Der Schweizer Publizist Res Strehle

»Eine Entwicklung wie in Ostdeutschland«

Zum fünften Mal innerhalb der vergangenen dreißig Jahre ist am Sonntag in der Schweiz ein Volksbegehren zur Begrenzung des Ausländeranteils gescheitert - diesmal mit einer überraschend deutlichen Mehrheit von über sechzig Prozent. Gleichzeitig verfestigt sich, wie Demoskopen angeben, ein Potenzial von rund 30 Prozent der Schweizer, das bereit ist, jeder gegen Ausländer gerichteten Initiative seine Zustimmung zu geben. Res Strehle, ist Redakteur der Züricher Weltwoche

Der Vorschlag, der am Sonntag abgelehnt wurde, wurde in der Presse als einigermaßen gemäßigt angesehen, obwohl die geplante Ausländerquote von 18 Prozent bedeutet hätte, dass ein Teil der jetzt schon in der Schweiz lebenden Ausländer hätte ausreisen müssen. Würden Sie nach vier gescheiterten Volksbegehren gegen Ausländer diesen Vorstoß als taktischen Versuch interpretieren, mit einer etwas zurückhaltenderen Initiative mehr Akzeptanz zu finden, oder ist das diesmal aus einer anderen Richtung gekommen?

Es kommt aus einer ähnlichen, aus einer nationalistisch-rechten Position. Der Unterschied war diesmal lediglich, dass die Quote ein bisschen moderater angesetzt war, dass man sich von Anfang an bemüht hat, direkt fremdenfeindliche Töne zu vermeiden. Neu war auch, dass die Initianten von Anfang an gesagt haben, man müsse gleichzeitig auf Integrationsmaßnahmen und »Anpassung der Ausländer« setzen. Das war ein Unterschied zum »Ausländer raus!« früherer Initiativen.

Unter welchen Bevölkerungsgruppen in der Schweiz stoßen solche Initiativen auf ein besonders positives Echo?

Untersuchungen zeigen, dass erwartungsgemäß im äußerst rechten politischen Lager - bei den Anhängern der Schweizer Demokraten und der Schweizerischen Volkspartei - die Unterstützung besonders groß ist, ebenso wie bei Vertretern einer nationalistischen und einer katholisch-konservativen Position, die in den Innerschweizer Kantonen und auch im Aargau sehr stark sind. Rasch schwenken auch die Modernisierungsverlierer aus dem nationalen Lager auf solche Vorlagen ein. Wenig Zustimmung gab es in der Westschweiz und natürlich auch in den Städten und Zentren.

Es gibt zur Zeit in der Schweiz eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen, in denen das Argument einer angeblichen Überfremdung gegen Initiativen gewandt wird, die vor allem die Unterstützung der Wirtschaft finden - etwa die Auseinandersetzung um Englisch als erste Fremdsprache im Kanton Zürich. Gewinnt die Frontstellung zwischen Modernisierungsverlierern einerseits und Wirtschaftsvertretern andererseits in der Schweiz an Bedeutung?

Ja, das hängt damit zusammen, dass wegen der Globalisierung auch in der Schweiz die Wirtschaft, vor allem natürlich die Großkonzerne, sich internationalisiert haben. Die alte Rütli-Schweiz ist im Aufbruch, und darauf reagieren vor allem die untere Mittelklasse und die Unterklasse sehr stark nationalistisch, mit fremdenfeindlichen und rassistischen Reflexen. Auch wenn sich das Ganze auf einem anderen materiellen Wohlstandsniveau abspielt, könnte man es mit der Entwicklung in den neuen Bundesländern in Deutschland vergleichen.

Sehen die Fremdenfeinde in der Schweiz tatsächliche materielle Besitzstände als gefährdet an, oder handelt es sich eher um das, was bei Ostdeutschen oft als »Gefühl aus dem Bauch heraus« bezeichnet wird?

So etwas hängt nach meiner Überzeugung immer damit zusammen, dass tatsächlich materielle Besitzstände in Frage gestellt sind. Das trifft insbesondere für die wenig qualifizierten Jobs zu, wo in den vergangenen Jahren ein großer Lohndruck entstanden ist. Bis vor fünf Jahren war in der Schweiz ein Mindestlohn von ungefähr 15 Franken in der Stunde üblich. Diese Grenze ist jetzt stark ins Rutschen geraten, und statt die Patrons und die Konzerne dafür verantwortlich zu machen, gibt es die rassistische Tendenz, zu sagen, die Ausländer sind schuld, die drücken die Löhne.

