»Einwanderungspolitik« der Parteien

Green Card wird Blue Card

Quer durch alle Parteien hat plötzlich das Wort Einwanderung Konjunktur. Gemeint ist die verwertbare Trennung von nützlichen und angeblich gefährlichen Migranten.

Eigentlich ist es unglaublich, welcher Paradigmenwechsel sich in den letzten drei Monaten in der bundesdeutschen Einwanderungspolitik vollzogen hat. Seit der Debatte um die Green Card gibt es kein Halten mehr: Der Diskurs über »nützliche Ausländer«, die für die IT-Branche verwertbare Kenntnisse besitzen und deren Wissens-Kapital die deutsche Industrie sich gerne aneignen möchte, ohne an den Ausbildungskosten beteiligt zu sein, macht Schule.

Ende Juni berief Innenminister Otto Schily (SPD) plötzlich eine Einwanderungskommission ein, nachdem er dies zwei Jahre lang vehement blockiert hatte. Den Vorsitz dieser Kommission übergab Schily im Stil einer vorweggenommenen großen Koalition der Einwanderungspolitiker an die CDU-Frau Rita Süssmuth. Noch vor drei Monaten wollte die SPD unbedingt die Debatte um die Green Card von einem irgendwann in ferner Zukunft zu schaffenden Einwanderungsgesetz trennen, das auch schon einmal zusammen mit Herrn Stoiber »Einwanderungsbegrenzungsgesetz« genannt wurde. Nun fordern die Sozialdemokraten genauso unbedingt eine »Gesamtlösung« der Themen Einwanderung, Green Card, Asyl und Integration von Minderheiten. Ganz im Gegensatz zu ihrer Position Mitte März behauptet die SPD nicht mehr, eine deutsche Einwanderungspolitik könne nur geplant werden, nachdem eine gesamteuropäische Lösung gefunden worden sei, die Deutschland insbesondere bei der Asylgewährung entlaste.

Nein, aus nationalem Interesse sieht die gesamte deutsche Politik - quer durch alle Fraktionen - die Dinge in der Zwischenzeit anders herum: Deutschland müsse Europa voranschreiten. Alles gehe zu langsam, wenn man weiter abwarte.

Letztes Glied in dieser Ereigniskette: Noch bevor die ersten Computer-Fachleute mit der Green Card eingereist sind, hat der bekanntermaßen einwanderungsfreundliche Freistaat Bayern sein Blue-Card-Konzept vorgestellt. Das bayerische Konzept zur »Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung« stellt eine Art vorweggenommenen Minimalkompromiss dar, der auf Bundesebene in den nächsten Monaten im »nationalen Interesse« nachgeholt werden soll.

Und wie zu erwarten war, stellt sich die neue Einwanderungseuphorie, sobald es konkret wird, als die alte Amalgamierung von Nützlichkeitserwägungen, Rassismus und nationalistischem Kalkül dar, die die deutsche Einwanderungspolitik der letzten fünfzig Jahre kennzeichnete. Im bayerischen Konzept soll die Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern begrenzt werden, Kindernachzug nur noch bis zum sechsten statt wie bisher bis zum 16. Lebensjahr erlaubt sein. Der Aufenthalt von Ausländern, die Sozialhilfe beziehen, soll strenger als bisher mit der Ausweisung beendet werden.

Im Gegenzug wird die US-amerikanische Einwanderungspolitik kopiert: Einwandern dürfen Unternehmer, die mindestens eine Million Euro investieren und zehn Arbeitsplätze schaffen. Insgesamt möchte die CSU die weiß-blaue Green Card auch in der unter Arbeitskräftemangel leidenden Niedriglohnindustrie einführen. Das könnte zum Beispiel bei der Bierversorgung bayerischer Stammtische durch ausländische Kellnerinnen helfen. Anders als die Computerfachleute sollen die Billigarbeitskräfte nur drei, vier Monate bleiben und lediglich einen Mindestlohn erhalten.

Die neuen Hauptkonflikte um die Einwanderungspolitik verlaufen entlang der Linien Gesamtnettozuwanderung, Nützlichkeit der Einwanderungsgruppen, Dauerhaftigkeit ihrer Niederlassung, Kosten für Sozialausgaben und Löhne sowie entlang der Frage, welche Zweige der deutschen Wirtschaft von den Zuwanderern profitieren dürfen.

Die FDP will eine jährliche Höchstgrenze der Zuwanderung festlegen. Asylbewerber, Flüchtlinge und Aussiedler sollen darauf angerechnet werden. Die jährliche Quote legt eine Expertenkommission fest. Die Wirtschaft darf nach FDP-Vorstellungen einfach anmelden, wieviele Zuwanderer sie für welchen Zweck braucht. Diese Zahl wird dann von der Restquote abgezogen.

