politischen Forderungen immer prominentere Fürsprecher: Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz!

Dafür streiten nun Seit an Seit der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Manfred Kock, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann. Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans-Peter Stihl, und DGB-Chef Dieter Schulte fordern es. CDU-Chefin Angela Merkel will darüber reden, FDP-Boss Wolfgang Gerhardt ebenfalls. Und Bundesinnenminister Otto Schily ist fest entschlossen, eine »Einwanderungskommission« einzurichten, von der er sich »konkrete Vorschläge für ein neues Regelwerk« erhofft. Ein grüner Erfolg auf ganzer Linie. Welcher Öko hätte das vor zehn Jahren zu hoffen gewagt, als die Partei ihre Forderung nach offenen Grenzen auf Initiative von Daniel Cohn-Bendit zu Gunsten eines Einwanderungsgesetzes aufgab?

Doch den Erfolg verdanken sie allein ihrem Kanzler. Die Frage nach einem Einwanderungsgesetz schien eigentlich beantwortet, als Gerhard Schröder die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen 1998 mit ihrer Forderung abblitzen ließ, obwohl sich selbst ein SPD-Parteitag dafür ausgesprochen hatte. Doch mit seinem Green-Card-Vorstoß vom Frühjahr, über den kommende Woche im Bundesrat abgestimmt wird, hat die Diskussion einen völlig neuen Drive bekommen. »Bislang haben wir über Zuwanderung nur unter humanitären Gesichtspunkten diskutiert«, erläuterte der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. »Jetzt wird ganz pragmatisch diskutiert.«

Befürchteten in der Vergangenheit viele, mit einem Einwanderungsgesetz sollten nur noch die Zerlumpten aus dem Trikont die Möglichkeit erhalten, die deutschen Städte zu bevölkern und die Sozialkassen zu plündern, stellen nun sogar Christdemokraten fest: Es gibt auch gute Wirtschaftsflüchtlinge - diejenigen, die den Standort Deutschland sichern helfen. Umdenken ist angesagt bei der Union, schließlich geht es um vitale deutsche Interessen: Noch in der vergangenen Legislaturperiode hatte die FDP vergeblich versucht, dem Koalitionspartner ein Einwanderungsgesetz schmackhaft zu machen, indem sie ihren Entwurf »Zuwanderungsbegrenzungsgesetz« nannte. Ein solcher negativer Zusatz ist heute gar nicht mehr nötig, man müsse nur »klar sagen: Wen wollen wir?« meint der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz. Das sieht der bayerische CSU-Innenminister Günther Beckstein genauso: »Wir brauchen mehr Zuwanderung, die uns nützt, und weniger Zuwanderer, die uns ausnützen wollen.«

Und der Berliner Innensenator Eckhart Werthebach konstatiert: »Wer deutsche Ausländerpolitik noch immer als Reparationsleistung für die Rassenpolitik des Naziregimes begreift, darf sich nicht wundern, wenn ihm bald die Kontrolle über eine nur ideologisch motivierte Ausländerpolitik entgleitet.« Der CDU-Politiker rät seiner Partei zu einem anderen Weg: »Eine gesteuerte Zuwanderung von Ausländern einer qualifizierten, gebildeten und leistungsbereiten Mittelschicht hingegen könnte helfen, der deutschen Wohnbevölkerung die Angst zu nehmen, dass Zuwanderung nur dem Ausländer nutzt und dem Gemeinwesen schadet.« Dazu gehört für ihn auch eine Änderung des Asylrechts. Es müsse als einklagbares Individualrecht abgeschafft und stattdessen »in eine Institutionsgarantie« überführt werden. Innenminister Otto Schily hat sich in dieser Frage noch nicht entschieden. Fest steht für ihn allerdings, dass immer noch zu viele Flüchtlinge kommen, denen die Bundesrepublik kein Asyl gewähren will. »Wenn es uns gelänge, diese Zahl zu reduzieren, hätten wir Spielraum gewonnen«, weiß der Ex-RAF-Anwalt. »Wir müssen unterscheiden zwischen Zuwanderung, die die Sozialkassen erheblich belastet, und Zuwanderung, die unseren wirtschaftlichen Interessen entspricht«, differenziert Schily. Es gehe darum, »für den Staat Handlungsspielraum zurückzugewinnen, damit wir mehr Zuwanderung ermöglichen können, die unseren Interessen entspricht, und Zuwanderung verhindern, die unseren Interessen zuwiderläuft«.

Und diese Interessen bestimmt bekanntlich die Wirtschaft. So hält das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung (DIW) ein Einwanderungsgesetz für längst überfällig. »Die Probleme am Arbeitsmarkt, aber auch bei den Renten, machen eine aktive Zuwanderungspolitik notwendig«, meint DIW-Präsident Klaus Zimmermann. Allein um die Zahl der Arbeitskräfte konstant zu halten, brauche die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahrzehnt jährlich 300 000 zuwandernde Arbeitskräfte. In den zehn Jahren würden gar eine halbe Million pro Jahr benötigt. »Die Alternative für unser Rentensystem wäre, die Leistungen stark einzuschränken«, glaubt Zimmermann.

Und die Grünen? Die scheinen sich über ihren großen realpolitischen Erfolg gar nicht richtig freuen zu können. Irritiert stellen Partei-Funktionäre fest, dass sie in der neu entflammten Diskussion keine Rolle spielen. Nun versuchen sich führende Grüne mit Attacken gegen ihren ehemaligen Parteifreund Schily wieder ins Gespräch zu bringen. Der habe »das Interesse der Bundesrepublik zu wahren und nicht nur die Interessen von Wirtschaftslobbyisten wie Hans-Olaf Henkel«, kritisierte etwa die neue Vorsitzende Renate Künast. Der Sozialdemokrat dürfe nicht über den Umweg der Einwanderungsdebatte das Grundrecht auf Asyl in Frage stellen. »Für die Änderung dieses Grundrechts brauchen Schily und Schröder eine Zweidrittelmehrheit, aber dafür werden wir nicht die Finger heben«, gibt sich die Berlinerin kämpferisch. Vergangene Woche beruhigte der Bundeskanzler zunächst einmal die Grünen: »Die Möglichkeit für politisch Verfolgte, hierher zu kommen, sollte im Prinzip beibehalten werden.«

Ausdrücklich begrüßten die Grünen den Vorschlag der Regierung, »dass eine überparteiliche Kommission Vorschläge für eine moderne Einwanderungspolitik entwickeln soll«, so die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller. Wer in Schilys »Einwanderungskommission« sitzen wird, ist allerdings noch unklar. Fest steht bislang nur, dass gegen den Widerstand ihrer eigenen Partei die CDU-Bundestagsabgeordnete Rita Süssmuth den Vorsitz übernehmen soll.

Wen die Grünen entsenden werden, ist noch offen. Gerne würden sie ihre Abgeordnete Marieluise Beck schicken. Schily hält das jedoch für keinen guten Vorschlag. Verständlich. Mit der Ausländerbeauftragten müsste er sich vielleicht doch wieder über die Zerlumpten aus dem Trikont unterhalten. Und das wollen wahrscheinlich auch die grünen Minister nicht.