Von den niedrigen Löhnen profitieren vor allem bestimmte Teile der Schweizer Wirtschaft. Ist das der Grund dafür, dass ein rechtspopulistischer Politiker wie der SVP-Star Christoph Blocher dieser Initiative seine Unterstützung verweigert hat?

Die Gegnerschaft der Wirtschaft zu dieser Initiative war natürlich nicht direkt antirassistisch motiviert. Da stand das wirtschaftliche Argument im Vordergrund, dass gesagt wurde, wir brauchen Ausländer auf der einen Seite im hochqualifizierten Sektor, auf der anderen auch im wenig qualifizierten Bereich. Gerade in den Zentren werden die meisten reproduktiven Funktionen nach wie vor von ausländischen Arbeitskräften ausgefüllt, und das ist auch genau der Bereich, in dem die Wirtschaft auf niedrige Stundenlöhne setzt. Das Zweite ist die Furcht auf Seiten der Großkonzerne, vor dem Hintergrund der Holocaust-Debatte, der Debatten um das Bankgeheimnis und um die Uno-Mitgliedschaft international unter Druck zu geraten. Man fürchtet, in den Ruf eines Staates von nationalistischen Parasiten zu geraten. Und da wäre natürlich ein Ja zu dieser Initiative ein denkbar schlechtes Signal gewesen.

Gleichzeitig wird in der Schweiz ein Ausländergesetz diskutiert, das in verklausulierter Form einige der Forderungen aus dieser Initiative enthält. Damit scheint aber auch die Wirtschaft keine Probleme zu haben.

Das ist einer der Widersprüche, dass einerseits das Ausländergesetz verschärft wird, etwa die Einbürgerungspraxis, die jetzt schon in der Schweiz eine der rigidesten weltweit ist, dass auch die Asylgesetze laufend verschärft werden, dass die Repression gegen Asylbewerber zunimmt. Die Weltoffenheit, die die Schweizer Wirtschaft jetzt nach außen hin signalisiert, findet in der praktischen Ausländerpolitik keinerlei Entsprechung. Deswegen bin ich eher skeptisch, was die Zukunft der Ausländerpolitik in der Schweiz betrifft. Bei der Asylpolitik ist die Linie vorgezeichnet. Hier ist die Schweiz ziemlich stark an die EU gebunden und trägt praktisch alles mit, was etwa im Rahmen des Schengener Abkommens passiert.

Der Ausländer-Anteil in der Schweiz ist im europäischen Vergleich vor allem deswegen so hoch, weil die Schweiz eine noch restriktivere Einbürgerungspolitik betreibt als Deutschland. Die Bundesrepublik hat sich unter der rot-grünen Regierung ein klein wenig bewegt. Gibt es auch in der Schweiz Tendenzen zu einer liberaleren Einbürgerungspolitik?

Ich glaube, dass sich da etwas aufweichen wird. Bis vor zehn, fünfzehn Jahren war die harte Einbürgerungspolitik vollkommen unbestritten. Das kommt aber ins Rutschen. Vor allem in der jüngeren Generation. Da sogar die unpolitische Techno-Szene einen ganz anderen Umgang miteinander pflegt, kommt Bewegung in die Sache. Wir hatten beispielsweise letzte Woche im schweizerischen Nachrichtenmagazin Facts, das dem deutschen Focus vergleichbar und bisher nicht durch fortschrittliche Positionen aufgefallen ist, eine Titelgeschichte, die sich eindeutig für eine erleichterte Einbürgerungspraxis aussprach.

Könnte es auch in dieser Richtung ein Volksbegehren geben?

Wenn auf der gesetzgeberischen und praktischen Ebene nichts passiert, dann ist es durchaus möglich, dass hier demnächst ein Vorstoß ansteht.

Welche Chancen würden Sie einer solchen Initiative geben? Würden dann alle, die jetzt mit »Nein« gestimmt haben, mit »Ja« stimmen?

Für die Schweizer Öffentlichkeit war der letzte Sonntag sicherlich ein Signal. Es wurde nicht damit gerechnet, dass diese Initiative so deutlich abgelehnt wird. Erwartet worden war allgemein, dass die Initiative knapp abgelehnt würde. Dass jetzt deutlich über 60 Prozent dagegen gestimmt haben, ist ein Signal, dass da möglicherweise etwas in Bewegung kommt.