Richtlinien für Gen-Patente

Lizenziertes Leben

EU-Richtlinien als Kronzeugen: Justizministerin Däubler-Gmelin hält bei der Gen-Patentierung am Industriekurs fest.

Auch die Kritik von Seiten der Kirchen, der Forschung und politischer Freunde kann Herta Däubler-Gmelin nicht beirren. Die Bundesjustizministerin bleibt dabei: Die deutsche Regierung muss die EU-Richtlinien über Bio-Patentierungen umsetzen. Die Folge: Die fragwürdige Patentierung von Genen könne nicht untersagt werden. Das stellte die Sozialdemokratin am Montag vergangener Woche in Berlin klar.

Es blieb dem G-8-Gipfel wenige Tage später überlassen, die Konsequenzen einer solchen Entscheidung zu betonen. Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts sei »unserer Auffassung nach von entscheidender Bedeutung für die gesamte Menschheit«, hieß es in einer Abschlusserklärung des Gipfels auf der japanischen Insel Okinawa. Darin forderten die Regierungschefs der führenden Industriestaaten freien Zugang zu den grundlegenden Erkenntnissen über das menschliche Erbgut. Allerdings mit einer gewichtigen Einschränkung - um den »gerechten Schutz geistigen Eigentums« zu gewährleisten, sei eine Harmonisierung der Politiken zur Patentierung biotechnologischer Erfindungen unabdingbar.

Ambitionen, das Patentrecht auf den Bereich der belebten Natur auszudehnen, gab es spätestens seit Anfang der achtziger Jahre. 1980 wurde in den USA das erste Patent auf eine Bakterie erteilt. Diese, so lautete die damalige Begründung, sei »unbelebten chemischen Verbindungen weit ähnlicher als Pferden oder Bienen oder Himbeeren«. Eine Patentierung stehe deswegen nicht im Widerspruch zu dem ursprünglich auf technische Erfindungen ausgerichteten Patentrecht.

Doch schon 1988 wurde in den USA das erste Säugetier patentiert, die so genannte Krebsmaus. In Europa verlief die Ausweitung der Patentierung mit geringer Verzögerung zeitlich parallel. 1981 patentierte das Europäische Patentamt (EPA) in München den ersten Mikroorganismus, 1992 folgte das europäische Patent auf die »Krebsmaus«.

In zunehmendem Umfang wurden außerdem Patente auf Pflanzen erteilt. In Europa geschah dies ohne rechtliche Grundlage. Im Europäischen Parlament setzte die Industrie 1998 die Richtlinie über den »rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen« durch, die ursprünglich Ende Juli 2000 in Kraft treten sollte. Die Richtlinie soll die Erteilung von Patenten auf Pflanzen und Tiere, auf menschliche Gene und Teile des menschlichen Körpers legalisieren. Um dieses Ziel zu verwirklichen, wurden von den Konzernen sogar Rollstuhlfahrer durch das Parlament geschoben, die mit dem Slogan »no patents, no cure« für die Pläne warben. Der Traum der Industrie von der Lizenzierung menschlichen Lebens schien perfekt.

Umso überraschender ist es, dass die Richtlinie jetzt in letzter Sekunde erheblich in die Kritik geraten ist. Unerwartet stellten US-Präsident William Clinton und Britanniens Premierminister Anthony Blair im März dieses Jahres eine gemeinsame Initiative gegen die Patentierung menschlicher Gene vor. Die Rohdaten des menschlichen Genoms, wie sie im Rahmen des »Human Genome Project« gewonnen und von privaten Firmen wie Celera Genomics des US-Biologen Craig Venter massenhaft produziert werden, sollten nicht patentiert werden, empfahlen die Regierungschefs.

Die Life Science Industry und manche Anleger reagierten geschockt. Die Aktienwerte einiger Biotech-Firmen sackten deutlich ab. Dabei war alles nur ein Missverständnis: Alles nicht so gemeint, lautete die Botschaft aus den Behörden von Clinton und Blair in den darauf folgenden Tagen. Demnach sollten Gene auch weiterhin patentierbar sein, wenn eine kommerzielle Anwendung angegeben wird.

Ein anschauliches Beispiel dafür, unter welchen Voraussetzungen derartige Patente erteilt werden können, bieten die Anträge des bekannten deutschen Genomforschers André Rosenthal. Er analysierte für die Firma Metagen, eine Tochter von Schering, einige Hundert Gene aus Eierstöcken, Gebärmutter, Prostata, Bauchspeicheldrüse, der weiblichen Brust und der Blase. Als mögliche kommerzielle Anwendung dieser Gene wurde die Bekämpfung von Krebs genannt, da diese Gene in bestimmten Geweben besonders aktiv seien.

