Flüchtlinge in Brandenburg

Kritik statt Kostüm

Zur Woche des ausländischen Mitbürgers liefern Flüchtlinge in Brandenburg keine Multikulti-Einlagen, sondern organisieren sich gegen staatlichen Rassismus.

Das Asylbewerberheim Rottstock-Struvenberg war zu DDR-Zeiten ein Stasi-Ausbildungslager für West-AgentInnen. Die Stasi hatte nicht viel Interesse an Öffentlichkeit und baute ihr Trainingscamp tief in den Wald, abseits von Ortschaften und nur über schmale Wege zu erreichen. Offenbar hatte die Kreisverwaltung Potsdam-Mittelmark ähnlich wenig Interesse an der Sichtbarkeit von Fremden, als sie die Baracken zu einem Flüchtlingsheim umbauen ließ.

Im Hof sitzt Amir Sorayyapour, der aus dem Iran gekommen ist. Er ist seit einem halben Jahr in Deutschland, meistens »hier im Wald allein mit den Tieren»: »Nach den studentischen Demonstrationen in Teheran letztes Jahr musste ich weg. Es war egal wohin.« Angekommen ist er in Struvenberg und kann kaum fassen, dass er separiert wird, den Füchsen und Rehen näher als der ihn umgebenden Gesellschaft, die ihn offensichtlich nicht will.

Beim Tee erklärt ihm Christopher Nsoh aus Kamerun, der im fünfzig Kilometer entfernten Rathenow lebt, warum er unangekündigt zu Besuch gekommen ist. Im Februar schickten Flüchtlinge aus seinem Heim Offene Briefe an die Landes- und die Bundesregierung, in denen sie ihre miserablen Lebensbedingungen und die Gesetzeslage angriffen - das Arbeitsverbot, das Einkaufsgutscheinsystem und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Im Anschluss initiierten sie erste Kontakte unter Flüchtlingen in ganz Brandenburg sowie ein regelmäßiges Treffen.

Zum Auftaktfest der Woche des ausländischen Mitbürgers, die von der brandenburgischen Landesregierung veranstaltet wird, soll nun am 24. September eine Demonstration in Cottbus stattfinden, erklärt Nsoh. »Wir sind bereits mit über der Hälfte der Heime in Brandenburg in Kontakt getreten. Überall trafen wir Leute, die die Notwendigkeit eines Aufbruchs von uns Asylbewerbern sahen.« Die AktivistInnen werben nun auch in den verbleibenden Unterkünften für die Demonstration. »Letztes Jahr fand das gleiche Fest in Belzig statt. Dort feierten die Politiker ihre Weltoffenheit, während Flüchtlinge nicht einmal ein Rederecht hatten.« Statt zu trommeln und zu tanzen, wollen die AsylbewerberInnen dieses Jahr politisch auf die Bühne treten.

Alle Flüchtlinge, mit denen Christopher Nsoh an diesem Tag spricht, berichten von ihrer unerträglichen Lebenssituation. Im Gespräch über ihren Alltag ergeben sich erste Ansatzpunkte für eine gemeinsame Organisierung. So erzählen Mitglieder einer kurdischen Familie, dass sie seit sechs Jahren zu acht in einem Zimmer leben.

Auch Amir Sorayyapour sagt: »Da ich alleine nach Deutschland gekommen bin, muss ich mit vier anderen einen Raum teilen. Es gibt in den Heimen keine Privatsphäre.« Wie zur Bestätigung wird die Zimmertür aufgerissen und eine aufgeregte Frau stürzt in den Raum. Es ist die Heimleiterin, die wissen möchte, ob wir privater Besuch seien. Es wäre zwar nicht verboten, ins Heim zu kommen, aber »wegen der Sicherheit« wolle man schon wissen, wer da so auftauche. Es wird nicht ganz klar, an wessen Sicherheit sie interessiert ist. Seit der Diskussion um den Rechtsextremismus kommen in den Asylunterkünften öfter JournalistInnen vorbei, was die Behörden nicht gerne sehen.

