Flüchtlinge wehren sich gegen Kasernierung

Sonderpreis für Asylanten

Sie leben zu siebt auf einem Zimmer, schlafen auf dem Boden und bezahlen das Vierfache: In Leipzig wehren sich Flüchtlinge gegen ihre Kasernierung.

Ein gewöhnlicher Einkauf kommt die Asylbewerberin Lena H. jedes Mal teuer zu stehen. 25 Mark kostet eine Wassermelone im Lebensmittelmagazin des Asylbewerberheims Taucha bei Leipzig, in dem H. untergebracht ist, das ist mehr als vier Mal soviel wie beim Obst- und Gemüsehändler. Im Schnitt sind die Waren in dem Heimmagazin fast 40 Prozent teurer als anderswo. Bei manchen Artikeln ist das Haltbarkeitsdatum weit überschritten. Doch zum Discount-Markt Aldi, wo die gleichen Produkte wesentlich günstiger angeboten werden, darf die 25jährige, die vor sieben Jahren nach Deutschland kam, nicht gehen. Das sächsische Innenministerium gestattet der Asylbewerberin nur den Kauf im Heimmagazin.

Lena H. floh vor sieben Jahren aus dem Libanon. Die Tochter eines Palästinensers und einer Ukrainerin, deren Vater kurz zuvor bei einem mysteriösen Unfall ums Leben gekommen war, fürchtete tödliche Repressalien. Doch die deutschen Ausländerbehörden lehnten ihren Asylantrag 1994 ab. Nach bundesdeutscher Auffassung existiert im Libanon keine offizielle Staatsgewalt - und damit auch keine staatliche Verfolgung. Lena H. wurde lediglich eine Duldung zugesprochen.

Seit Jahren lebt die heute 25jährige in der im Wald gelegenen Unterbringung in der Nähe von Leipzig. Der sächsische PDS-Landesvorsitzende Peter Porsch beschreibt die Zustände in dem Heim als menschenunwürdig: »Ich habe hier siebenköpfige Familien vorgefunden, die in einem Zimmer leben. Die Kinder müssen auf dem Boden schlafen.« Die einzige Küche in dem abseits gelegenen Heim befindet sich im Erdgeschoss. Das Betreiben einer Kochplatte auf den Zimmern ist aus Brandschutzgründen verboten. Am schlimmsten leidet Lena H. darunter, zum Nichtstun verurteilt zu sein: »Wer nicht schwarz fahren oder schwarz arbeiten will, dem bleibt nichts, als den ganzen Tag im Heim zu verbringen.«

Mit den deutschen Behörden hat H. schlechte Erfahrungen gemacht. »Sie behandeln einen nicht wie Menschen«, sagt sie. Eine Arbeitserlaubnis wurde der Libanesin verweigert, weil ihre Duldung jedesmal nur um drei Monate verlängert wird. Für die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung sind sechs Monate Bleiberecht nötig. H.s Antrag auf Erteilung einer über die kurzfristige Duldung hinausgehende Aufenthaltsbefugnis wurde zurückgewiesen. Die unsinnige Begründung: Sie solle erst einen Job vorweisen.

Vor wenigen Wochen beschlossen in Sachsen untergebrachte Asylbewerber, diese Zustände nicht länger schweigend zu ertragen. Im Regierungsbezirk Leipzig begannen Flüchtlinge Anfang Juni mehrwöchige Hungerstreiks. Sie verweigerten die Annahme von Fresspaketen und Taschengeld. Die überteuerten Lebensmittelmagazine blieben leer. Eine 25jährige Iranerin erlitt Mitte Juni einen Zusammenbruch. An einer großen Demonstration, die am 6. Juli vor das Regierungspräsidium in Leipzig zog, nahmen über 700 Flüchtlinge teil.

Ausgelöst hatte die Proteste eine umstrittene Auslegung des Asylbewerberleistungsgesetzes durch den Freistaat Sachsen. Das Gesetz gesteht seit dem 1. Juni Flüchtlingen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz zu. Voraussetzung dafür ist, dass die Betroffenen seit mindestens drei Jahren auf den Abschluss ihres Asylverfahrens warten und in dieser Zeit Sachleistungen in Form von Paket-, Magazin- oder Gutscheinverpflegung erhalten haben. In Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt bekommen diese Flüchtlinge bereits Bargeld ausgezahlt.

