Schröders Promotion-Tour

Durch die wilden Ostprovinzen

Bei seiner Promotion-Tour zeigt Gerhard Schröder, wie man Macht mit Populismus verbindet.

Ich will da rein«, schrie der Juso Gerhard Schröder damals in den Siebzigern am Zaun des Bundeskanzleramtes. Mit harten Ellenbogen und wenig Skrupel ist ihm das tatsächlich gelungen.

In seinem Streben nach Macht unterscheidet sich Schröder kaum von Helmut Kohl. Doch im Gegensatz zu Schröder ist sein Amtsvorgänger ein Mann mit Prinzipien. Während sich das Chamäleon Schröder vom linken Stamokap-Juso zum neoliberalen Unternehmerfreund wandeln musste, um ganz nach oben zu kommen, hatte Kohl Zugeständnisse an den Zeitgeist nicht nötig. Kohl stand schon immer auf der richtigen Seite: Von Anfang an wurde seine Karriere vom Großkapital gesponsert, das frühzeitig auf den ehrgeizigen Junge-Union-Politiker aus der Pfalz aufmerksam geworden war.

So konnte Kohl seine Vorstellungen - oder die seiner Geldgeber - durchsetzen, ohne besondere Rücksicht auf schlechte Presse, Recht und Gesetz nehmen zu müssen. Wer ihm in die Quere kam, wurde abserviert oder auf andere Art diszipliniert. Zum Beispiel mit großzügigen Sonderzahlungen aus dem weitverzweigten Schwarzgeld-Kontensystem der CDU, dessen Aufbau - wie die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche enthüllte - Kohl 1982 höchstpersönlich in Auftrag gab, kaum dass er Kanzler geworden war.

Einer wie Schröder, der aus einfachen Verhältnissen kommt und zunächst noch keine mächtigen und vermögenden Konzerne hinter sich weiß, organisiert seinen Aufstieg anders. Er hängt sein Fähnchen in den Wind, reagiert rechtzeitig auf Trends, in dem er intrigiert und seine Genossinnen und Genossen im Ortsverein, im Unterbezirk oder auf der Juso-Bundesversammlung mit Versprechungen und wohl dosierten Drohungen hinter sich bringt.

Da Schröder auch als Bundeskanzler - zumindest nach dem bisherigen öffentlichen Wissensstand - nicht auf ein weitverzweigtes Kontensystem zurückgreifen kann, muss er die im Ortsverein gelernte Technik weiter anwenden, wenn er seine Ziele erreichen will. Wie man das macht, hat Schröder erst vor kurzem im Zusammenhang mit der Steuerreform bewiesen: Widerspenstige Bundesländer, die das Gesetzeswerk im Bundesrat hätten scheitern lassen können, wurden mit Geldzusagen bzw. mit der Drohung des Geldentzuges auf Linie gebracht. Die PDS köderte Schröder mit dem Versprechen, dass sie bei den anstehenden Verhandlungen um das nächste Großprojekt, der Rentenreform, mit am Tisch sitzen dürfe.

Nun wird die Rentenreform aktuell. Und auch da braucht Schröder, zumindest in Teilbereichen wie der geplanten steuerlichen Förderung einer privaten Rentenvorsorge, die Zustimmung des Bundesrates. Was passieren könnte, wenn die Bundesländer - vor allem die ostdeutschen - die Rentenreform blockieren sollten, das ließ Schröder vergangene Woche bei seiner Sommerreise durch den Osten erkennen. Dann könnte zum Beispiel der so genannte Solidarpakt II für die neuen Bundesländer nicht zustande kommen, warnte der Kanzler zwischen Glasbläsereimanufakturbesuch, Kirchenbesichtigung, Ins-Goldene-Buch-irgendeiner-Stadt-in-der-Lausitz-Eintragen und dem nächsten Fototermin mit klatschenden Ostdeutschen.

