Austeritätspolitik in Argentinien

Menem ohne Koteletten

Der neue argentinische Präsident De la Rœa setzt auf Kontinuität: Per Notdekret erfüllt er die Vorgaben des IWF.

Der argentinische Präsident Fernando De la Rœa und sein Regierungsbündnis Alianza sind erst ein halbes Jahr im Amt und stehen schon heftig unter Druck. Die Koalition aus Radikaler Partei und Frepaso, einer Allianz aus unabhängigen Peronisten und Sozialisten, sah sich Anfang Juni mit einem weiteren Generalstreik konfrontiert - größer und besser organisiert als der Februar-Streik gegen die Liberalisierung der Arbeitsgesetze.

Erst vergangene Woche musste De La Rœa eine weitere Niederlage hinnehmen. Ein Arbeitsrichter suspendierte das Notdekret, mit dem der Regierungschef die unpopulären Maßnahmen durchgesetzt hatte; zunächst müsse die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens überprüft werden.

Bereits im März hatte Wirtschaftsminister José Luis Machinea neue Eingriffe angekündigt, um das Haushaltsdefizit zu reduzieren. Staatsangestellten, die mehr als 1 000 Pesos (rund 1 000 Euro) verdienen, sollten demnach zwölf Prozent ihres Lohnes einbüßen; wer mehr als 6 500 Pesos bekommt, bis zu 15 Prozent. Zudem sollen nach Machinea ab Januar 2001 auch private mit den gewerkschaftlichen Krankenversicherungen konkurrieren können. Besonders hart sind die Maßnahmen für die Pensionäre, die künftig statt mindestens 150 nur noch 125 Pesos Rente erhalten sollen.

Das Maßnahmenpaket steigerte die sozialen Spannungen. Bereits im Mai hatten in verschiedenen Provinzen Straßenblockaden stattgefunden; Staatsangestellte und Beschäftigte aus privatisierten Betrieben, die seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten hatten, beteiligten sich ebenso daran wie Frauen und arbeitslose Jugendliche. Nach harten Polizeieinsätzen versprach die Alianza, die rückständigen Löhne zu bezahlen und die Wirtschaft in den Provinzen wieder anzukurbeln.

Als vorläufigen Höhepunkt der Protestbewegung organisierten die Gewerkschaften Anfang Juni - zum ersten Mal seit über zehn Jahren gemeinsam - einen Generalstreik, der in den großen Städten wie Buenos Aires, C-rdoba und Rosario eine ungewöhnlich hohe Beteiligung erreichte: zwischen 85 und 90 Prozent.

Die allgemeine Zustimmung für den Streik resultiert allerdings weniger aus einer plötzlichen Begeisterung für die Gewerkschaften, sondern aus der Enttäuschung vieler Wähler. Die Alianza hatte die Wahlen mit dem Versprechen gewonnen, sich nicht den ökonomischen Diktaten des IWF zu beugen und konsequent gegen die Korruption vorzugehen.

Aber schon im Januar wurden die Preise für Energie und Wasser erhöht, was den zuvor privatisierten Unternehmen zu Gute kommt. Im Mai wurde die Flexibilisierung der Arbeitsgesetze exakt nach den Vorgaben von IWF und Weltbank umgesetzt. Und auch die aktuellen Maßnahmen folgen demselben Weg.

Die Rechnung der Regierung ist einfach: Der Haushalt 2000 sieht - angesichts öffentlicher Ausgaben vor allem für Schuldendienst, Löhne und soziale Sicherheit - ein Defizit von rund 4,7 Milliarden Pesos vor. Da allein die Zinsen für den Schuldendienst auf neun Milliarden angesetzt sind, wird der Staat lediglich die Hälfte bezahlen können. Der Rest muss folglich durch eine rigide Sparpolitik refinanziert werden.

Doch nicht nur bei den Methoden der »Krisenbewältigung« unterscheidet sich die Mitte-Links-Regierung kaum von ihren peronistischen Vorgängern um den »Gaucho« Carlos Menem. Auch bei der Durchführung griff De La Rœa auf bewährte Rezepte zurück und verkündete die unpopulären Maßnahmen wie schon sein Vorgänger per Notdekret, was nach der Verfassung nur in Ausnahmefällen erlaubt ist.

Die Methoden der neuen Wirtschaftspolitik sind in Argentinien also bestens bekannt; ungewöhnlich ist jedoch die entschlossene Reaktion der Gewerkschaften wie etwa des Dachverbandes Confederaci-n General de Trabajo (CGT). Dieser war in den fünfziger Jahren zur größten Arbeiter-Organisation aufgestiegen und ist vor allem im Energie-Sektor und in der Metall-Branche stark vertreten. Der CGT hatte während der Re-Demokratisierung unter dem Präsidenten Raœl Alfons'n noch zahlreiche Streiks wegen der Hyperinflation organisiert, sich nach dem Machtantritt der Peronisten jedoch zurückgehalten und die Privatisierungspolitik unterstützt.

Dass der CGT nun wieder den Konflikt mit der Regierung sucht, liegt vor allem daran, dass er seine eigenen Interessen bedroht sieht: so könnte er nach der Liberalisierung der Krankenversicherung eine wichtige Einkommensquelle verlieren.

Der Mobilisierung zum Generalstreik schloss sich - und das war neu in Argentiniens zersplitterter Gewerkschaftsbewegung - eine Gruppe abtrünniger CGT-Leute an. Der Chef der Transportarbeiter-Gewerkschaft, Hugo Moyano, sowie die Confederaci-n de Trabajadores Argentinos (CTA), die zweitgrößte Organisation des Landes, riefen Anfang Juni zu einem Marsch gegen den IWF auf.

Moyano hatte die CGT im Mai verlassen, nachdem sie die Gesetze zur Flexibilisierung der Arbeit unterstützt hatte. Die CTA war die einzige vom Peronismus unabhängige Gewerkschaft, die auch zu Menem in Opposition stand.

Im Verlauf der ersten Juni-Woche erhielt die Opposition weiteren Zuwachs. Die katholische Kirche und Teile der Ultrarechten schlossen sich der Mobilisierung an: etwa Luis Patti, ein ehemaliger Polizist und Folterer, sowie Aldo Rico, ein Ex-Militär, der Putschversuche gegen Alfons'n organisiert hatte. Auch einige Abgeordnete der Regierungskoalition, mehrheitlich Sozialisten und Unabhängige, erklärten: »Wir stehen nicht in Opposition zur Regierung, wir sind kritisch regierungstreu.«

Das seltsame Bündnis aus rechten Gewerkschaftern, Folterern und Militärs brachte schließlich die CTA und Anhänger der Alianza - von denen einige unter der Diktatur selbst gefoltert worden waren - davon ab, sich bei der Großdemonstration gegen den IWF selbst zu Wort zu melden.

Die peronistische Opposition hüllt sich in Schweigen. Der Partido Justicialista, der in fast allen Provinzen die Gouverneure stellt, folgt den Forderungen des IWF und setzt in der Folge konsequent die Massenentlassungen von Staatsangestellten um.