Auch Christopher Nsoh wurde von der Rathenower Heimleitung und der Ausländerbehörde nahe gelegt, sich nicht so stark in den Medien zu positionieren. Schon in Kamerun war er bei der Oppositionspartei Sozialdemokratische Front (SDF) für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Als 1997 vor den nationalen Wahlen die Regierung das Wählerverzeichnis manipulierte, organisierte er Demonstrationen. Nachdem er wegen »Störung der öffentlichen Ordnung« zwei Wochen in Polizeihaft gesessen hatte, gelang ihm die Flucht: »Ich habe mich krank gestellt und wurde ins Hospital gebracht. Dort sprang ich aus dem Klofenster und war frei.« Bekannte hatten ihm in der Zwischenzeit einen Platz auf einem Frachter nach Hamburg beschafft.

Seine jetzige Situation erinnert ihn an seine Zeit im Gefängnis: »Viele Menschen leiden in den Heimen unter der Verurteilung zur Untätigkeit. Für einen Flüchtling in Deutschland verschwindet die Zeit. Es gibt kein Gestern und kein Morgen, nur Warten. Alle Tage verlaufen gleich.« Als sich in Rathenow die gewalttätigen rassistischen Angriffe häuften, beschlossen die AsylbewerberInnen, ihre Rechte einzufordern. »Wir arbeiten natürlich mit antirassistischen Gruppen zusammen. Aber wir müssen uns selbst vertreten. Flüchtling zu sein, ist ein 24-Stunden-Job, diese Erfahrung machen Deutsche nicht.«

Die Hauptkritik der Brandenburger Flüchtlinge richtet sich gegen die Asylgesetzgebung. Die diskriminierenden Bestimmungen würden den Menschen klarmachen, dass Flüchtlinge vom Staat nicht gewollt seien. Der alltägliche Rassismus auf der Straße sei nur eine Fortsetzung dieser Politik. Aber Gesetze könne man auch wieder ändern, sagt Christopher Nsoh. Wenn zur Demonstration in Cottbus die erwarteten tausend Flüchtlinge kämen, sei dies ein erstes Signal an die Politik, dass sie nicht länger unsichtbar bleiben werden.

Doch schon einfache Dinge wie Geld für den Zug oder Autos, um andere Heime zu besuchen, fehlen. Bislang sind in der brandenburgischen Initiative vor allem Afrikaner engagiert. Christopher versucht, neue Aktivisten zu mobilisieren, die in ihren Sprachgruppen für politisches Engagement werben. Doch nur wenige sind so leicht zu motivieren wie Amir Sorayyapour, der in Teheran englische Literatur studiert hat. Viele Flüchtlinge sind mit ihren unmittelbaren Sorgen beschäftigt und haben Angst, durch politische Arbeit den positiven Ausgang ihres Asylverfahrens zu gefährden.

Nhung Phan* wird auf keinen Fall zur Demo nach Cottbus kommen. Zu diesem Zeitpunkt, erklärt er, werde er bereits nach Vietnam abgeschoben worden sein. Die Heimleitung spricht nicht von Abschiebung. Sie nennt das freiwillige Rückkehr - im Rahmen des deutsch-vietnamesischen Deportationsabkommens. Im Gespräch stellt Nhung Phan klar, dass er in Vietnam keine Perspektive für sich und seine Familie sieht. Nach acht Jahren in Struvenberg sprechen seine Kinder besser Märkisch als Vietnamesisch. Nhung Phan lacht bitter, als er erzählt, dass die Kinder auch schon die deutsche Sprache des Ausschlusses gelernt hätten: »Einmal ist mein Sohn von der Schule nach Hause gekommen. Er sah mich an und sagte: Ich Deutscher, du Fidschi.«

* Name von der Redaktion geändert