Neue Platte der Sparks

Into the Maelstrom

»Balls« von den Sparks. Die neue CD der Pop-Hysteriker.

Eines Tages werden wir an unseren ureigenen Gedanken und Gefühlen einen winzigen Hinweiszettel entdecken, worauf steht: »Made In Germany. Bis 40 Grad. Nicht schleudern. Nicht bügeln.« Das wäre dann, wenn sie es zu sehen im Stande wären, ein Problem der »Antideutschen«, nicht meines. Ich habe mir lieber, weil ich die Antwort kenne und im zweiten Absatz verraten kann, die Frage vorgelegt, ob Neil Youngs Verse »I'm singin' this borrowed tune / I took from the Rolling Stones / Alone in this empty room / Too wasted to write my own« zu übertreffen sind.

Wie denn? Bin ich verzagt? Ist Gott doch nicht tot? War Nietzsche bloß ein schlechter Marxist? Haben die Sparks nicht bereits 1994 mit ihrer Zeile »What's apropos for me, may for thee be blasphemy« bewiesen, dass sie die einzige Popgruppe der Welt sind, die Lord Byron gelesen hat? Viermal nein. Und deshalb dichten diese Alleszermalmer: »I confess that this is really not my song / I bought it in Hong Kong.«

It's a knock-out von Tsui Hark, ein knock-off der Sparks, ein eleganter Schlag, ein listiger Raubzug. Ich frage mich, wie oft uns schon das Plastik von der Plattheit, das Schöne des Schäbigen von der Schäbigkeit der Schönheit erlöst hat, der Kapitalismus von den Antikapitalisten? Denken wir nur einen Augenblick an das industrialisierteste Album der Sparks, »No. 1 in Heaven«, 1980 produziert von Giorgio Moroder. »Tryouts for the human race, from Burlington to Bonn / Ah, we are a quarter billion strong«. Es muss das Jahr gewesen sein, in dem die Androiden, eine menschliche Reservearmee, hinauszogen in die Welt. »We must, we must, we must leave from here«. Dazu bemerkt James S. im Gästebuch der »Official Burlington County Web Site»: »Great job Burlington I'm proud of You. I left 20 years ago and it is really great to waltz down memory lane.« Und das Ganze unterlegt mit diesem unvergleichlich monotonen Propellergeräusch (wenn ein Hubschrauber über uns kreist, sag ich: »Horch, ein Moroder!«), Donna Summer plus Intelligenz, Depeche Mode minus Pubertät. Ron und Russell Mael, die Sparks, haben schon vor 30 Jahren ihren Altersstil gefunden und seither immer nur verfeinert.

Die Ironie der Ironie besteht darin, dass sie sich stets selbst ironisieren muss, sonst saturiert sie. Sie leitet sich ab von »to iron«. Nicht bügeln! Heavy Metal. Daher die künstlichen Gitarren, die ins Tuntige transponierten Rockersprüche (»All you need are / Balls«) und daher am Schlagzeug Tamera Glover. Die Maels sind keine males. Pop ist immer erstens Parodie von Rock und zweitens Parodie von Pop.

Parodie oder Plagiat? Vielleicht ist das hier einerlei. An den Melodien klebt ein kleines Hinweisschild »Made In Hong Kong«. Die Lyrics sind so »phony« (»Still phony rhymes with phony«), dass man denken könnte, die Maels könnten sie ausgeheckt haben, um sich selbst aufzulösen. Das ist die Bewegung der Ironie, fortschreitende Auflösung, doch es bleibt merkwürdigerweise immer etwas übrig, schlangenhafte Bewegung. »Scheherazade, direkt von Eva abstammend, war vielleicht die Erbin jener sieben Körbe voller Songtexte, die Letztere, wie wir alle wissen, unter den Bäumen im Garten Eden fand« (Edgar Allan Poe, »Thou Art the Man«). »All I want are illusions / Scheherazade, no conclusions« (Ron und Russell Mael). Wir müssen von hier abhauen, und das gilt ja zu jeder Zeit an jedem Ort auf der Welt. Das Sparks-Studio in Los Angeles habe ich mir als einen Fuchsbau vorgestellt, dabei ist es nichts als das Wohnzimmer von Russell Mael. Jeder einzelne Ton verleugnet das, indem er klingt wie frisch aus Hong Kong reimportiert. »Scheherazade, there's a sameness / To the world in its plainness / But your worlds are on fire / Filled with lust / Filled with liars.« Ironie ist Flucht vor der sameness. Ironischerweise klingt alles gleich. Melodien wie bunte Spielzeugautos, ich verliere nie die Lust, mich mit ihnen zu amüsieren. Die Lügenerzählerin Scheherazade im Song der Sparks ist konsequenterweise ihre Biographin Amelia Cone.

Eine nervöse Welt der Lügner und der Lüge also, dafür zwei weitere Belege: Immerzu regnet es in den Songs der Sparks; kalifornische Ironie. Immerzu hat jemand Angst; kalifornische Psychologie. Es zeugt von großer Abgeklärtheit, das Fürchten lehren zu wollen. Russell Maels Stimme in der Originalversion von »Angst In My Pants« (1982) wohnt ein Schauder inne, in der plagiierten Version von 1997 erschaudert man, weil sie ihn verloren hat. Nun werden in »Balls« die Anzeichen der nahenden Katastrophe in erschreckender Klarheit benannt. Die Blicke sind stumpf geworden, die Hunde tragen Maulkörbe, jeder zieht die Schuhe aus, bevor er das Parkett betritt, aus den offenen Fenstern dringt gedämpft Chopin und manchmal nur das leise Wählgeräusch einer Telefonanlage. »It's the calm before the storm / Something big is coming soon, something that will change your tune / False sense of security, shown to be a forgery«.

Wer sich der Bewegung der Ironie hingibt, der pflegt den Umgang mit dem Schein und mit der Angst gleichermaßen. Eine Art von sich selbst erneuernder Hysterie als heroischer Lebensstil (»Increasing heartbeat / As twenty cannibals have hold of you / They need their protein just like you do«). Freud wurde von seinen Hysterikerinnen erzogen, der Synthie-Pop von den hysterischen Sparks. Nicht immer ist das Erziehungsziel erreicht worden, versteht sich. Halten wir uns in diesem Fall an die Eltern.

Schein, Ironie, Angst, habe ich da nicht noch etwas vergessen? Spaß vielleicht? Die Abenteuer der Aeroflot? Das No-Sex-Movement? Junggesellen-Maschinen? »Although it's not completely clear / It's educational.« Keine Konklusionen.

»Kircher und andere stellen sich in der Mitte des Mahlstrom-Kanals einen Abgrund vor, der mitten durch den Globus geht und an einer weit entfernten Stelle mündet (...). Diese Meinung, an sich idiotisch, war es, der sich meine Imagination, als ich hinabblickte, augenblicklich anschloss« (Edgar Allan Poe, »Into the Maelstrom«). Ist es da verwegen anzunehmen, dass zwischen dem Wohnzimmer von Russell Mael und dem seiner Antipoden in Hong Kong eine direkte Verbindung besteht?

Sparks: »Balls«. Strange Ways Records
Sparks: »No. 1 In Heaven«. Oasis Records (1999 wieder veröffentlicht auf Repertoire Records)