Der Boxhagener Platz

Wo sich Hund und Herr erleichtern

Gefährliche Orte CX: Der Boxhagener Platz im Friedrichshain. Wenig Platz für viele Hunde, Kinder und Mütter - sowie andere Bedürftige.
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Die Auwahl fällt nicht schwer, wenn die 108 000 Einwohner des Bezirkes Friedrichshain zur Abwechslung mal in den Park gehen wollen. Oder zumindest dorthin, wo es nach einem Park aussieht. Das Angebot im Kiez ist recht dürftig. Die lieben Statistiker können es beweisen: In der Hauptstadt hat Friedrichshain weniger Grünfläche pro Nase vorzuweisen als die anderen 22 Bezirke.

Hier bestätigt Friedrichshain ein Vorurteil, das noch gegen jeden Großstadt-Bezirk in Anschlag gebracht werden kann: Es ist hier eher grau als grün. Und das, obwohl der Namensgeber des Bezirks ein riesiger Park ist. Aber der liegt ganz im Nordosten, gehört also fast schon zur Neuen Mitte oder zum hippen Prenzlauer Berg. Und wer südlich der Frankfurter Allee wohnt, für den ist der grüne Friedrichshain weit weg. Zu weit.

Doch zum Glück gibt es auch im ziemlich vollgebauten Südkiez eine grüne Oase - selbst wenn sie klein ist: den Boxhagener Platz. Er misst etwa 140 mal 90 Meter. Auf dieser streng rechteckigen Fläche findet sich ein Spielplatz - für Kinder -, eine große Betonwanne mit einem Wassersprenger - ebenfalls für Kinder - und eine so genannte Liegewiese - auch für Erwachsene. Einige ältere Bäume stehen herum - nicht für die Kinder, sondern für die Optik: Schließlich soll es grün aussehen auf dem Platz. Dazu kommen noch einige Bänke, ein Kiesweg und zwei Container - »nur für Dosen«.

Den Platz gibt es bereits seit dem 19. Jahrhundert. Weil die Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik etwas verbessern wollten, haben sie später noch einen Pavillon zum Eisverkaufen hinzugebaut. Der überlebte auch die Wende, musste 1994 aber, als schon lange kein Eis mehr verkauft wurde, verschwinden. Das gleiche Schicksal droht nun dem unbenutzten Pissoir.

Schuld daran ist - die Geschichte. Weil man sich schon vor hundert Jahren auf dem Boxhagener-Areal erleichterte, kehrte die Toilette bei der Umgestaltung durch den Architekten Ernst Barth 1997 zurück, historischen Entwürfen entsprechend. Zwischenzeitlich war das Klohaus - dem Denkmalschutz sei gedankt - im brandenburgischen Lauchhammer originalgetreu in Gusseisen nachgearbeitet worden. Betrachten aber kann man das historische Gebäude nur von außen, steht das Häuschen doch bar jedes Innenlebens auf dem Platz, ist also rund um die Uhr geschlossen.

Dem Bezirk fehlten vor drei Jahren die Mittel zur vollständigen Restauration. Die Friedrichshainer Verwaltung entwickelte daraufhin einen raffinierten Plan, um sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen. Die Idee: Ein Investor stattet das Pissoir neu aus - und kann es anschließend betreiben. Als Ausgleich für seinen finanziellen Aufwand darf der Geldgeber ein kleines Café eröffnen - direkt auf dem Boxhagener Platz. Aber der Investoren-Andrang um das Pinkelhaus blieb gering: Allein die Firma Wall wollte Patentschaft und Café übernehmen; unter der Bedingung, im ganzen Bezirk unentgeltliche Werbetafeln anbringen zu können. Die Verwaltung lehnte ab.

Dieses Jahr nun soll die Anlage tatsächlich in Betrieb genommen werden. Wasser- und Strom-Leitungen sind bereits gelegt, nach dreijährigem offensivem Abwarten kommt für Wartung und laufende Kosten das Bezirksamt auf.

