Hans Eichels Steuerreform

Deutschland, einig Steuerland

Nach der Verabschiedung der Steuerreform warten Gewerkschaften und Kapital schon mit der nächsten Forderung auf: Die Lohnnebenkosten sollen weiter gesenkt werden.

Die gesamte Aufregung war umsonst. Die rot-grüne Regierungskoalition hat ihre Jahrhundertsteuerreform durchgesetzt und kann sich im Herbst in neue Umverteilungsmanöver und parlamentarische Scharmützel stürzen. Am Ende eines zähen Ringens um die Stimmen im Bundesrat passierte die Steuerreform vorige Woche auch die zweite parlamentarischen Instanz. Von Kapital bis Gewerkschaft feierten hypnotisierte Akteure das symbolische Versprechen auf ein kommendes Konjunkturhoch.

Im Kontrast zu dem über die TV-Schirme flimmernden Erfolg der SPD benutzten die UnionsrepräsentantInnen das bittere Vokabular der politischen VerliererInnen: »Ein Schaden für die gesamte Union« (Friedrich Merz), »Den Kampf verloren« (Angela Merkel), »Jetzt nicht in innerparteiliche Machtkämpfe verfallen« (Jürgen Rüttgers). Die UnionspolitikerInnen ergingen sich in der Rede vom Missbrauch eines Verfassungsorgans. Die politische Kultur sei durch Einzelabsprachen mit LandespolitikerInnen und durch Nachbesserungen für die kleineren und mittleren Unternehmen auf das Niveau eines orientalischen Basars heruntergebracht worden. So bescherten Kanzler und Finanzminister Berlin die Sanierung des Olympiastadions und mehr Gelder für die Polizei, Brandenburg neue Straßen, Bremen einen günstigeren Länderfinanzausgleich, Mecklenburg-Vorpommern dasselbe und dazu noch einen Ausbau der Bahnstrecke Berlin-Rostock inklusive neuer Umgehungsstraßen. Und für die FDP gab es dann das Königsgeschenk: Senkung des Spitzensteuersatz auf 42 Prozent und halber Steuersatz auf Gewinne aus Betriebsverkäufen.

Deshalb darf über den Ärger der Union nicht vergessen werden, dass diese Steuerreform auf eine breite Zustimmung des bundesdeutschen Kapitals gestoßen ist. Der Vorstandschef der Allianz AG, Henning Schulte-Noelle, in der Regel ein im Verborgenen agierender Manager, hatte noch am Tag vor der Schlussabstimmung erklärt, man müsse immensen Schaden von Deutschland abwenden: »Wir fordern die Politiker gleich welcher Couleur auf, aufeinander zuzugehen und endlich die notwendige Steuerreform zu verabschieden.« Auch größere Teile der mittelständischen Unternehmen wollten auf jeden Fall eine Steuerreform, selbst wenn ihre partielle Benachteiligung gegenüber den Kapitalgesellschaften nicht beseitigt würde. Im Großen und Ganzen haben die Unternehmen aller Größenordnungen durch die Nachbesserungen ihre Forderungen durchsetzen können. Die Körperschafts- und Einkommenssteuer wird zum Januar 2001 abgesenkt und die bisherige Besteuerung der Kapitalbeteiligungen entfällt.

Zu Recht erwartet daher Allianz-Chef Schulte-Noelle, dass Deutschland zu einem der attraktivsten Standorte für internationale Holdings werden könnte. Der Vorstandsvorsitzende möchte für die eigene Unternehmung einige Kapitalbeteiligungen abstoßen und drängt mit Blick auf den Euro-Wirtschaftsraum auf eine Neuordnung der Unternehmenslandschaft - zumindest was die Bereiche Versicherungen, Banken und Vermögensverwaltungen angeht. Angesichts weiterer grenzüberschreitender Unternehmenszusammenführungen könne deshalb der mit der Steuerreform eröffnete relative Konkurrenzvorteil gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Berliner Republik gehört wohl endgültig zum Club der großen Finanz-Casinos.

Für den Umbau der Unternehmenslandschaft sind etliche Steuerhürden aus dem Weg geräumt. Und die kleineren und mittleren Unternehmen sind mit vergleichbaren Regelungen entschädigt worden. Weitaus skeptischer muss man der Bewertung gegenübertreten, mit dieser »mutigen Reform« würden Investitionen belebt und neue Arbeitsplätze geschaffen. Offenkundig setzt auch der DGB auf diese Karte, denn er hat sich dem Druck der Kapitalverbände auf die politische Klasse angeschlossen. Vordergründig spricht einiges für diese Sichtweise. So konstatiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung: »Mit dem Vorziehen der Steuerentlastungen sowie der Unternehmenssteuerreform sind die finanzpolitischen Weichen auf Expansion gestellt worden. Die Impulse auf die Gesamtwirtschaft sind weit höher als die Restriktionen in Folge der sparsamen Ausgabenpolitik. Unternehmenssteuerreform und das Vorziehen der Steuerentlastungen kommen zum richtigen Zeitpunkt, denn die Anregungen von der Auslandsnachfrage dürften nachlassen. Aber nicht nur die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird gestärkt, auch die Angebotsbedingungen werden sich per Saldo verbessern.«

