Verhandlungen in Camp David

Joker Jerusalem

Bei den Nahost-Verhandlungen in Camp David hat Israels Regierungschef Barak erstmals den Status der Hauptstadt zur Disposition gestellt.

Es war ein Novum in der israelischen Geschichte. Erstmals hat am vergangenen Freitag mit Ehud Barak ein israelischer Regierungschef seine Bereitschaft signalisiert, nicht nur alle strittigen Punkte des Nahost-Konfliktes, sondern auch den zukünftigen Status von Jerusalem zu verhandeln.

Bei allen vorangegangenen Gipfeltreffen nämlich wurden neben der Flüchtlingsfrage insbesondere die Auseinandersetzungen um dieses Problem ausgeklammert und auf spätere Treffen verschoben. Barak, der innenpolitisch schwer angeschlagen ist und de facto seine Mehrheit in der Knesset verloren hat, brach in Camp David offen ein inner-israelisches Tabu. Der Status Jerusalems, der »ewigen und unteilbaren Hauptstadt Israels«, galt bislang der Mehrheit der Israelis als nicht verhandelbar.

Mit Skepsis wurden daher in der Vergangenheit die Vorschläge der Verhandlungsleiter der palästinensischen und israelischen Delegationen, Yossi Beilin und Abu Mazen, betrachtet, die mögliche Kompromisse in der Jerusalemfrage sondierten. Sobald öffentlich der Status quo Jerusalems in Frage gestellt wurde, folgte regelmäßig ein Aufschrei der rechten und religiösen Opposition. Alleine die Übergabe des arabischen Vorortes Abu Dis an die Palästinensische Nationalbehörde im Mai stürzte die regierende Koalition in ihre bislang schwerste Krise.

Die Vorarbeit von Beilin und Abu Mazen schien aber Früchte zu tragen. Beide Seiten deuteten in Camp David Kompromissbereitschaft an. Noch allerdings trennt Jassir Arafat und Barak eine »rote Linie»: Wie immer die Verhandlungen ausgehen, Barak muss zumindest an der faktischen Souveränität Israels über Jerusalem festhalten. Arafat dagegen kann unmöglich ein Abkommen abschließen auf der Basis, dass auch in Zukunft israelische Soldaten sichtbar in der arabischen Altstadt von Jerusalem patrouillieren werden.

Denn soweit strategische Zugeständnisse auch gediehen sein mögen, der neuralgische Punkt der Verhandlungen liegt in der so genannten Souveränitätsfrage. Kaum sei diese auf dem Tisch, würden, bemerkte dazu der Ha'aretz- Kommentator Akiva Eldar, »Pragmatismus durch Angst und rationale Interessen durch pathetische Slogans ersetzt«.

Die in Camp David vorgelegten Vorschläge allerdings wären vor einem halben Jahr noch unvorstellbar gewesen. Die von palästinensischer Seite und von Aktivisten der Friedensbewegung vorgetragene Lösung, Jerusalem zur Hauptstadt beider Staaten zu machen - also Ostjerusalem unter völlige palästinensische Souveränität zu stellen -, ist für die überwältigende Mehrheit der Israelis weiterhin undenkbar. Daher sieht das israelische Angebot vor, den Palästinensern quasi die Zivilverwaltung über Ostjerusalem und Teile der Altstadt zu überlassen.

Dabei würde Israel weiterhin in Sicherheitsfragen die volle Souveränität behalten. 80 Prozent der Altstadt und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung aber würden unter palästinensische Verwaltung gestellt und eigene Zufahrtsstraßen zu den heiligen Städten der Westbank könnten gebaut werden. Sogar von einer »gemeinsamen Souveränität« war offiziell die Rede, wobei die Bewohner Ostjerusalems zwei Staatsangehörigkeiten erhalten sollen.

Die Palästinenser zeigten sich dagegen zwar bereit, die Klagemauer und das jüdische Viertel innerhalb der Altstadt unter israelischer Hoheit zu belassen, bestanden aber ansonsten darauf, die volle Souveränität über Ostjerusalem als ihrer künftigen Hauptstadt auszuüben. Zugleich würden sie aber eine israelische Eingemeindung der fast bis ans Tote Meer reichenden Westbank-Siedlungen Ma'ale Adumim und Piz'gav Zeev akzeptieren.

Beeindruckt von diesen weitreichenden Zugeständnissen wies die bekannte Fernsehjournalistin und Ha'aretz-Kommentatorin Dan Margalit darauf hin, dass die vorgetragenen Vorschläge »einen Meilenstein in der Entwicklung des nunmehr hundert Jahre währenden Konfliktes darstellen, hinter die man, auch wenn der Gipfel ergebnislos verlaufen sollte, nicht mehr zurück« könne. Zugleich müsse die israelische Öffentlichkeit sich bewusst sein, dass in Zukunft Israel völkerrechtlich abgesicherten Zugang zu den jüdischen Heiligtümern haben werde und nach über 50 Jahren die internationale Anerkennung von Jerusalem als israelischer Hauptstadt in Aussicht stehe.

