Gewalt gegen christliche Minderheit in Indien

Kreuzzug gegen Kreuzritter

In Indien hat das Christentum den Islam als Hauptfeind hinduistischer Nationalisten abgelöst. Die Kirchen heizen den Konflikt weiter an.

Vom Papst auf die jüngste Gewaltwelle gegen die christliche Minderheit in Indien angesprochen, gab sich Premierminister Atal Behari Vajpayee bei seinem Besuch im Vatikan vergangene Woche entschlossen. Die indische Regierung werde »alle Maßnahmen ergreifen, um eine Atmosphäre der Harmonie zwischen den Religionen herzustellen«, erwiderte der Premier. In indischen Zeitungen waren neben dieser Meldung am nächsten Tag Berichte über die Verwüstung einer Kirche im Bundesstaat Maharashtra und eines Friedhofs in Hyderabad zu lesen.

Seit etwa zwei Monaten häufen sich die Angriffe auf Christen, die am 8. Juni mit Bombenanschlägen auf vier Kirchen in drei verschiedenen Bundesstaaten ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. Bereits am Tag zuvor hatten Unbekannte einen Priester erschlagen. Als im April mehrfach Kirchenvertreter verprügelt und christliche Einrichtungen demoliert worden waren, hatte die hindu-nationalistische Regierungspartei BJP noch versucht, die Ereignisse als das Werk »gewöhnlicher Krimineller« herunterzuspielen.

Nach zwei Bombenanschlägen auf Kirchen im Bundesstaat Andhra Pradesh Ende Mai und den Explosionen im Juni entdeckte die BJP schließlich einen neuen Täter: den pakistanischen Geheimdienst ISI. Eine »Verschwörung« sei am Werk, mit dem Ziel, »Spannungen zwischen den religiösen Gemeinschaften zu erzeugen und die Regierungskoalition zu destabilisieren«, erklärte BJP-Generalsekretär Venkaiah Naidu. Innenminister Lal Krishan Advani sprach Ende vergangener Woche nebulös von »anti-indischen Elementen«, ohne Pakistan direkt zu nennen.

Die Sorge um die Regierungskoalition aus 23 höchst unterschiedlichen Parteien kommt nicht von ungefähr: Beobachter gehen davon aus, dass für die Anschläge Gruppen verantwortlich sind, die mit der BJP in Verbindung stehen. Die BJP wiederum gehört einem Geflecht von Organisationen an, die auf unterschiedlichen Ebenen die Sache der radikalen Hindu-Organisation RSS vertreten. Zum so genannten Sangh Parivar zählen eine Gewerkschaft, eine Bauernorganisation, ein Studentenverband und zahlreiche andere Organisationen.

Seit Jahren mobilisieren der Weltrat der Hindus (VHP), dessen militanter Flügel Bajrang Dal und weitere Gruppen des Sangh gegen Christen, denen sie vorwerfen, unter dem Deckmantel der Sozialarbeit Religions-Übertritte zu »erzwingen«. Die Tatsache, dass der Anteil von Christen an der Bevölkerung - derzeit etwa 2,4 Prozent - tendenziell sinkt, hält die Verbände nicht davon ab, Ängste vor einer Bedrohung des Hinduismus durch Massenkonversionen zu wecken. »Viele sind Krypto-Christen. Sie verbergen ihre Religion, sind aber übergetreten«, gab der Vizepräsident des VHP, Acharya Giriraj Kishore, unlängst zu Protokoll. Forderungen nach einem Verbot von Konversionen und spektakuläre Rückbekehrungen gehören zu den friedlicheren Mitteln der Hindu-Nationalisten.

