Ulrike Lunacek, außenpolitische Sprecherin der Grünen in Österreich

»Schüssel hat interveniert«

Die Reisen der Weisen: Am vergangenen Wochenende statteten die drei Weisen der EU, Martti Athisaari, Marcelino Oreja und Jochen Frowein Österreich einen ersten Besuch ab. Sie ergründen, wie die politische Situation in Österreich sechs Monate nach dem Regierungswechsel und die Politik der FPÖ aussehen. Von ihrem Bericht hängt im Wesentlichen ab, ob die EU-14 die bilateralen Maßnahmen gegen die Wiener Regierung aufheben oder nicht. Bei ihrem Besuch in Wien trafen sie auch mit der parlamentarischen Opposition zusammen. Ulrike Lunacek ist Nationalratsabgeordnete und außenpolitische Sprecherin der Grünen im österreichischen Parlament

Alle möglichen politischen Gruppierungen schicken den drei Weisen derzeit Pakete. Die Freiheitlichen haben ein Paket mit Materialien über die lupenreine demokratische Gesinnung der Partei nach Helsinki geschickt, auch die Regierung hat das getan. Waren Sie auch schon am Postamt?

Nein. Wir werden sicher nichts hinsenden. Wir informieren die drei Weisen nur über das, was sie von uns wissen wollen.

Die drei Weisen werden wahrscheinlich untersuchen, ob man als Oppositionspartei in Österreich die gleichen Chancen wie die Regierungsparteien hat und wie es mit der demokratischen Gesinnung der FPÖ steht. Was sagen Sie den Weisen?

Wir haben schon Material über die FPÖ, das wir den drei Herren gerne zukommen lassen. Es gibt genug Gründe, um einige Aussagen freiheitlicher Spitzenfunktionäre zumindest als undemokratisch zu bezeichnen. Etwa den Vorschlag Jörg Haiders, regierungskritische Oppositionelle in Haft zu nehmen. So etwas erinnert an ein autoritäres Regime.

Da kommen Sie aber möglicherweise in die Bredouille und die FPÖ kann Sie wieder mal als Volksverräter bezeichnen, die gegen die Aufhebung der sogenannten Sanktionen kämpfen.

Es kann schon sein, dass etwas in der Art versucht wird, aber deshalb werden die Aussagen der Freiheitlichen auch nicht demokratischer.

Die ÖVP von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel distanziert sich kaum von den verbalen Attacken Jörg Haiders und seiner FPÖ. Woran liegt's?

Ich nehme an, dass solche Aussagen auch das demokratische Gewissen von Wolfgang Schüssel tangieren, aber leider verhält er sich nicht so. Er will die vier Jahre Kanzlerschaft auf jeden Fall durchbringen, und wenn es auch den Ruf ruiniert. Wenn er sich aber nicht von den Aussagen seines Koalitionspartners distanziert, so schafft das eine gefährliche Stimmung im Land und das merkt man in Österreich in den letzten Monaten schon sehr deutlich: Die Stimmung der Bevölkerung gegen Migranten wird schlechter, die Menschen sagen vermehrt, was sie über Ausländer denken. Wenn Sie in Wien mit der Straßenbahn fahren, werden Sie das merken.

Die drei Weisen werden aber wohl nicht mit der Straßenbahn fahren und sich eher am offiziellen Regierungsprogramm und den von dieser Regierung geschaffenen Gesetzen orientieren. Was werden sie entdecken?

Das ist ja das Problem. Was die Gesetze betrifft, so kann man dieser Regierung tatsächlich nicht vorwerfen, dass sie menschenrechtsverletzend sei. Das hat alles schon die sozialdemokratische Regierung in den letzten beiden Jahren gemacht. Der ehemalige Innenminister Karl Schlögl hat besonders bei der Asylpolitik sehr problematische Dinge durchgesetzt. Bei aller Kritik muss ich aber feststellen, dass diese Gesetze auch nicht viel schlimmer sind als in anderen europäischen Staaten.

Allerdings gibt es in den letzten Monaten verstärkt Probleme mit der Polizei. Wir haben etwa Videos zur Verfügung, die eindeutig beweisen, dass die Polizei bei den Demonstrationen gegen die Regierung eigene Provokateure eingeschleust hat, die dafür sorgen sollten, dass die Situation eskaliert.

