Das Innenleben von New Labour

Tory Blair in Despair

Durch eine Indiskretion wurde die britische Öffentlichkeit mit dem Innenleben des Systems Blair konfrontiert. Und das sieht gar nicht so cool aus, wie der Premier glauben machen will.

New Labour ist eine Werbe-Agentur, und noch nicht einmal eine besonders große. Eine Handvoll Kreativer erfand 1994 das Konzept, das drei Jahre später Anthony Blair an die Macht bringen sollte. Neben Blair selbst waren das Peter Mandelson - der smarte Muster-Karrierist vom rechten Labour-Flügel -, Gordon Brown, als Finanzmann ein »Modernisierer«, der PR-Mann Alastair Campbell und der Meinungsforscher Philip Gould.

Von Anfang an war Blair gleichzeitig der Chef und die einzige Ware, die beworben wurde. Weil der Markenname »Labour« nach Arbeiterbewegung und Proletariertum müffelte, musste eine neue Bezeichnung her: »New Labour« hieß die Partei von nun an. Als Blairs Küchenkabinett bestimmt der Männerzirkel bis heute die Richtlinien der Politik in Großbritannien, oft vorbei an den zuständigen Ressortministern und fast immer vorbei an den Gliederungen der Partei.

»Cool Britain« lautet der Slogan: Wir gehen's locker an, wir können uns das leisten, weil wir ein Programm haben, einen Draht zu den Wählern, vor allem aber, weil wir jung, hip und entspannt sind und wissen, was angesagt ist. Das erfahren die Downing-Street-Leute von Gould, der Umfragen vertilgt wie andere Briten ihren Tee. So funktioniert der Amtssitz des Premiers immer stärker nach einem schlichten Input-Output-Modell: Gould bringt die »Issues« auf den Tisch, Blair, Mandelson - der zur Zeit Minister für Nordirland ist - und Schatzkanzler Brown beurteilen kurz, wo aktuell Stimmengewinne zu machen sind, dann posaunt Pressesprecher Campbell hinaus, welche Maßnahmen die Regierung zu ergreifen gedenkt. Pragmatik statt Programmatik: Cool und trendy, auch wenn das Verfahren dazu geführt hat, dass Blairs Politik kaum mehr von der seiner konservativen Vorgänger zu unterscheiden ist.

Doch seit vergangener Woche funktioniert die Selbstetikettierung nicht mehr. Das Image der fünf Macher hat einen Schaden erlitten, der nicht schnell zu beseitigen sein wird. Der Times und der Daily Mail, zwei Zeitungen, die zu Rupert Murdochs rechtem Medientrust gehören, wurde eine Reihe von vertraulichen Memos zugespielt, die darauf schließen lassen, dass in der Downing Street Bunkermentalität und Panik die Stimmung bestimmen. Die sonst übliche Abwehrstrategie, zu behaupten, die Blätter verfälschten oder überzeichneten die Situation, greift nicht, denn eines der Memos stammt aus der Feder des Premiers selbst, drei weitere von seinem Top-Berater Gould.

In ihren Memos, die jeweils nur in vier Kopien versandt wurden, kommen Blair wie Gould zu genau demselben Schluss: Die Lage für New Labour und speziell für den Ministerpräsidenten sei »sehr ernst« (Gould), weil das Gefühl vorherrsche, sie hätten »irgendwie das Gefühl dafür verloren, wie die Briten aus dem Bauch heraus denken« (Blair). Gould stellt fest: »Wir wurden bei Patriotismus und Kriminalität überflügelt, wir werden abgehängt, wir werden mit dem Vorwurf angegriffen, nur heiße Luft zu produzieren und unsere Versprechen zu brechen, es heißt, wir würden nichts zu Stande bringen, ein großer Teil der Bevölkerung hält uns für Bremser, die Linken mögen uns nicht, weil wir rechts seien, die Rechten nicht, weil wir politisch korrekt seien«.

Er fasst in der Sprache der Werbeleute zusammen: »Der Markenname New Labour ist schwer beschädigt.« Blair treibt die Sorge um, »selbst bei solchen Geschichten wie Zimbabwe« werde die Regierung als »nicht entschlossen genug« gesehen, sie gelte als »schwach und weichlich«.

Auch in den Rezepten, die beide Polit-Profis vorschlagen, unterscheiden sie sich nicht: Blair stellt einen Fünf-Punkte-Plan vor, der von der Familienpolitik (»Hier brauchen wir eine oder zwei spektakuläre Aktionen, die in ihrer Einstellung zur Familie voll und ganz konventionell sind«) über das Asyl-Thema, wo »Abschiebungen und Entscheidungen« betont werden sollen und den Verteidigungshaushalt (»Wenn es hier auch nur die kleinsten Einschnitte gibt, dann können wir es vergessen, Stimmen damit zu gewinnen, dass wir 'für Großbritannien eintreten'«) bis zum Strafrecht reicht. Hier fordert Blair einerseits nach einem in England heiß diskutierten Fall Straferleichterungen für Hausbesitzer, die einen Einbrecher erschossen haben, andererseits die eiserne Hand - »irgendetwas Hartes, was sofort beißt und von dem eine deutliche Botschaft ausgeht. Vielleicht den Führerscheinentzug für jugendliche Straftäter«.

