Konservative Revolution in Frankreich

Jenseits von Rechts und Links

Konservative Revolutionäre gab es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich. Eine neue Studie über Parallelen und Unterschiede am Beispiel der französischen Nonkonformisten

Deutsche Wissenschaftler sind in der Regel vor allem deutsch. Selbst wenn es sich um ein internationales Phänomen handelt, wird die Gesamterscheinung häufig vom deutschen Bild her untersucht. Die Besonderheit mutiert zur Regel. Idealtypische Begriffsbildungen werden auf diese Weise unmöglich. Ein Beispiel dafür ist die Debatte um den Faschismusbegriff, in der das NS-Regime nur zu oft das Maß aller Dinge war und blieb.

Komparative Arbeiten dagegen sind Mangelware. Wenn es um die Konservative Revolution der Weimarer Republik geht, eine Strömung antidemokratischer Intellektueller, denen an einer »Revolution von rechts« (Hans Freyer) gelegen war, dann wird zwar bisweilen darüber gestritten, ob ein solcher Begriff tragfähig ist, doch der Blick über die Landesgrenzen unterbleibt. Und wenn er doch einmal gewagt wird, sind die Beobachtungen oft fragwürdig. So behauptete noch 1999 der Fachmann Stefan Breuer: »Wenn Frankreich in Bezug auf die Rechte den Vorzug der zeitlichen Priorität besitzt, so Deutschland den der größeren Breite. Wohl in keinem anderen Land hat die Rechte eine so reichhaltige Literatur hervorgebracht, nirgends sonst eine solche Vielzahl von Autoren, Periodika, Zirkeln und Organisationen.« Eine zweifelhafte Behauptung.

Besonders den geistigen Nachfahren der Konservativen Revolution liegt der Nachweis am Herzen, dass es sich bei dieser einflussreichen politisch-ideologischen Bewegung um eine gesamteuropäische Erscheinung gehandelt habe. Armin Mohler, der den Begriff in Deutschland einbürgerte, ihr wichtigster Historiker und Interpret wurde und sich nach Kräften darum mühte, das entsprechende Gedankengut in der Nachkriegszeit zu revitalisieren, widerspricht deshalb heftig. Er habe Erfahrungen beiderseits des Rheins gesammelt, die auf Vergleichbares in Frankreich deuten. »Die wesentlichen Klassifizierungen, die ich in meiner Arbeit über die KR vorgenommen habe, sind tatsächlich auf Frankreich anwendbar«, erklärt er 1994 im Interview mit den neurechten Elements. lm Gegensatz zur vorherrschenden Meinung sei das Spektrum im westlichen Nachbarland sogar breiter als in Deutschland gewesen. »Wohlgemerkt musste man hier auch einige zusätzliche Kategorien schaffen, wo die Erben Proudhons, die Föderalisten, die 'Nonkonformisten' der dreißiger Jahre ihren Platz finden würden.«

Mohlers Behauptung stützt die Untersuchungen des israelischen Historikers Zeev Sternhell, der in seinem monumentalen »Ni gauche, ni droite« die fragliche Erscheinung in Frankreich untersuchte und zu der Ansicht gelangte, dass das, was er als einflussreiche ideologische Strömung analysierte und als »Faschismus« bezeichnete, in Deutschland seine Entsprechung nicht etwa im Nationalsozialismus finde, sondern in der Konservativen Revolution.

Marcello Veneziani verwies bereits 1987 in einer umfangreichen Untersuchung auf »Die Konservative Revolution in Italien«. Für Belgien und die Niederlande lieferte der neurechte Luc Pauwels etliche Hinweise. Für Großbritannien könnte der Kreis der »Distributionisten« um A. K. Chesterton und Hilaire Belloc als Variante der Konservativen Revolution betrachtet werden. Insgesamt scheint es also ratsam, von einem gesamteuropäischen Phänomen auszugehen.

Allerdings ist es dabei nicht angebracht, einfach die deutschen Ideen der Konterrevolution auf andere Länder zu übertragen. Darauf verweist Hans-Dietrich Eckert in seiner Dissertation »Konservative Revolution in Frankreich?«. Schon bei den zeitlichen Schwerpunkten, so seine Feststellung, ergäben sich gravierende Unterschiede. Während in Deutschland die rechte Intelligenz während der Nachkriegskrise und in der Endphase der Weimarer Republik am produktivsten gewesen sei, hätten die Zirkel anti-intellektueller Intellektueller in Frankreich den Höhepunkt ihres Einflusses während der Krisenphase der dreißiger Jahre erlebt.

