Wahlen in Chiapas

Domino in Mexiko

Die besten Zeiten der Regierungspartei PRI sind offensichtlich vorbei: Auch bei den Gouverneurswahlen in Chiapas hat sich die Opposition durchgesetzt.

Die meisten konnten es einfach nicht glauben: Nach Monaten der Anspannung, der Einschüchterung durch paramilitärische Gruppen und der Manipulationsversuche durch die in Mexiko regierenden PRI hat am vorletzten Wochenende Pablo Salazar, Kandidat der Opposition, die Wahl zum Gouverneur von Chiapas gewonnen. Salazar erhielt 51 Prozent der abgegebenen Stimmen, gefolgt von dem PRI-Kandidaten Sami David, der auf 46 Prozent kam.

Der parteilose Salazar war von einem breiten Bündnis aus acht Oppositionsparteien unterstützt worden, unter ihnen die konservative Pan sowie die sozialdemokratische PRD. Nach dem spektakulären Sieg von Vicente Fox (Pan) bei den mexikanischen Präsidentschaftswahlen Anfang Juli, hatten Funktionäre der PRI alles daran gesetzt, in Chiapas einen Erfolg der Opposition zu verhindern.

Dass die Wahlen ohne größere Zwischenfälle durchgeführt werden konnten, wird auf die Anwesenheit von mehr als 5 000 Beobachtern zurückgeführt. Nach Informationen der Bürgerinitiative Alianza C'vica waren es vor allem die ländlichen Gemeinden, wo es vereinzelt zum Stimmenkauf oder zur Einschüchterung von Wählern kam.

Vertreter des Menschenrechtszentrums »Fray Bartolomé de las Casas« wiesen jedoch darauf hin, dass die Gewalt im Vergleich zu den vergangenen Wahlen zugenommen habe: »Es wurde versucht, ein Klima der Angst unter den Bürgern hervorzurufen, indem die Sicherheitskräfte unverhältnismäßig auf Verbrechen reagierten.« In den Wochen vor der Wahl waren Paramilitärs immer wieder gegen oppositionelle Gruppen und insbesondere gegen die zapatistische EZLN-Guerilla vorgegangen.

Doch diese Attacken und die Einschüchterungsversuche durch Anhänger der PRI konnten den klaren Sieg Salazars nicht verhindern. Um so heftiger fiel ihre Reaktion nach der Wahl aus: In dem Dorf Pena Limonar, das im Einflussgebiet der EZLN liegt, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der PRI und den Zapatisten - vier Menschen wurden getötet, 37 verletzt.

Trotz dieser Eskalation ist das Wahlergebnis für viele ein Grund zur Hoffnung. Der ehemalige Bischof der Diözese von San Crist-bal, Samuel Ruiz, der sich in den letzten 40 Jahren für die indigenen Gemeinden eingesetzt hat, sah in den Wahlergebnissen gar eine »Ernte unserer langjährigen Bemühungen auf der Suche nach einer gerechten Demokratie«. Zuvor hatte der amtierende Bischof Felipe Arizmendi in einer Pressekonferenz Wahlenthaltung als »unverantwortlich« bezeichnet.

Auch wenn nur knapp die Hälfte der 2,1 Millionen wahlberechtigten Chiapaneken zur Urne gegangen sind, ist dies im Vergleich zur Wahlbeteiligung der vergangenen Jahre ein beträchtlicher Anstieg. Seit dem Aufstand der Zapatisten 1994 gibt es in Chiapas einen hohen Anteil von Nichtwählern. An den Kongresswahlen des Sommers 1997 beteiligten sich gerade einmal 35 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung.

Die meisten zapatistischen Gemeinden entschieden sich jedoch gegen eine Teilnahme an den Wahlen. Ein Repräsentant der autonomen Gemeinde von Polh-, im Hochland von Chiapas, erklärte zwei Tage vor den Wahlen: »Jede Gemeinde entscheidet, ob sie an den Wahlen teilnimmt, und hier haben wir entschieden, nicht zu wählen. Wir haben in keinen der Kandidaten Vertrauen.«

Vor den Wahlen hatte Subcomandante Marcos in einem Schreiben erklärt: »Die Zeit der Wahlen ist nicht die Zeit der Zapatisten. Nicht nur deshalb, weil wir untergetaucht und im bewaffneten Widerstand sind, sondern vor allem, weil wir eine neue Form von Politik suchen, die wenig mit der aktuellen zu tun hat.« Auch diesmal hielt die EZLN ihr Versprechen, den Wahlvorgang nicht zu behindern. Im Gegenteil: Wie schon bei den vergangenen Wahlen wurde auch diesmal deutlich, dass immer mehr zapatistische Anhänger ihre Stimmen abgeben.

Denn Pablo Salazar wird allgemein als Hoffnungsträger für einen neuen Dialog mit der EZLN gesehen. Er war bis 1999 Mitglied der PRI, setzte sich dort jedoch für Gespräche mit den Zapatisten ein, und ist einer der Gründer der parlamentarischen Kommission Cocopa, die bei den Friedensgesprächen 1995 zwischen der Regierung und zapatistischen Repräsentanten vermittelte.

Der neue Gouverneur wird sein Amt Anfang Dezember antreten, bis zu den Wahlen im nächsten Jahr muss er sich allerdings noch gegen einen von der PRI dominierten Kongress behaupten müssen. Der zukünftige mexikanische Präsident Vicente Fox versicherte Salazar umgehend seiner Unterstützung, auch beim Umgang mit der EZLN. Noch in der Wahlnacht erklärte er, gemeinsam mit Salazar an einer Lösung des Konfliktes arbeiten zu wollen und wiederholte seine Bereitschaft, »mit dem Zapatistischen Heer der Nationalen Befreiung in Dialog zu treten und die Präsenz der Armee in der Konfliktzone zu vermindern - sobald sich dort der Rechtsstaat wieder hergestellt hat«.

In seiner Wahlkampagne hatte Fox großspurig verkündet, den Konflikt in Chiapas »in 15 Minuten« lösen zu können. Salazar ist da vorsichtiger. In einem Interview nach der Wahl versicherte er, dass sein Sieg allein »die Gründe des Aufstandes der Zapatisten nicht beseitigen könne« und verwahrte sich gegen eine »Politik, die die Dimension des Konfliktes herunterzuspielen sucht«.

Selbst in den einstigen Hochburgen der PRI konnte die Opposition einen beachtlichen Stimmenanteil gewinnen. Der Sieg von Vicente Fox bei der Präsidentschaftswahl hat wohl auch so manche der Bewohner in den traditionell PRI-dominierten Dörfern zum Umdenken gezwungen. Die Pan ist für alle zum Machtfaktor geworden, die nicht die staatliche Unterstützung verlieren wollen.

Und so könnte der Wahlsieg Salazars in Chiapas zu einem weiteren Bedeutungsverlust der einst allmächtigen PRI beitragen - der Partei, die weltweit am längsten Staatsmacht war. Bei den nächsten Wahlen in den Bundesländern Tabasco und Veracruz werden sich die Kandidaten der PRI nun gegen eine Opposition behaupten müssen, die noch stärker geworden ist.