Eskalieren könnte die Situation auch durch die angedrohte Volksbefragung zu den Maßnahmen der EU. Wird sie stattfinden?

Die Chancen stehen 50 zu 50. Aber diese Volksbefragung ist ein reiner Schwindel an der Bevölkerung. Da bilden sich die Leute ein, über Dinge zu entscheiden, die sie nicht entscheiden können, weil sie europapolitisch relevant sind und sicher nicht von der österreichischen Regierung beschlossen werden können. Außerdem: Bundeskanzler Schüssel redet immer davon, es sei ihm wichtig, dass die Fragen auch so etwas wie der Kern einer neuen europäischen Verfassung sein könnten. Wenn aber die Befragung doch nicht stattfindet, so möchte er offenbar auch nicht wissen, wie nun die Bevölkerung zu seiner Europa-Verfassung steht. Das alles ist sehr eigenartig.

Wie wird sich Haider in den nächsten Wochen und Monaten verhalten? Viele Beobachter glauben, dass er jede Provokation nutzen wird, um die Volksbefragung durchzudrücken.

Wie er sich verhalten wird, das weiß man bei ihm nie. Wichtig scheint mir aber zu sein, dass es im Moment innerhalb der Freiheitlichen Flügelkämpfe zwischen dem Block der Regierungsbefürworter und der Fundamentaloppositionellen gibt. Haider gehört wahrscheinlich zu der zweiten Gruppe, und da will er sich durchsetzen. Außerdem ist die Volksbefragung auch für das politische Profil der FPÖ wichtig: Die haben immer von der direkten Demokratie geschwärmt und verkaufen die Volksbefragung als Nonplusultra einer solchen Konzeption.

Europapolitisch hat sich Österreich auch stark gewandelt, weil Schüssel in letzter Zeit versucht, einen Block gemeinsam mit den osteuropäischen Beitrittskandidaten zu bilden, um ein Gegengewicht zum harten EU-Kern Deutschland und Frankreich zu errichten. Wie geht das mit einer FPÖ, die gegen die Ost-Erweiterung ist?

Nun, zwar ist die FPÖ einerseits gegen die Ost-Erweiterung, andererseits gibt es da ein Moment, das eine zentrale Rolle spielt: Die Kleinen verbünden sich gegen die Großen. Auch die osteuropäischen Staaten haben daran durchaus Interesse, weil sie befürchten, es könnte ihnen mit ihren Menschenrechtsproblemen möglicherweise ebenso gehen wie Österreich.

Halten Sie die Aufhebung der EU-14-Maßnahmen eigentlich für notwendig? Immerhin gibt es keine tatsächlichen Sanktionen, sondern nur protokollarische Gemetzel mit Vertretern der österreichischen Bundesregierung.

Für uns Grüne ist es völlig klar, dass sich die bilateralen Maßnahmen der EU-14 überlebt haben. Wenn die Maßnahmen nicht aufgehoben werden, sehe ich die große Gefahr einer anti-europäischen Stimmung. Und die Regierung begünstigt das auch noch. Außerdem wird der Regierung durch die Maßnahmen und die Volksbefragung ermöglicht, unangenehme Einschnitte im Sozialsystem im Zuge der Budgetkonsolidierung aus den Medien herauszuhalten. Natürlich entscheiden die drei Weisen nicht über die Aufhebung der Sanktionen, das müssen schon die EU-14 machen. Ich kann mir vorstellen, dass es eine schrittweise Aufhebung im Stillen geben wird. Frankreich und Belgien werden wohl am längsten warten, bis sie die bilateralen Maßnahmen aufheben.

Was halten Sie eigentlich von der Zusammensetzung des Weisenrates?

Herr Athisaari ist mir als guter Vermittler bekannt, von Herrn Frowein habe ich früher noch nie etwas gehört und Herrn Oreja kenne ich als EU-Kultur-Kommissar. Besonders bei ihm bin ich nicht ganz beruhigt, denn er war schon in der Zeit des spanischen Diktators Franco ein Regime-Befürworter. Natürlich kann er sich gewandelt haben nach so langer Zeit, aber möglicherweise hat er andere demokratiepolitische Maßstäbe als seine beiden Kollegen. Außerdem nehme ich mal an, dass Schüssel über die Europäische Volkspartei (EV) interveniert hat, um einen Konservativen in das Gremium zu bekommen.