»A Long Night's Journey Into Day« von F. Reid und D. Hoffman

Doch nicht versöhnt

Ein US-amerikanischer Film über die südafrikanische Wahrheitskommission erzählt vier Geschichten aus der Zeit der Apartheid.

Die Filmemacherinnen Deborah Hoffmann und Frances Reid arbeiten schon seit langem miteinander. Der letzte Film der beiden, der hierzulande tiefen Eindruck machte, war »Complaints of a Dutiful Daughter«, in dem Deborah Hoffmann die Alzheimererkrankung ihrer Mutter thematisiert, und zwar auf eine Weise, die jegliche hospitalisierende Rührseligkeit vermeidet. Sie beschreibt das schmerzhafte Abgleiten einer klugen und selbstständigen Frau ins Vergessen, ohne die eigene Verantwortung zu beschönigen. Ein grundsätzliches Verständnis für komplexe seelische Vorgänge zeichnet den Film aus. Und diese empathische Redlichkeit findet sich auch in dem neuen Film über die Arbeit der südafrikanischen Wahrheitsfindungs- und Versöhnungskommission: »A Long Night's Journey Into Day«.

Ein Dokumentarfilmanfang. Bäume im Dunst, eine seltsame Verlangsamung, Wolken vor der Sonne, ein vertikaler Schwenk vom Himmel auf eine weite Ebene mit einer Stadt. Darauf ein Titel: »Mehr als vierzig Jahre herrschte in Südafrika die schlimmste Form rassistischer Unterdrückung seit dem deutschen Nationalsozialismus. Als das Regime endlich zusammenbrach, forderten die Unterstützer der Apartheid-Regierung eine allgemeine Amnestie für ihre Verbrechen. Die Opfer aber wollten Gerechtigkeit.« Regierungsterror muss geleugnet und verborgen werden, die Stunde Null hat es für keine Übergangsgesellschaft je gegeben. Höchstens ein zähes Ringen darum, den Opfern ihre Sprache und damit Öffentlichkeit zurückzugeben und vielleicht sogar einige Täter zum Bekenntnis ihrer Verantwortung zu bewegen.

Im Nachsatz der südafrikanischen Interims-Verfassung von 1993 wurde das Bedürfnis nach Verständigung statt Rache beschworen, nach Entschädigung statt Vergeltung und nach »Ubuntu« (ein Ausdruck der südafrikanischen Nguni-Sprachen, der sich auf »Menschlichkeit« und kommunitäre Gegenseitigkeit bezieht) statt Viktimisierung. Die Truth and Reconciliation Commission (TRC) - die Wahrheits- und Versöhnungskommission - wurde 1995 als politischer Kompromiss gegründet. Selektive Amnestie kann demnach denen gewährt werden, die drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen alles offen legen, was sie über schwere Menschenrechtsverletzungen wissen, sie müssen den politischen Hintergrund ihrer Taten erklären und ihre Taten zu diesem politischen Hintergrund ins Verhältnis setzen. In den Verhandlungen einigte man sich darauf, dass die Mitglieder des Apartheidregimes genauso wie die Mitglieder der Befreiungsgruppen entweder die Amnestie beantragen oder sich der Strafverfolgung stellen müssen. Auf Druck der NGOs im Lande wurden die Hearings vom Fernsehen übertragen. Südafrikas TRC war die erste in der langen Geschichte der Wahrheitskommissionen, die öffentlich gesendete Anhörungen veranstaltete und außerdem auch die erste Kommission, die das Erzählen von Wahrheit an die Drohung der Strafverfolgung koppelte.

Die Leute sprechen für sich selbst, aber nicht nur für sich selbst. Traumatische Erfahrungen sollten formuliert und veröffentlicht und in ihrem politischen Kontext beurteilt werden. Der Film von Deborah Hoffmann und Frances Reid lässt die Frage offen, ob diese politisch verankerten »talking cures« zwischen Opfern und Tätern wirklich zu einem Dialog oder gar zur Versöhnung führen.

Vier Geschichten werden in dem Film exemplarisch erzählt. Die Filmemacherinnen beginnen mit dem Fall der weißen amerikanischen Studentin und ANC-Unterstützerin Amy Biehl, die während eines township riot ermordet wurde. Ihre Eltern beteiligen sich an der Wahrheitsfindung, die Verwandten des Mörders werden interviewt und beschreiben, wie wenig der Tod einer Weißen sie damals berührte. Die Mutter des Mörders wiederum spricht davon, wie sehr sie den Schmerz der Eltern verstehen könne. Kontroversen werden nicht versteckt. Eine hinter ihr Sitzende hat schützend die Hände auf ihre Schultern gelegt. Der Täter wird vor der Kommission öffentlich gefragt: »You had no mercy in your heart that day?« - »No«, sagt er.

