Regierung und Migrantenorganisationen

Moderne Zeiten

Während die Regierung große Taten gegen Rassismus verspricht, müssen MigrantInnenorganisationen um Geld und Anerkennung kämpfen.

Murat Çakir hat genug von seinem Ehrenamt. Seit zweieinhalb Jahren ist er Vorsitzender des Bundesausländerbeirates, bei den Wahlen im September will er nicht mehr kandidieren. Die politischen Willenserklärungen der Bundesregierung im Kampf gegen Rechtsextremismus verbessern seine Stimmung nicht. »Solange keine politischen Signale erfolgen, kann ich den guten Willen nicht glauben.«

Antirassismus müsste selbstverständlicher Konsens der deutschen Politik sein, findet Çakir, stattdessen betrieben manche PolitikerInnen ihre Karriere mit rechtspopulistischen Äußerungen. Das wichtigste Mittel gegen rechte Ideologien seien nicht ordnungspolitische Maßnahmen wie die Einschränkung des Demonstrationsrechts - die Diskriminierung von Minderheiten müsse verhindert werden.

Çakir sieht Parallelen zum Umgang mit Homosexuellen und verurteilt die CDU-Kampagne gegen die Homo-Ehe. »Gäbe es keine Migranten hier, dann wären eben Behinderte, Schwule, Lesben oder Linke dran.« Çakir hat die Hoffnung auf einen Politikwechsel durch Rot-Grün aufgegeben. »Dass es überhaupt noch Politiker in Deutschland gibt, die konsequent gegen Rassismus vorgehen, wage ich zu bezweifeln«, sagt er zornig.

Die Ausländerbeiräte, deren höchster Vertreter er ist, gibt es seit über 25 Jahren in vielen Städten und Kommunen. Vor zehn Jahren kam es zu einem losen Zusammenschluss auf Bundesebene, seit Mai 1998 gibt es den Bundesausländerbeirat als festes Gremium mit einem gewählten Vorsitzenden an seiner Spitze.

Doch während die Ausländerbeiräte auf kommunaler und zum Teil auch auf Landesebene gewisse Einflussmöglichkeiten haben, hat der Bundesausländerbeirat Schwierigkeiten, überhaupt Gesprächstermine bei den Regierungsparteien zu bekommen. Von finanzieller Förderung ganz zu schweigen. Eine hauptamtliche Geschäftsführung fehlt daher, die laufenden Angelegenheiten werden von der Landesarbeitsgemeinschaft in Hessen übernommen - denn die CDU/FDP-Regierung zeigt sich gegenüber den Ausländerbeiräten wesentlich spendabler als Rot-Grün. Dabei sind die 450 Ausländerbeiräte die einzige Organisationsform von MigrantInnen, die unabhängig von Herkunft und Parteizugehörigkeit arbeiten und auf lokaler Ebene von der nichtdeutschen Bevölkerung gewählt werden.

Kein Grund für das Innenministerium, die Bundesvertretung anzuerkennen: Auf die Frage, warum keine MigrantenvertreterInnen in die Zuwanderungskommission aufgenommen werden, erklärt Sprecher Rainer Lingenthal, es gebe ja keine Repräsentanten, die von allen Gruppen anerkannt würden. Für Çakir ist der Fall klar: »Das Innenministerium behält sich vor, nur ihm genehme Organisationen anzuerkennen.« Und im Gegensatz zu SOS-Rassismus, das mit dem Grünen-Abgeordneten Cem Özdemir als Vorsitzendem Regierungsnähe demonstriert, legt man beim Ausländerbeirat Wert auf Unabhängigkeit - auch wenn dafür weniger Geld fließt.

Den Vorwurf, nicht genug Gelder für die Selbstorganisation von MigrantInnen bereitzustellen, wehrt man im Innenministerium ebenfalls ab. Es sei ein völlig falscher Reflex, immer nach Staatsgeldern zu rufen: »Die zivile Gesellschaft funktioniert auch ohne staatliche Finanzierung. Wir haben hier einen moderneren Ansatz«, sagt Lingenthal und erklärt, dass das neue Bündnis für Demokratie und Toleranz ganz ohne Geldversprechen auskommt und nur verschiedene Aktivitäten koordiniert.