Blairs Memo wurde Ende April verfasst. Kurz danach trat er mit einem Vorschlag für »irgend etwas Hartes« an die Öffentlichkeit: Betrunkene Rowdies in den Innenstädten, so sein Vorschlag, sollten zwangsweise am Geldautomaten vorgeführt werden, um Bares für die Strafe abzuheben. Ob Blairs ältester Sohn, der kurz nach Daddys Vorstoß stockbesoffen in der Londoner Innenstadt von der Polizei aufgegriffen wurde, eine Kreditkarte bei sich hatte, ist leider nicht bekannt.

Ähnliches Pech hatte 1997 schon Innenminister Jack Straw gehabt: Kurz nachdem der Law-and-Order-Mann härtere Strafen für Drogendealer gefordert hatte, verkaufte sein Sohn einem Polizeispitzel ein Marihuana-Briefchen.

Auch Gould stellt fest, die Regierung erscheine als »weichlich gegenüber dem Verbrechen, nicht für die Familie eingestellt« - damit spielt er auf rechtliche Verbesserungen für homosexuelle Paare an - »und ohne patriotische Instinkte aus dem Bauch heraus«. »Meinen Blair und Gould den britischen Bauch«, fragte ein spöttischer Leserbriefschreiber im Guardian, »den wir kürzlich anlässlich der Abschiebungen britischer Hooligans aus Charleroi bewundern durften? Der, auf dem 'Muschijäger' tätowiert war?«

Noch beißender wurde der Spott, als publik wurde, dass Blairs Memo in groben Zügen einen Kommentar wiedergab, der am selben Tag in dem Murdoch-Blatt Daily Mail erschienen war. Freilich hätte Blair auch Probleme gehabt, einen Tag zu finden, an dem solche Forderungen nicht in der rechten Presse erhoben werden.

In der Downing Street versucht man unterdessen, die Diskussion auf die »Sicherheitslücke« zu lenken, die es im Apparat des Premiers geben müsse. War es ein Computerhacker, ein Angestellter, oder gar ein von Rachegefühlen getriebener Minister, der die Dokumente an die Feindpresse weitergab? Und hat man noch mehr dergleichen zu erwarten?

Die Konservative Partei bestreitet vehement, irgendetwas mit den Indiskretionen zu tun zu haben. Doch so ganz will das niemand glauben; zu perfekt war der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Blairs Notiz am Tag vor der parlamentarischen Aussprache über den Jahresbericht von Schatzkanzler Brown gewählt worden, in dem Mehrausgaben von rund 40 Milliarden Euro, vor allem im sozialen Bereich, angekündigt wurden.

Plötzlich erinnerten sich die Chefredakteure anderer Zeitungen, dass sich auch bei ihnen in den letzten Wochen Tory-Politiker gemeldet hatten, die mit einer »sehr interessanten Geschichte« lockten. Blairs Mannen fürchten nun, dass zu jeder der Parlamentsdebatten über die wichtigsten Ressorts, die noch bis Mitte August andauern, ein weiteres Papierchen an die Presse gelangen könnte.

Um dies zu verhindern haben Geheimdienst und eine Sondereinheit der Polizei bereits die Arbeit aufgenommen. Mit Sicherheit stehen sie unter Druck, bald Ergebnisse vorzulegen. Neben dem Wunsch, die undichte Stelle endlich zu beseitigen, dürfte Blair damit die Hoffnung verbinden, von den nun offenkundigen Schwächen des von ihm etablierten Systems abzulenken. Denn der interne Schriftwechsel stellt New Labour genau so dar, wie Propaganda-Fachmann Campbell die Tories immer erscheinen lassen wollte: Als eine Partei, die ihre wirtschaftliche Inkompetenz durch autoritäre und chauvinistische Politik wettmachen will, getrieben nur von der Hoffnung auf den kurzfristigen Effekt, der sich mit Einzelmaßnahmen erzielen lässt.

Für die Tories stimmt dieses Bild zwar nicht mehr - sie haben längst zu einer klaren rechtspopulistischen Linie gefunden. Doch das trägt nur noch weiter zur Krise von New Labour bei: Der Vorsprung der Regierungspartei, der in Umfragen vor drei Monaten noch 16 Prozent betragen hatte, ist mittlerweile auf magere sieben Prozent zusammengeschmolzen.

»Hör mal, Tory - Entschuldigung: Tony Blair«, schrieb eine weitere enttäuschte Leserbriefschreiberin im Guardian: »Wir haben Dich in Massen gewählt, weil Du zwar nicht ganz Labour, aber immerhin kein Tory warst. Nachdem wir Dein Memo gelesen haben, sind auch unsere verbliebenen Hoffnungen weg.«