»Aids 2000« im südafrikanischen Durban

Aids ist nicht Aids

Zur XIII. Internationalen Aidskonferenz übt die südafrikanische Regierung Medizin- und Institutionskritik.

Erstmals findet die seit 1985 ausgerichtete Internationale Aids-Konferenz nicht in einem der reichen Industriestaaten der Nordhalbkugel statt. Im südafrikanischen Durban treffen sich zum 13. Aids-Kongress vom 9. bis 14. Juli 12 000 Teilnehmende: ImmunologInnen, KlinikspezialistInnen, GesundheitsarbeiterInnen, Aids-AktivistInnen, PolitikerInnen, NGO- und Medien-Leute. Neben klinischen und medizinischen Kontroversen stehen auch Debatten über Sexarbeit, Gefängnis, Gender und die Dominanz der Pharmaindustrie auf dem Plan. Es gibt Panels wie »Where are we now? Gay, Lesbian, Bisexual and Transgender Voices« und Diskussionen mit feministischen WissenschaftlerInnen wie Paula Treichler, die postkoloniale Theorie und Wissenschaftskritik in die Debatte einführen.

Die »Aids 2000« zeichnet sich noch durch eine weitere Besonderheit aus: Seit letztem Jahr verfolgt die südafrikanische Regierung eine kritische Aids-Politik, die für internationale Turbulenzen gesorgt hat. Ende 1999 hielt Präsident Thabo Mbeki eine Parlamentsrede über AZT. 1987 als erstes Aids-Medikament zugelassen, ist AZT - das ursprünglich aus der Krebsforschung stammt und Zellteilung hemmt - heute Bestandteil der modernen Dreier- und Viererkombinationen, mit denen Aids-PatientInnen in den Industrienationen behandelt werden. Mbeki wies in seiner Rede auf zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen hin, die den Einsatz von AZT kritisieren, weil das Medikament hochtoxisch wirkt. Hauptstreitpunkt war dabei, ob Schwangere mit positivem Antikörpertest mit AZT behandelt werden sollen. Die südafrikanische Regierung hat sich dagegen entschieden. Sie bezog sich dabei auch auf neuere Untersuchungen, in denen schwere Gesundheitsschäden bei Neugeborenen behandelter Mütter festgestellt wurden. Inzwischen hat sie den Einsatz des Medikaments in öffentlichen Krankenhäusern und beim Militär gestoppt.

In diesem Jahr rief Mbeki zudem eine Beratungskommission ins Leben. Dieses Presidential Aids Advisory Panel soll nicht nur die offenen Fragen zu AZT klären, sondern auch, ob Aids überhaupt durch HIV verursacht werde. Der allgemeine Konsens über dieses medizinische Dogma, der vom Wissenschaftsmainstream bis zu homosexuellen Aids-Gruppen wie einem Großteil des sehr heterogenen Act-up!-Zusammenhangs reicht, wird von Aids-kritischen WissenschaftlerInnen abgelehnt.

Anfang Mai kamen zum ersten Treffen der Beratungskommission 33 ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen nach Pretoria. Ein Drittel waren Aids-KritikerInnen. Die bekanntesten unter ihnen sind die US-Amerikaner David Rasnick, Mitarbeiter am Institut für molekulare Pharmakologie in Alameda (Kalifornien) und Peter Duesberg, Professor für Molekularbiologie in Berkeley, dessen Name zum Synonym für den festgefahrenen Streit um die Aids-Politik geworden ist. Sein autokratisches Auftreten ist genauso kritisiert worden wie die Tatsache, dass er den homophoben Effekt seiner These, Sex als Drogen-gedopten Hochleistungssport zu praktizieren habe die Immunschwäche vieler amerikanischer Schwuler mitbedingt, nicht reflektiert.

Rasnick und Duesberg sind Vorstandsmitglieder der internationalen Gruppe für die wissenschaftliche Neubewertung der HIV/Aids-Hypothese, der WissenschaftlerInnen, ÄrztInnen und JournalistInnen angehören. Sie bemühen sich seit Jahren um eine öffentliche Diskussion ihrer alternativen Erklärungsmodelle zur Entstehung von Aids.

Als prominentester Vertreter der herrschenden Aids-Medizin war Luc Montagnier vom Pariser Pasteur-Institut in die südafrikanischen Beratungskommission berufen worden. Außerdem war die US-Bundesbehörde Centers for Disease Control vertreten, die eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Aids-Definitionen gespielt hat.

Weltweit existieren mindestens sechs verschiedene Bestimmungen von Aids. In Westeuropa gelten derzeit zwanzig verschiedene Erkrankungen als Aids-definierend. Bei einigen dieser Symptome reicht der Verdacht aus, wenn gleichzeitig ein positives Testergebnis vorliegt. In den USA wird seit 1993 eine erweiterte Version angewandt: Menschen gelten als Aids-krank, wenn der Laborwert der CD4-Lymphozyten außerhalb des Normbereichs liegt, auch wenn keine Aids-definierenden Erkrankungen aufgetreten sind. So erklärt sich das Ansteigen der 1993 gemeldeten US-Aids-Fälle - nicht die Zahl der Erkrankten stieg, sondern die Diagnosekriterien wurden erweitert.

Im Gegensatz dazu werden in den meisten afrikanischen Ländern Aids-Diagnosen ohne HIV-Test und auf Grund völlig anderer Kriterien gestellt: Während es sich in Europa bei den Aids-definierenden Erkrankungen eher um seltene Symptome wie das Karposi-Sarkom handelt, sind in Afrika unspezifische und weitverbreitete Infektionen wie Durchfall und Fieber in Kombination mit Husten oder die Armutskrankheit Tuberkulose für eine Aids-Diagnose ausreichend. Im Juni 2000 tauchte im Bericht der Aids-Organisation der Uno die geschätzte Zahl von weltweit 34,3 Millionen Menschen, die als HIV-infiziert oder Aids-krank gelten, auf. Davon leben 24,5 Millionen in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Solche Zahlen werden von den Medien übernommen und bestimmen die öffentliche, metropolenchauvinistische Wahrnehmung von African Aids.