Die Menschen, die täglich auf dem Platz verweilen - sei es, um Kinder zu hüten, Melonen zu verkaufen oder sich auf dem Flohmarkt zu tummeln -, werden also künftig darauf verzichten können, in die Büsche oder aus Protest gleich gegen das geschlossene Häuschen zu pissen: Mehr Grün gibt es dadurch schließlich auch nicht. Vermutlich wird sich die stattliche Zahl der Besucher des Boxhagener Platzes ohnehin dankbar dem Fortschritt hingeben, dafür aber auf die penetrante Geruchskulisse verzichten müssen.

Bisher kam so einiges zusammen auf dem von Kiez-Patrioten »Boxi« genannten Platz: Allein auf dem Spielplatz tummeln sich an sonnigen Tagen rund 150 Mütter und wenige Väter samt Anhang. Auf den Bänken und auf der Wiese lungern die Kinderlosen herum - vor allem donnerstags und samstags, wenn der Wochenmarkt steigt. Sonntags sorgt einer der billigsten Flohmärkte der Stadt für menschlichen Andrang.

Darüber hinaus gibt es noch Dutzende Hunde, die den Platz als kombinierte Spiel- und Scheißstätte begreifen. Nicht alle im Kiez sind darüber erfreut. Eine Initiative, die das Grün liebt und deswegen seit kurzem die Beete auf dem Platz pflegt, Unkraut jätet und Neuanpflanzungen vornimmt, sammelte binnen kurzer Zeit immerhin drei Müllsäcke voller Hunde-Exkremente zusammen.

Die Hundebesitzer lässt das kalt, sie fabulieren von einem Gewohnheitsrecht. Der »Boxi« diene seit Jahren als Hundeauslaufplatz - und daran werde sich auch nichts ändern.

Aber - wie sollte es dieser Tage anders sein - die vielen Hunde haben viele Feinde. Allen voran die gewaltige Anzahl an Müttern samt Vätern: Wenn ein Krabbelkind seinen Spieltrieb am Hund auslebt, führt das schnell zu Blessuren. Und der sichere Gören-Griff ins Hundegeschäft garantiert Geruch und Würmer. Die erregten Diskussionen mit Frauchen oder Herrchen sind zwecklos - und die Erwiderungen immer gleich: »Als mein Hund hier schon hingekackt hat, hattest du noch gar kein Kind.« Oder: »Da hast du ja noch in Bonn gewohnt.« Ende der Diskussion, Fortsetzung folgt am nächsten Sonnentag.

Neulich machte ein Gerücht die Runde: Eine Initiative No Dog, in der Zweibeiner das Recht auf ungehemmten Auslauf ihrer Spezies verteidigen, sei gegründet worden. Spannung lag in der Luft, alle warteten auf den ersten vergifteten Hund. Ein sofort gestreutes Gegengerücht ließ eine weitere Zuspitzung um den einzigen Grünplatz im Südkiez befürchten: So sei ein Verein namens Pro Dog in die Spur gegangen, den Hundehassern Einhalt zu gebieten.

Mit wenig Aussicht auf Erfolg: Denn wer keinen Hund hat, mag nicht verstehen, warum jedes zweite Tier direkt neben die menschlichen Besucher scheißt. Wiese und Gebüsch ähneln schon einer Groß-Kackzone, aber scheinbar arrangiert man sich immer doch noch irgendwie: Sonnenhungrige Studenten essen inmitten der bellenden Hundemeute ihren Falafel, rüstige Senioren mustern alles und jeden, und ganz harte Jungs liegen sogar ohne Unterlage auf der Wiese.

Denn auf dem »Boxi«, da lässt es sich doch ganz gut leben. Um die Wiese attraktiver zu machen, hatte das Natur- und Grünflächenamt vergangenes Jahr eine ganz besondere Idee: Vier Pfosten wurden eingegraben, vier Schilder angebracht, fortan hieß das wenige Grün »Liegewiese«. Und auf Liegewiesen haben Hunde nichts zu suchen.

Leider war den Tafeln nur ein kurzes Dasein beschieden. Binnen weniger Tage waren sie verschwunden - vermutlich weggebissen.