Damit aber ist vielen Projekten nicht geholfen. Bei Zapo, der Beratungsstelle des Polnischen Sozialrates, hat man genug davon, von der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John stets lobend erwähnt zu werden, gleichzeitig aber um die eigene Finanzierung bangen zu müssen. Nur eine Übergangsfinanzierung war von John zu erhalten, ab Mitte September ist der Fortbestand der Projekte des Polnischen Sozialrats völlig ungeklärt - das Geld für die Miete fehlt.

Wenn die Räume gekündigt werden, dann verlieren auch 14 Leute mit ABM- und SAM-Stellen ihren Arbeitsplatz und die Beratungsarbeit kann nicht mehr geleistet werden. »Wenn man in der Öffentlichkeit Erscheinungen wie Rassismus beklagt, dann braucht man auch Leute, die sich damit auskennen«, findet Mariusz Pregowski vom Polnischen Sozialrat.

Was den täglichen Rassismus angeht, können er und seine Kollegin Renate Heubach eine Menge erzählen. Auf den Ämtern werde häufig mit Unterstellungen gearbeitet, sagt Heubach und fordert, dass die BeamtInnen der Ausländerbehörde geschult und kontrolliert werden. Pregowski berichtet, wie unterschiedlich man polnische und deutsche Jugendliche behandelt, die beim Ladendiebstahl erwischt werden. Die deutschen dürfen bis zum Gerichtstermin nach Hause gehen, die polnischen landen meist in Untersuchungshaft.

Erkan Dag von der türkischen Gemeinde in Berlin berichtet von einer türkischen Bekannten, die vor kurzem bei einer Verkehrskontrolle angehalten wurde. Der Polizist sagte mit Blick auf ihren »türkisch« aussehenden Begleiter zu der Frau, die er für eine Deutsche hielt, ob ihr nichts Besseres einfalle, als mit »so einem Türken« zusammen zu sein. Die Frau erstattete Anzeige gegen den Polizisten - ohne Ergebnis, da der Schuldige nicht gefunden wurde.

Angesichts solcher Vorfälle glaubt in den MigrantInnenorganisationen kaum jemand den Versprechen der Regierung, gegen Rechtsextremismus hart durchzugreifen. Salima Mellah von der Menschenrechtsorganisation algeria watch, die sich auch mit der Situation algerischer Flüchtlinge in Deutschland befasst, findet zwar jede Initiative wertvoll, will aber doch gerne wissen, wem eine Kampagne nützt. Für sie geht es nicht um spektakuläre Repressionsmaßnahmen wie etwa ein NPD-Verbot, sondern um langfristige antirassistische Konzepte.

Gerade in den Schulen sei hier eine große Arbeit zu leisten, denn »die europäische Identität basiert auf Rassismus. Seit Jahrhunderten werden beispielsweise orientalische und islamische Fundamente geleugnet.« An der Entwicklung neuer Lehrpläne müssten MigrantInnenorganisationen ernsthaft beteiligt werden. Zwar hat das Innenministerium schon mehr als hundert Initiativen in seinem Bündnis für Demokratie und Toleranz vereint, darunter auch so große Verbände wie die Türkische Gemeinde Deutschlands. Doch deren stellvertretender Vorsitzender Safter Cinar nannte das Bündnis vor zwei Wochen einen »Spielplatz der Regierung«. Und Mariusz Pregowski will sich schon vor der Teilnahme an einer Regierungsinitiative genau anschauen, was dahinter steckt: »Wir haben keine Lust, länger als Feigenblatt zu dienen und gleichzeitig ums Überleben zu kämpfen.«

Salima Mellah nennt das politische Gebaren einfach Heuchelei. Solange Unterschriftenkampagnen gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft veranstaltet werden können und Innenminister Otto Schily abschieben lässt, seien die Politiker für den Rassismus mitverantwortlich. Das sieht man im Innenministerium ganz anders. Sprecher Lingenthal: »Zu sagen, dass Menschen das Land verlassen müssen, weil sie sich nach den Gesetzen des Landes nicht rechtmäßig hier aufhalten, ist doch keine fremdenfeindliche Tat.«