Die Beratungskommission hat sich im Vorfeld der internationalen Konferenz mit Verursachung, Prävention und Therapie von Aids beschäftigt. Die zweimonatige Diskussion führte erwartungsgemäß zu keiner Annäherung von Wissenschaftsmainstream und Kritik, die noch einmal thematisierte, dass an AZT bereits Zehntausende gestorben sind. Deshalb haben die KritikerInnen einen Minderheitsbericht verfasst, der der südafrikanischen Regierung empfahl, sich erstens vor allem der Bekämpfung der häufigsten Aids-definierenden Krankheiten in Südafrika wie Tuberkulose, Malaria und Darminfektionen zu widmen und Ernährung, Wasser- und Gesundheitsversorgung zu verbessern; zweitens keine Anti-HIV-Arzneimittel einzusetzen, weil sie nur kurzzeitige Verbesserungen bei ernsthaft erkrankten PatientInnen bewirkten und die Mengen kompensatorischer Medikamente beträchtlich seien; drittens die Aufklärung darüber zu fördern, dass es viele sexuell übertragbare Krankheiten und vermeidbare ungewollte Schwangerschaften gebe; viertens nicht weiter die falsche und psychologisch zerstörerische Botschaft zu verbreiten, dass die HIV-Infektion unausweichlich tödlich sei; und fünftens HIV-Tests solange auszusetzen, bis ihr Erkenntniswert geklärt ist.

Insbesondere die zweite Forderung, AZT nicht einzusetzen - auch nicht in niedriger Dosierung, auch nicht in Kombination mit anderen Mitteln -, zeigt, wie weit die kritische Molekularbiologie und ihre Bemühung, wissenschaftliche Dogmen zu dekonstruieren, von einem Großteil der Aids-AktivistInnen entfernt ist. Unter dem dramatischen Druck von sterbenden Freunden und Bekannten hat der Aids-Aktivismus hauptsächlich nicht Wissenschafts- und Pharmakologie-, sondern Institutions- und Ökonomiekritik betrieben: Seit Anfang des Jahres fordert Act up! zusammen mit Ärzte ohne Grenzen, Treatment Action Campaign und den GesundheitsministerInnen afrikanischer und asiatischer Staaten, eine Aufhebung des Patentschutzes für Anti-HIV-Kombinationen, damit die Medikamente in den Staaten des Südens billig selber hergestellt werden können.

Eine einzelne Therapie kostet im Moment ungefähr 20 000 Dollar im Jahr. Im Mai erklärten sich Boehringer, Bristol-Myers Squibb, Glaxo-Wellcome, Hofmann-La Roche und Merck bereit, ihre Preise für Aids-Medikamente zu senken. Bisher hat aber nur Glaxo-Wellcome das Angebot konkretisiert und einen 85prozentigen Preisnachlass angekündigt. Auf einer Tagung der 14 Länder des südlichen Afrikas, auf der der Preisnachlass beraten wurde, erklärte die südafrikanische Gesundheitsministerin im Juni, dass die angebotenen Kosten immer noch zu hoch seien und sich die Pharmakonzerne auf die Bekämpfung von Malaria und Tuberkulose konzentrieren sollten. Sie gehören mit Hepatitis zu einem Kreis von Krankheiten, die beim allgemein anerkannten HIV-Suchtest Elisa und dem Bestätigungstest Western Blot zu einem positiven Ergebnis führen können, was die Stichhaltigkeit des HIV-Tests für zukünftige Aidserkrankung weiter in Frage stellt.

Seit seiner Rede über AZT und verstärkt seit Einberufung der Beratungskommission wird auf den südafrikanischen Präsident Thabo Mbeki starker Druck ausgeübt. Aids-ForscherInnen drohten, die diesjährige Konferenz zu boykottieren. Der Internationale Währungsfonds erwog, die Kredite für Südafrika zu kürzen.

Als im Januar die USA den Vorsitz des Weltsicherheitsrates übernahm, setzte sie mit Aids erstmals ein medizinisches Thema auf die Tagesordnung. Vizepräsident Al Gore definierte auf der Auftaktsitzung einen neuen expansiven Sicherheitsbegriff, der Umwelt, Drogen, Terror und neue Pandemien wie Aids ins Zentrum stellt und neue expansive, postkoloniale Interventionsmöglichkeiten denkbar macht. Die lesbische Aids-Aktivistin und Theoretikerin Cindy Patton hat in ihren Arbeiten darauf hingewiesen, dass die internationale Aids-Politik insbesondere in Afrika von Anfang an den kolonialen Blick rekonstruiert habe, indem sie Afrika als ungeteilte supranationale Masse vorstelle. Als Mittel gegen Aids sei versucht worden, die westliche, normative Form der bürgerlichen Familie durchzusetzen. So hat auch Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in ihrer Erklärung zur Aids 2000 das Motto der Anti-Aids-Kampagne in Guinea gelobt, die zuerst einmal Treue und Abstinenz und dann erst die Benutzung eines Kondoms empfiehlt.

Kontakt zu den AutorInnen über aids_fiction@gmx.de. Weiterführende Links: www.aids2000.com, www.aidsmyth.com, www.virusmyth.com. Die Debatte über die Aids 2000 wird fortgesetzt.