Für diese Personen - als »Nonkonformisten der dreißiger Jahre« bekannt geworden - stellt Eckert Übereinstimmungen mit den Konservativen Revolutionären fest: die gleiche Jugendlichkeit, hoher Bildungsgrad, Arbeit in Freundeskreisen und um Zeitschriftenprojekte herum. Die Dekadenz des eigenen Landes wird als Hauptgefahr beschworen, die »Alten« - über die Parteigrenzen hinweg - werden dafür verantwortlich gemacht. Ohnehin fordert man eine umfassende Überwindung der »Links-Rechts-Dichotomie«, die gedankliche Zusammenführung von Sozialismus und Nation. In einer frühen Phase führte dieser Ansatz bis zur festen Zusammenarbeit von revolutionären Syndikalisten und konterrevolutionär-katholischen Monarchisten im Cercle Proudhon. Wie ihre deutschen Kameraden sehen die Nonkonformisten die Zeit geprägt von der grundlegenden Auseinandersetzung zwischen Jung und Alt, wobei es sich nicht um genau umrissene Generationenzuschreibungen handelt, sondern um Differenzen in Lebensstil, Mentalität und Habitus, die zu unüberwindlichen Gegensätzen erklärt werden.

Eckert arbeitet die manifesten Unterschiede zwischen den vergleichbaren Gruppen in beiden Ländern heraus. Während sich in der Weimarer Republik die Mehrheit der Konservativen Revolutionäre in Distanz zu allen Parteien bewegte, da man ja gerade den »Parteienstaat« zu Gunsten der Ganzheit der Nation überwinden wollte und sich erst relativ spät ein Teil der Exponenten der NSDAP annäherte, um in ihrem Regime wichtige Posten zu übernehmen.

In Frankreich begann nahezu die Gesamtheit der Nonkonformisten ihre Karriere in einer Partei - der Action Fran ç aise - und wurde durch die von ihr vertretene Idee eines »integralen Nationalismus« (Maurice Barrès) geprägt. Die Krise der Partei wurde zur Blütezeit der Nonkonformisten. Der Lösungsprozess war so umfassend, dass diese Gruppierung auch einfach als »die Dissidenten der Action Fran ç aise« (Paul Sérant) charakterisiert wird. Anders als in Deutschland konnte in Frankreich nie eine der faschistischen Parteien eine Hegemonie über ihre Konkurrentinnen gewinnen.

Aus der Vielzahl von Gruppierungen um Zeitschriftenprojekte greift Eckert für seine Untersuchung den Ordre Nouveau und den Jeune Droite heraus. Eine aus mehreren Gründen gute Wahl. Vor allem sind die von beiden Zirkeln propagierten Gedanken für die Nonkonformisten durchaus typisch. In beiden Zirkeln finden sich etliche der wichtigsten Intellektuellen der konservativen Bewegung. Hinzu kommt, dass die Wirkungsgeschichte gerade dieser Kreise keineswegs abgeschlossen ist.

Zwei nonkonformistische Intellektuelle, Denis de Rougemont und Alexandre Marc, gehören zu den wichtigsten europäischen Theoretikern des Föderalismus. Der erst in diesem Jahr verstorbene Marc wurde 1946 Generalsekretär der Europäischen Föderalistischen Union und prägte den Diskurs wesentlich. Gerade die europäische Neue Rechte zählt Rougemont und Marc daher auch zu ihren Stammvätern.

Ein weiterer Umstand rechtfertigt Eckerts Entscheidung für Jeune Droite und Ordre Nouveau als Untersuchungsgegenstände. Besonders dem Ordre war es gelungen, stabile Kontakte zu Gleichgesinnten in Deutschland aufzubauen. Zu nennen ist hier ab 1931 die Zusammenarbeit mit dem späteren Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen und der Gruppe um die Zeitschrift Gegner. Wie er gingen seine französischen Partner davon aus, dass die »Gegner von heute - Kampfgenossen von morgen« werden könnten. Die Herrschaft der Nationalsozialisten, so hoffte man vergeblich, werde lediglich eine Übergangsphase sein, dann komme die wirkliche Revolution, jenseits von Links und Rechts.

Eckart verweist auf eine grundlegende verschwörungstheoretische Tendenz bei seinem Untersuchungsgegenstand. Freimaurer, Protestanten, Sozialisten, und die Juden wurden für die herrschende Dekadenz verantwortlich gemacht. Seit dem Sieg der linken Volksfrontregierung, so sein Befund, sei die antisemitische Tendenz deutlich verstärkt worden. Allerdings, ergänzt er, habe man den biologischen Determinismus der Nazis, ihren Blutmythos, nicht geteilt. Die Rasse, so Thierry Maulnier, sei nicht der Ausgangspunkt, sondern sie stehe am Endpunkt der historischen Entwicklung, »durch dieselbe künstliche Auslese wie bei Hunden und Pferden«. Die Krönung der Entwicklung sei die Nation, bei den Juden aber fehle die »nationale Identität«. Judentum, marxistischer Materialismus und liberaler Kapitalismus sind in diesem Denken nur verschiedene Erscheinungsformen desselben Gegners.

Das Fragezeichen im Titel »Konservative Revolution in Frankreich?« kann also durch ein Ausrufezeichen ersetzt werden. Eckert liefert wichtige und anschauliche Belege. Mit seiner Arbeit schließt er eine Lücke. Der Band stellt eine gute Ergänzung der Studien von Zeev Sternhell dar.

Hans-Wilhelm Eckert: Konservative Revolution in Frankreich? Die Nonkonformisten der Jeune Droite und des Ordre Nouveau in der Krise der dreißiger Jahre. Oldenbourg, München 2000, 267 S., DM 78