Richtig ist, dass trotz der sozialen Schieflage dieser Steuerreform auch die unteren und mittleren Einkommen entlastet werden, deren Kaufkraft für die Stützung der Binnenkonjunktur dringend gebraucht wird. Weil die Zuwächse der Arbeitseinkommen in Folge der zurückhaltenden Tarifabschlüsse nur knapp über der Preissteigerungsrate liegen, ist für die nächsten Jahre eine Zunahme der Nettoarbeitseinkommen um etwa fünf Prozent nur durch die Effekte der Steuerreform zu erwarten. Angesichts der sich abschwächenden Auslandskonjunktur ist eine Expansion des realen privaten Konsums für Investitionen und die Arbeitsmärkte wichtig.

Die strukturelle Überakkumulation wird allerdings durch die Umschichtungen in der gesellschaftlichen Kaufkraft nur kurzzeitig überbrückt. Gestärkt werden »internationale Kapitalholdings«, die Gewinneinkommen bei den Unternehmen und die Einkommen der Höherverdienenden. Bundesfinanzminister Hans Eichel taxiert den Effekt der Steuerreform für das Jahr 2005 auf 60 Milliarden Mark Entlastung. Rechnet man die bereits wirksam gewordenen Entlastungen durch Grund- und Kinderfreibetrag hinzu, hat die rot-grüne Regierungskoalition ein Volumen zwischen 80 und 90 Milliarden Mark umgeschichtet.

Das alles geht zu Lasten des öffentlichen Verbrauchs. Die Steuersenkungen werden mit einem drastischen Rückgang der öffentlichen Ausgaben und der sozialstaatlichen Transfers erwirtschaftet. Obwohl die Rotstift-Politik bereits eine erhebliche Unterversorgung in vielen gesellschaftlichen Bereichen verursacht hat, ist weder mit einer nennenswerten Aufstockung der öffentlichen Investitionen noch mit einer überfälligen Korrektur bei den sozialstaatlichen Leistungen zu rechnen. Es wird weiterhin Personal im öffentlichen Bereich abgebaut, die Anpassung der Einkommen bewegt sich nur knapp oberhalb der Preissteigerungsrate und die Kürzung bei den Lohnersatzleistungen Rente, Arbeitslosen- und Sozialhilfe erreicht neue Rekorde. Der Bund zieht sich aus der Finanzierung der Arbeitslosenhilfeleistungen und der Beitragsverpflichtung für die Krankenversicherung der Arbeitslosenhilfeempfänger zurück. Die Politik der Abwälzung der Aufwendungen auf die Beitragszahler, die auch bei den Krankenkassenbeiträgen sichtbar geworden ist, wird in den nächsten Jahren weitere Sparzwänge hervorrufen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel waren sich sicher, dass sie die Zustimmung der Bundesländer erhalten würden, weil nicht nur die mit Sonderzuweisungen ausgehaltenen Bundesländer Saarland und Bremen mit dieser Sparpolitik an die Grenze ihrer Handlungsfähigkeit gestoßen sind. Hier stimmt die Kritik der christdemokratischen Opposition: Es ist absurd, dass sich einzelne Länder durch Einzelabsprachen einen Teil der öffentlichen Mittel vom Bund zurückholten, den sie auf Grund der Steuerentlastung verlieren.

Jetzt hat die Wirtschaft also ihre große Steuerreform. Und schon schießen sich ihre ideologischen Vorderleute auf weitergehende Forderungen ein: Als nächsten Schritt müsse es eine deutliche Reduktion der Lohnnebenkosten geben, sprich Absenkungen der Beitragssätze für die Arbeitslosenversicherung, Absenkung der Sozialbeiträge, was für größere Teile der Bevölkerung auf eine Absenkung des Niveaus sozialer Sicherheit hinausläuft. Selbst unter Einrechnung der Effekte der Steuerentlastung zeichnet sich ab, dass der große Schub bei den Investitionen im kommenden Jahr ausbleiben wird. Das Wirtschaftswachstum wird nicht weiter zulegen und folglich wird der Abbau der Arbeitslosigkeit weiterhin bescheiden bleiben. Um einer Debatte vorzubeugen, warum denn die versprochenen Effekte ausbleiben, fordern die Kapitalverbände schon heute weitere Entlastung bei den Lohnnebenkosten.

Erneut wird offenkundig, dass die Mehrheit der privaten Haushalte über keine wirksame Interessenvertretung im politischen Raum verfügt. Die PDS fühlte sich vom Gesprächsangebot dermaßen geehrt, dass sie ihre prinzipielle Opposition in Sachen Steuerreform für ein sozialdemokratisches Linsengericht - zusätzliche Infrastrukturmittel für Meck-Pom - preisgab. Faktisch wurde die Republik Zeuge einer Riesenkoalition in Sachen Steuersenkung und öffentlicher Sparpolitik. Nur die Strategen der neuen Unionsführung hatten sich verkalkuliert: Stoiber, Merkel und Merz gingen als Verlierer aus der Veranstaltung hervor.