In Gegenden, in denen der Sangh Parivar aktiv ist, kursieren Pamphlete, die zum Kampf gegen christliche Einrichtungen aufrufen. »Konversion, Eroberung, Vergewaltigung sind die Überzeugungen des Christentums«, heißt es etwa in einer Broschüre. Eine andere fordert die Leser auf, »Christen und Moslems aus diesem Land zu werfen. Der Krieg hat begonnen. Wenn Du nicht hilfst, wirst Du nicht überleben, und Indien auch nicht.«

Christliche Krankenhäuser und Schulen in entlegenen Regionen kommen häufig den kastenlosen »Unberührbaren« - den Dalits - und den Adivasis - nichthinduistischen, meist noch in Stammeszusammenhängen organisierten Bevölkerungsgruppen - zugute. Einige christliche Gruppen verfolgen aber auch eine aggressive Politik und setzen in ihrer Propaganda den Hinduismus herab. Der Prediger Ashish Prabash, der am 11. Juni ermordet wurde, war Funktionär einer Gruppe mit dem vielsagenden Namen »Indischer Kreuzzug für Christus«. Auch der Papst, der sich berufen fühlte, Vajpayee an die »indische Tradition religiöser Toleranz« zu erinnern, heizte bei seinem Indien-Besuch im vergangenen Jahr die Atmosphäre weiter an, indem er die Hoffnung aussprach, die Kirche werde »im dritten christlichen Jahrtausend eine große Ernte des Glaubens« in Asien einfahren.

Das macht es dem Sangh Parivar leicht, in die Rolle des verfolgten Verfolgers zu schlüpfen. Als Premierminis-ter Vajpayee Dezember 1998 nach schweren Gewalttaten gegen Christen die Region besuchte, in der die Übergriffe stattgefunden hatten, verknüpfte auch er die Verurteilung der Täter mit dem Ruf nach einer »nationalen Debatte über Konversionen«. Diese implizite Anklage der Opfer ist mittlerweile auch in den indischen Medien verbreitet.

Die Ideologen des Sangh haben in Indien - einem Staat, der so groß ist wie die Europäische Union und in dem unzählige Sprachen und Religionsgemeinschaften nebeneinander existieren - die Parole »eine Nation, ein Volk, eine Kultur« ausgegeben. Für sie sind Moslems und Christen Fremde, deren Loyalitäten außerhalb Indiens liegen. Der Hauptfeind Islam wurde 1998, als die BJP an die Macht gelangte, vom Christentum abgelöst. Zum einen ist die Oppositionsführerin Sonia Gandhi Katholikin, zum anderen sind Angriffe auf Muslime, die zehn Prozent der Bevölkerung stellen, risikoreich und endeten in der Vergangenheit häufig in unkontrollierbaren Krawallen mit zahlreichen Toten.

»Soweit ich weiß, hat weder der Bajrang Dal noch irgendeine andere Organisation, die mit dem RSS verbunden ist, einen kriminellen Hintergrund«, sagt Innenminister Advani, selbst ein Mitglied des RSS, in Zusammenhang mit der jüngsten Serie der Gewalt. In der Tat bestreiten die Organisationen des Sangh jegliche Beteiligung. Die Spitze des Bajrang Dal macht für die »wilden Anschuldigungen« eine christliche Diffamierungskampagne verantwortlich. Wann immer der Bajrang Dal von »Kampf« oder »Krieg« spreche, sei lediglich die Auseinandersetzung der Ideologien gemeint, so Führungsmitglied Rajendra Pankaj. Auf den unteren Ebenen klingen die Erklärungen weniger doppelbödig. In den Worten eines Bezirkschefs des Bajrang Dal: »Die Christen wollen das ganze Land an sich reißen. Welchen Sinn würde es also machen, einen oder zwei anzugreifen? Unser Ziel ist es, sie alle zu vertreiben. An dem Tag, an dem wir anfangen, sie zu jagen, werden sie sich nicht retten können.«

Ob der hinduistische Kulturkampf weiter eskalieren wird, ist derzeit nicht ausgemacht. Auf Druck der Nationalen Minderheitenkommission erklärten sich BJP und Bajrang Dal Ende vergangener Woche zu einem Treffen mit Vertretern der Kirche bereit. Das soll voraussichtlich am 11. Juli stattfinden.