Sachsen aber soll »für Wirtschaftsflüchtlinge unattraktiv sein«, wie Innenminister Klaus Hardraht (CDU) vor dem Landtag formulierte. Deshalb sollen nach einer neuen Regelung des Innenministeriums Sachleistungen die Regel und Geldzahlungen die Ausnahme bleiben. Kommunen wie Leipzig, Chemnitz oder Zwickau, die im Juni bereits mit der Auszahlung von Bargeld begonnen hatten, wurden schnell wieder auf Linie gebracht. »Wir vollziehen weisungsgemäß«, sagt die Sprecherin der Stadt Leipzig, Kerstin Kirmes.

Das Innenministerium begründet die Weigerung damit, dass Barauszahlungen an einen Teil der Flüchtlinge lediglich zu Unfrieden führen könnten. Außerdem, weiß der für Ausländerwesen zuständige Abteilungsleiter Eike Springbrunn, würden mit den Geldern auch Schleuser finanziert.

Die Heimbewohner, unter ihnen mehrere Juristen, begannen, diese Interpretation des Asylbewerberleistungsgesetzes auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu untersuchen. In mehreren Heimen entstanden Sprecherräte, aus denen sich ein Koordinierungsrat bildete. Anfangs beschränkte man sich auf die Forderung »Geld statt Sachleistungen«. Inzwischen weiten sich die Proteste aus. Die Flüchtlinge verlangen die Aufhebung des Arbeitsverbots, eine Verbesserung ihrer Unterbringung, kostenlose Deutschkurse und die Aufhebung der Residenzpflicht, die ihnen das Verlassen des ihnen zugewiesenen Landkreises verbietet.

Die Behörden reagieren mit Schärfe auf den unerwarteten Widerspruch. Mammadou B., ein Streikaktivist aus einem Heim im Leipziger Stadtteil Grünau, wurde von der Ausländerbehörde zwischenzeitlich ins sächsische Grimma verlegt. Andere lud die Heimleitung unter dem Vorwurf einer »Verletzung der Heimordnung« zu einem Gespräch vor. »Wir haben keine Angst vor Repressalien«, meint Jamil J., palästinensischer Journalist und Vertreter des Koordinierungsrats. »Wir tun nichts, was gegen Gesetze verstößt.« Im Fall von Mammadou B. hat die Behörde den ersten Rückzieher gemacht. Er darf voraussichtlich zu Beginn des Wintersemesters zurück nach Leipzig, um sein Studium fortzusetzen.

Die Hungerstreiks sind inzwischen beendet. Doch die Situation hat sich zugespitzt. Der Betreiber des Heimladens in Taucha hat wegen der Streiks seinen Vertrag aufgekündigt. Anfang dieser Woche konnten sich die Flüchtlinge nur noch mit den letzten übrig gebliebenen Reserven verpflegen.

»Es herrscht ziemliche Verzweiflung über die Ignoranz der Behörden«, erzählt Jamil J. über die Niedergeschlagenheit der Flüchtlinge angesichts der harten Linie des Ministeriums. Innenminister Hardraht hat in einem Gespräch mit dem PDS-Landeschef Peter Porsch lediglich erklärt, die Behörde erwäge die Einführung von Einkaufsgutscheinen. Damit könnten die Asylbewerber dann in bestimmten Supermärkten Lebensmittel kaufen. Doch die meisten Discounter weigern sich bisher, die damit verbundenen Überwachungsmaßnahmen zu übernehmen. Eine Entscheidung steht aus.

Neben einer Musterklage, die derzeit gegen die Sachleistungen läuft, wollen die Flüchtlinge auf jeden Fall weiter versuchen, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Mittel wie Hungerstreiks sollen aber künftig vermieden werden. Sprecher Jamil J. sagt: »Die Leute sollen nicht noch mehr leiden.« Man strebe eine verstärkte Teilnahme von Flüchtlingen an den Alltäglichkeiten des öffentlichen Lebens an. Und das betrifft nicht nur die Etablierung einer eigenen Fußballmannschaft in der Kreisklasse. Spätestens bis zum Tag des Flüchtlings, der dieses Jahr am 3. Oktober stattfindet, seien weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen zu erwarten.

Spenden zur Unterstützung der weiteren Aktionen: Kahina e.V., 1100 427 364 bei der Sparkasse Leipzig, BLZ 860 555 92, Verwendungszweck: »Streik«