Nächste Episode: Es geht um das Dorf Cradock in den achtziger Jahren. Zwei Lehrer, zentrale Figuren des Anti-Apartheid-Aktivismus, hielten mit ihrem politischen Engagement die Jugend bei der Stange. Eines Abends wurden die beiden und zwei weitere Männer vermisst, später fand man ihre verbrannten Leichen. Bis zur TRC blieb ihr Tod ungeklärt. Ein weißer ehemaliger Offizier der südafrikanischen Sicherheitskräfte beschreibt seine damaligen Werte, das Christentum, das er vor Kommunismus und Atheismus schützen wollte. Als er 1990 den Film »Mississippi Burning« sah, begann er die Rolle der Polizei in Frage zu stellen. Danach las er Nelson Mandelas Biografie. »It changed my whole perspective.« Er bekennt sich des Mordes schuldig. Die Witwen lehnen die Amnestie ab.

Der Film zeigt Whites-only-Strände und die Villengegenden der Weißen - wo sie sich sicher fühlten, bis die bewaffnete Abteilung des ANC in den achtziger Jahren zurückschlug. Robert McBride, ein ANC-Aktivist, mitverantwortlich für einen Bombenanschlag auf eine Bar, in der Polizisten und Soldaten verkehrten, erklärt, dass er schon länger im Gefängnis saß als irgendeiner der Apartheidminister. Seine öffentliche Reue vor der Wahrheitskommission prallt am eisigen Blick der Angehörigen eines Opfers ab.

»Wir haben alle eine fürchterliche Vergangenheit«, sagt Bischof Desmond Tutu. Es geht um den Fall der »Guguletu 7«. Sieben Jugendliche aus dem Guguletu-Township waren von 25 Polizisten in einem Hinterhalt gelockt und ermordet worden. Die Nachrichten zeigten damals die Getöteten: »Some of the visuals may be disturbing for sensitive viewers«. Den Nachrichten war nicht zu trauen, erzählt ein Journalist, die Waffen sahen so offensichtlich arrangiert aus. Nur zwei der Polizisten, die zu der Sonderabteilung gehörten - ein Schwarzer und zwei Weiße - ersuchen um Amnestie. Ein Mitglied der TRC beschreibt, wie die Mütter wirkten, als sie zur Kommission kamen. Sie brechen zusammen, als das Polizeivideo gezeigt wird. Der schwarze Polizist und die Mütter begegnen einander, und wir sehen einem Versuch der Versöhnung zu. »Ich möchte vergeben, weil ich die Last loswerden möchte, die wir in uns tragen«, sagt eine der Mütter.

Komplex zeigt der Film diese Vorgänge, Aussagen, Ausbrüche, Einsichten und Widersprüche, die mit den Konfrontationen der Wahrheitskommission einhergehen. Einsamkeit, Schmerz und Bitterkeit werden in die Gesellschaft zurückgeholt. Eine respektvolle Öffentlichkeit kann manche Momente von Katharsis zumindest ermöglichen - ohne schematische Trostmaßnahmen. Eine Mitarbeiterin der Kommission sagt: »Ich glaube nicht, dass Erfolg oder Scheitern der TRC an den momentanen Gefühlen der Menschen gemessen werden kann.«

»Ein ergreifendes Sinnbild der Gnade und der Triumph des Lebens über die Verderbtheit«, urteilte die Berliner Zeitung nach der Aufführung des Films bei der Berlinale. Gerne wird übersehen, was der Film aber sehr deutlich zeigt: Obwohl die meisten Apartheidverbrechen von Weißen begangen wurden, sind achtzig Prozent derer, die um Amnestie nachsuchen, schwarz.

»A Long Night's Journey Into Day« von Frances Reid und Deborah Hoffmann. USA 2000. Start 20. Juli im Berliner Kino fsk.

Unter www.irisfilms.org findet sich umfangreiches Material zum Film, unter www.fordfound.org ein Interview mit Priscilla Hayner, deren Buch »Unspeakable Truths« - eine Studie über die Arbeit der Wahrheitskommissionen - im Herbst bei Routledge erscheint.