Denn der alte, noch von der Kohl-Regierung geschmiedete Solidarpakt - die Grundlage für die Milliarden-Zahlungen im Rahmen des Aufbau Ost - läuft 2004 aus. Schröder versicherte zwar gleich zu Anfang seiner Sommer-PR-Tour, dass der Osten auch weiterhin kräftige Finanzspritzen nötig habe: »Ich gehe davon aus, dass wir das Niveau der derzeitigen Förderung noch auf etliche Zeit brauchen.« Und seine Regierung wolle deshalb auch noch in dieser Legislaturperiode den Solidarpakt II verabschieden. Aber, so der Kanzler weiter: »Das setzt natürlich auch voraus, dass die Länder, um die es geht, in anderen Fragen - wie zum Beispiel der Rente - verstehen, dass alles mit allem zusammenhängt.«

Auch von anderer Seite droht Gefahr für Aufbau Ost und Standort Deutschland: »Wir werden uns die Aufbauarbeit nicht von rechten Schlägertruppen kaputtmachen lassen«, betonte der Kanzler gleich zu Beginn seiner zweiwöchigen Rundreise durch Ostdeutschland. »Eisenhart« werde man deshalb gegen Neonazis vorgehen.

Für kruppstahlharte Worte hatte der Mann mit der öligen Stimme ja schon immer eine Schwäche, auch wenn er den Standort Deutschland früher noch von anderen gefährdet sah. »Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus und zwar schnell«, forderte er noch 1997 als niedersächsischer Ministerpräsident. Eine »Welle von Verbrechen aus dem Osten« sah Schröder damals auf Deutschland zuschwappen und malte so fleißig mit am Bild des kriminellen Flüchtlings und des drogendealenden Ausländers.

Jetzt ist Schröder Kanzler und dank des europäischen Grenzregimes und der rechten Hilfstruppen im Hinterland ist von der angeblichen Welle aus dem Osten weit und breit nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die deutsche Industrie schreit nach einer Welle wohl ausgebildeter und fleißiger Ausländer. Sonst drohe ein Fachkräftemangel vor allem in der Computerbranche und dann schaue es finster aus für den Standort. Das nun Nötige sollen Green Card und eine durchdachte Mischung von »Härte des Staates und Hilfe für Jugendliche« richten.

Worum es Schröder geht und worum nicht, unterstreicht er mit dem Besuchsprogramm seiner Sommerreise nach Ostdeutschland. Statt Flüchtlingsheimen besucht er Klarinettenbauer, Kurquellen und Autobahnbaustellen. Statt sich mit Opfern zu treffen, nimmt er lieber ein Bad in der Menge - auf Marktplätzen, die ein paar Stunden nach dem Kanzlerbesuch wieder ausländerfreie Zone sind. Und weil rechte Gewalt für Schröder vor allem ein Polizeiproblem darstellt, steht auch ein Treffen mit Beamten der Mobilen Einsatzgruppe gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit (Mega) auf dem Besuchsprogramm des Bundeskanzlers.

Den rechten Mainstream in weiten Teilen der Bevölkerung wird Schröder bei seiner Sommerreise selbstredend nicht thematisieren - das kostet Wählerstimmen. Er tätschelt lieber Babys, freut sich über die »Erfolgsstory, die hier geschrieben worden ist« und erzählt etwas von »großen Leistungen«, welche die Ostdeutschen unter »schwierigsten Umständen« erbracht hätten. Wenn er dann doch einmal auf das Thema Rechtsextremismus und Gewalt gegen Ausländer zu sprechen kommt, wie bei seiner Rede vor 3 000 SPD-Genossen im thüringischen Sonneberg, dann wiegelt Schröder ab: »Das passiert in Deutschland, aber es ist nicht Deutschland.«

Zum Abschluss seiner Ostreise wird Schröder übrigens beim Bundesligaaufsteiger Energie Cottbus ein Trainingsspiel besuchen und dort ein Vereinstrikot entgegennehmen. Mit dem Trainer Eduard Geyer dürfte sich Schröder blendend verstehen. Auch Geyer steht bekanntlich auf Härte: »Ich erwarte von meinen Spielern, dass sie ihren Arsch lüften, wenn der Trainer in den Raum kommt.« Auch er kann Leute, die anders aussehen und zu nichts nutze sind, nicht so recht leiden: »Ansonsten kotzen Spieler mich an, wenn sie drei Ohrringe tragen. Oder wenn der Spieler mit seinem Pferdeschwanz ankommt und aussieht wie ein Mädchen, aber dann keinen Ball trifft.« Und Geyer weiß ebenso wie Schröder, worauf es wirklich ankommt: »Es geht nicht um Einzelne, sondern ums Gesamte, um die Nationalelf, um Deutschland.«