Um den Gipfel nicht an Fragen der endgültigen Souveränität scheitern zu lassen, haben die US-Verhandlungsleiter vorgeschlagen, dass die Verhandlungen über den endgültigen Status von Jerusalem vertagt und der sich herauskristallisierende Jerusalem-Kompromiss als ein weiteres Interimsabkommen umgesetzt wird. Eine Einigung in den anderen Streitpunkten schien nämlich greifbarer denn je. Dies galt vor allem für einen anvisierten Gebietsaustausch zwischen Israel und Palästina sowie für eine Regelung der Flüchtlingsfrage, die lange Zeit eines der zentralen Anliegen der PLO war.

Seit diese mit dem erklärten Ziel, einen eigenen Staat in der Westbank und im Gazastreifen zu schaffen, von ihrem ursprünglichen Ziel, ganz Palästina in eine arabische Nation umzuwandeln, offiziell abgerückt ist, hat sich auch ihr Verhältnis zu den Flüchtlingen grundlegend geändert. Ohne Euphorie vertritt man inzwischen den in der UN-Resolution 194 festgeschriebenen Anspruch aller Palästinenser auf Rückkehr in ihre Herkunftsorte, denn jeder »Rückkehrer« nach Israel würde automatisch die israelische Staatsbürgerschaft annehmen und sich so dem Zugriff des künftigen Staates Palästina entziehen. Stattdessen bevorzugt sie die in dieser Resolution vorgesehenen Entschädigungen.

Längst agiert die PLO nicht mehr als Repräsentantin einer »Nation der Flüchtlinge«, sondern denkt und handelt in den Kategorien eines zukünftigen Territorialstaates. Sie bevorzugt also, dass »Rückkehrer« diesen Staat und nicht irgendwelche Orte innerhalb Israels als »Heimat« ansehen. Trotz anderslautender Rhetorik dürfte sie deshalb auch eher an hohen Entschädigungszahlungen interessiert sein als an der faktischen Rückkehr von Millionen von Flüchtlingen nach Israel.

Stellte die ungeklärte und katastrophale Lage der Flüchtlinge früher ein internationales Druckmittel der PLO dar, droht ihr jetzt sogar weitgehend die Kontrolle über die Flüchtlinge zu entgleiten. Längst sind die Flüchtlingslager zu Bastionen der palästinensischen Fundamentalopposition geworden, in denen die Fatah kaum noch Einfluss hat. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer symbolischen Anerkennung des »Right to Return« zu sehen. So würde in den Augen der Palästinenser Israel endlich das an den Palästinensern verübte Unrecht eingestehen.

Wiedergutmachungszahlungen und die Rückkehr einiger Hunderttausend Menschen im Rahmen von Härtefallregelungen könnten die Grundlage einer Einigung bilden. Noch liegen die Vorstellungen von der Höhe der entsprechenden Zahlungen weit auseinander. War auf palästinensischer Seite von 80 Milliarden Dollar die Rede, so schlugen die USA die Einrichtung eines Fonds von sechs Milliarden vor. Die Tatsache aber, dass inzwischen über die Höhe der Summe geredet wird, ist ein Zeichen, dass in dieser Frage keine unüberbrückbaren Gegensätze mehr herrschen.

Die Bereitschaft Arafats, weitgehende Zugeständnisse zu machen, zeigt, unter welchem Druck der alternde Präsident steht: Sollten die Camp-David-Verhandlungen erfolglos enden, werden sowohl US-Amerikaner als auch Israelis ihm die Schuld dafür zuschieben. Eine Aufgabe insbesondere des Souveränitätsanspruches auf Jerusalem dagegen würde vor allem die islamische Opposition zu Hause stärken, die sich gegen Verhandlungen mit den Israelis stark macht. Schon hat Hamas-Führer Scheich Yassin angekündigt, seine Organisation werde ein Abkommen, das nicht allen palästinensischen Forderungen entspreche, ablehnen und sich auch nach der Gründung eines Staates die Option des bewaffneten Kampfes gegen den zionistischen Erzfeind offen halten.

Seinen Staat aber muss Arafat am 13. September ausrufen, sonst verlöre er die noch verbleibende Glaubwürdigkeit. Denn Umfragen eines palästinensischen Forschungsinstitutes zufolge hat die Beliebtheit des Präsidenten ihren bisherigen Tiefstand erreicht; gerade einmal 51 Prozent der Befragten stehen noch hinter ihm.

Seit langem schon wird in den Autonomiegebieten die Politik der PLO als Ausverkauf Palästinas kritisiert. Sollte aber Arafat eine Staatsausrufung ohne Einigung mit Israel riskieren, würde dies mit Sicherheit bewaffnete Konflikte nach sich ziehen. Diese zu verhindern liegt ebenso im Interesse der Israelis, denn auch Baraks zukünftiges Schicksal hängt davon ab, ob eine Einigung gefunden wird oder nicht.