Auch die SPD möchte, dass das Einwanderungsgesetz vorschreibt, jährlich neue Quoten für die Migration zu bestimmen. Asylbewerber sollen aber darauf nicht angerechnet werden.

Die CDU will dagegen das Asylrecht gänzlich abschaffen, indem es in eine institutionelle Garantie umgewandelt wird. Die Zahl der aufgenommenen Asylbewerber soll von der festgelegten Einwanderungsquote abgezogen werden. Ansonsten besteht Einigkeit mit der FDP und den Regierungspositionen der SPD: Ausländer sollen kommen dürfen, wenn sie qualifiziert und leistungsbereit sind.

Bayern und Baden-Württemberg haben für die am 14. Juli anstehende Bundesrats-Abstimmung über die Green Card einen Antrag an die Bundesregierung gestellt, unter Beteiligung der Länder ein Gesamtkonzept zur Einwanderung vorzulegen. In ihrem Antrag fordern die beiden Bundesländer, dass die Beschäftigung deutscher Arbeitskräfte Vorrang haben müsse vor der Zuwanderung von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten. Außerdem solle das Einwanderungsgesetz die Zuwanderung insgesamt verringern.

Der Vorsitzende der neu gegründeten CDU-Einwanderungskommission, der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, repräsentiert idealtypisch die Position der CDU: Im Gegenzug zur Abschaffung des Asylrechts soll mit der SPD eine »Netto-Zuwanderung« von 300 000 sozialpolitisch ungefährlichen Migranten pro Jahr vereinbart werden. »Nützliche« und »uns ausnutzende« Ausländer müssen nach den Vorstellungen der bayerischen und brandenburgischen Landesinnenminister Jörg Schönbohm und Günther Beckstein dabei unbedingt unterschieden werden.

Hannah Arendt hat eine derartige Verquickung von nationalen und sozialen Aspekten der Politik als hauptverantwortlich für den Aufstieg des Faschismus in Europa analysiert. Entgegen ihrer eigenen Propaganda vom sofort integrierten »nützlichen« Ausländer werden die gleichen Politiker vermutlich die ersten sein, die in der Krise auf jene perfekt integrierten Ausländer mit dem Finger zeigen. Sie werden sie als Verantwortliche der Krise benennen, entweder weil die ach so nützlichen gesamtintegrierten Migranten die in sie gesetzten Erwartungen enttäuscht haben, oder weil sie trotz perfekter Integration doch immer »Ausländer« geblieben sind. Diese Verschmelzung von Nationalem und Sozialem sowie die Motivation der Konkurrenzkraft des »Standortes Deutschland« für die scheinbare Kehrtwende der CDU/CSU erinnert an die Positionen der Nationalkonservativen der Weimarer Zeit.

Die CDU hat in ihrer Kampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft propagiert, statt der Einbürgerung müsse die Integrationsfrage im Mittelpunkt stehen. Durch die von Innenminister Schily einberufene Einwanderungskommission werden die Konservativen langfristig ihre Konzepte politisch durchsetzen können: Einwandern dürfen diejenigen, die politisch, ökonomisch und sozialwirtschaftlich profitabel sind - qualifizierte Mittelständler, die keine Sozialhilfe beziehen.

Aber so wie die »Gastarbeiter« einfach geblieben sind und ihre Angehörigen nachgeholt haben, wird es auch die Einwanderungskommission nicht schaffen, die Intention des deutschen Staates mit der Realität der Einwanderung zur Deckung zu bringen. Trotz aller Schikanen werden weiterhin Menschen, die staatlicherseits nicht gewünscht sind, einwandern und sich hier niederlassen. Und andere, die aus Sicht der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates kommen sollen, werden das nicht tun. Aus einem einfachen Grund: Es gibt viele Plätze auf dieser Erde, an denen sie ein besseres Leben führen können als in Deutschland. Hier liegt auch abgesehen von der zunehmenden Repression gegen unerwünschte Ausländer die wirkliche Gefahr: Die deutsche Politik und der deutsche Staat reagieren erfahrungsgemäß sehr beleidigt, wenn sie nicht geliebt werden.

Man darf gespannt sein, welche Schuldigen dafür gefunden werden, dass die »besten Ausländer« nicht zu »uns«, sondern zu den »anderen« gehen und damit im globalen Standortwettkampf den Gegner des nationalen Wettbewerbsstaates Deutschland stärken.