Alternative Lebensformen

Steuern zahlen

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Meist sitzen sie am Kneipentisch und spielen Karten. Oder sie gucken gebannt auf den Fernseher. Oder sie unterhalten sich bei einem Gläschen starken Schwarztees. Manchmal tun sie auch alles auf einmal. Und dabei sitzen sie immer am Kneipentisch - einem Platz, der eigentlich den Gästen vorbehalten sein sollte.

Aber es gibt eben Etablissements, die können es sich leisten, ohne Kundschaft auszukommen. Wer dennoch hingeht und etwas konsumieren will, wird es schon bald bereuen. Gäste stören hier nur beim Kartenspiel, Fernsehen oder Plausch - und nur selten gibt es tatsächlich das, was auf der Speisekarte steht. Die guten Gäste sind hier all jene, die gar nicht erst kommen. Die machen keine Umstände, wollen keine Aufmerksamkeit, stören nicht die sonst so gemütliche Atmosphäre. Und Geld bringen sie trotzdem.

Denn egal, wie viele Pizzen, Nudelgerichte, China-Pfannen oder was auch sonst immer hier verspeist werden, die entspannte Kneipenmannschaft schreibt sich bei Geschäftsschluss Tag für Tag Einnahmen gut, bei denen so mancher emsige Konkurrent vor Neid erblassen würde. Nichtstun mit Erfolg, heißt ihr rentables Geschäftskonzept. Und es funktioniert. Obendrein sind diese Kneipeninhaber vorbildliche Steuerzahler. Alle Einnahmen werden brav abgeführt. Dass hier mal ohne Rechnung verkauft und in eine so genannte Schwarzkasse gewirtschaftet wird - wie es bei anderen Selbständigen üblich ist -, kommt wirklich nie vor.

Das würde auch dem primären Geschäftsziel zuwiderlaufen: der Versteuerung von möglichst hohen Beträgen. Allerdings wird peinlich darauf geachtet, dass die im Kassenbuch verzeichneten Einnahmen nicht allzu hoch über dem Branchendurchschnitt liegen. Sonst wäre nämlich sogleich das Landeskriminalamt da - Abteilung Organisierte Kriminalität. Denn Geld beim Quatschen und Teetrinken zu verdienen, das widerspricht den gesellschaftlichen Maximen und kann in Deutschland nicht legal sein - allen Zahlungen ans Finanzamt zum Trotz.

Schließlich muss das Geld ja irgendwo herkommen, wenn sich eigentlich nie Kundschaft einfindet. Natürlich sind die verbuchten Summen vorher schon da, dürfen aber nicht im unbaren Zahlungsverkehr auftauchen, weil die Behörden sonst gleich wieder das Schlimmste vermuten: Drogenhandel, Prostitution, Schutzgelderpressung. Von solchen Unterstellungen müssen die Einnahmen reingewaschen werden - zum Beispiel in der Kneipe bei laufendem Fernseher oder auch in Spielotheken, Wettbüros, Sonnen- und Sportstudios oder wo auch immer.

Das Schöne daran ist: Man muss nicht den ganzen Tag in seinem Geschäft herumsitzen und hoffen, dass keine Kundschaft kommt, um bei Ladenschluss die nicht erwirtschafteten Einnahmen einzutragen. Gewitzte Inhaber kleben einfach ein Zettelchen an die Tür: »Komme gleich wieder«, steht da. Oder: »Betriebsferien«. Einfallsreichtum braucht man schon in dieser Branche. Und Beziehungen natürlich - ohne die funktioniert die lohnende Umwandlung von Schwarz- in Buchgeld nicht. Schade eigentlich.