So wenig konkret die Angaben von Rosenthal und vielen anderen Patentanmeldern auch sind, in vielen Fällen reichen diese Angaben aus, um die Patente auf die entdeckten Gene tatsächlich zu bekommen. Mit dieser Praxis wird ein wichtiges Prinzip des Patentrechtes unterlaufen: Bisher war die Patentierung von Entdeckungen statt Erfindungen aus guten Gründen verboten.

Der eigentliche Clou an der Patentierung von Genen aber ist, dass diese in ihrer Reichweite nicht begrenzt sind. Alle möglichen Anwendungen der Gene werden automatisch mitpatentiert, unabhängig davon, was in der Patentschrift offenbart wurde. Kommt später eine andere Firma dahinter, was man mit den Genen tatsächlich machen könnte, bekommt sie möglicherweise sogar ein Patent darauf. Doch bei der wirtschaftlichen Verwertung ihrer Erfindung ist sie dann von der Zustimmung der ursprünglichen Gen-Entdecker abhängig. Für die Dauer der Laufzeit ihres Patentes - mindestens 20 Jahre - können die Konzerne ihre Konkurrenten damit bequem in Schach halten.

Für Forschung und Entwicklung ist die Regelung dagegen höchst ärgerlich: Neue wissenschaftliche Daten werden geheim gehalten und erst dann veröffentlicht, wenn ein Patent eingereicht ist. Sobald ein Patent erteilt ist, sind die betreffenden Gene für andere Forscher oft uninteressant, weil sie sich nicht in Abhängigkeit von irgendwelchen Patentinhabern begeben wollen. Dazu kommt noch, dass sich in vielen Fällen die Patentstreitigkeiten über Jahre hinziehen und die Vermarktung von neuen Medikamenten lange verzögert werden kann.

Immerhin aber haben Clinton und Blair mit ihrer Stellungnahme das Thema auf die Tagesordnung gesetzt - und damit die Richtlinie der Europäischen Union unter Beschuss gebracht. Inzwischen findet sich kaum noch jemand, der das Gesetz verteidigen will. Nur Dänemark scheint an einer fristgerechten Umsetzung interessiert. Die meisten EU-Länder haben das Thema bereits vertagt. Sie hoffen auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, den die Niederlande und Italien wegen der Gen-Patente angerufen haben. Der Europarat sprach sich im Juni für eine komplette Revision der Richtlinie aus.

Auch die Bundesregierung sieht neuen Aufklärungsbedarf und hat im Juli eine Arbeitsgruppe von verschiedenen Ministerien eingerichtet. Neben der Ärztekammer und den Wissenschaftsverbänden haben inzwischen in Deutschland die Katholische Kirche, die Bundesgesundheitsministerkonferenz, das Bundesgesundheitsministerium und sogar das Bundesforschungsministerium grundsätzliche Kritik an der Patentierung des menschlichen Erbguts geäußert. Nur die Beamten im Ministerium von Däubler-Gmelin, die schon unter der alten Regierung am Zustandekommen der Richtlinie beteiligt waren, wollen weiter Industriekurs halten. Dezent verwies die Bundesjustizministerin auf die EU-Richtlinien, als sie vergangene Woche von ihrer Parteifreundin, der Forschungsministerin Edelgard Bulmahn, mit den Widersprüchen aus der Wissenschaft konfrontiert wurde. In Brüssel neue Patentrichtlinien einzuklagen, sei aussichtslos, sagte Däubler-Gmelin, wohl wissend, dass die geplante Regelung auch dort schwer umstritten ist.

Es ist inzwischen ausreichend klar geworden, dass die Patentierung von Genen niemandem nutzt außer den Patentinhabern. So trieb die Patentierung von Saatgut durch die Firma Monsanto die Landwirte und den Bauernverband auf die Barrikaden. Indische Wissenschaftler protestierten gegen die Patentierung des Neem-Baumes. Die Patentierung menschlicher Embryonen löste Proteste bis hin zum Vatikan aus. In der Schweiz wurde die Debatte in den letzten Wochen neu entfacht, weil die Firma Novartis zugeben musste, dass ihr - bisher einmalig - ein Patent auf menschliche Organe erteilt wurde. Selbst die Weltbank warnt inzwischen zusammen mit den Vereinten Nationen vor einer Gefährdung der Welternährung durch die Patentierung genetischer Ressourcen.