Neues von Uwe Schmidt und Burnt Friedman

Kokosnüsse klauen

Uwe Schmidt lässt Kraftwerk von einer dänischen Latinoband nachspielen und steuert den Auftritt vom Computer aus. Burnt Friedman nimmt analoge Sounds und schichtet sie digital.

Verkehrte Welt - da stehen acht Typen auf der Bühne, die alles andere als Hipness und Finesse ausstrahlen, und werden von einem Publikum gefeiert, das genau das will: Hipness und Finesse. Ganz rechts steht ein unscheinbarer Mann, etwas hinter seinem Keyboard versteckt, an dessen Knöpfchen er ab und zu dreht. Das ist Señor Coconut, verantwortlich für das, was die anderen, genauso drögen Gestalten, auf der Bühne veranstalten.

Señor Coconut heißt eigentlich Uwe Schmidt. Seit anderthalb Jahrzehnten wirft er abendfüllende Alben mit elektronischer Musik auf den Markt, dass einem Hören und Sehen vergeht. Vorsichtige Schätzungen gehen von einer CD pro Monat aus, die er unter Projektnamen wie Atom Heart, Geeez'n'Gosh, Semiacoustic Nature, Lassigue Bendthaus oder Datacide veröffentlicht.

Manchmal gelingen Schmidt neben den vielen kleinen auch größere Kunststücke. Als er etwa letztes Jahr mit »Pop Artificelle« ein Album voller schauriger Elektroversionen von Pop-Gassenhauern vorlegte. Den Schmachtfetzen »Angie« der Rolling Stones durch Sequencer und Vocoder geschleift zu hören, war ein erhabenes Erlebnis. Was sich damals bereits abzeichnete, die als Genuss wahrgenommene Dekontextualisierung von bekannten Popcodes, die dreist-verwegene Transformation eines Songs (Old School) in Elektronik (New School), sollte dieses Jahr mit dem Señor-Coconut-Projekt noch gesteigert werden.

Señor Coconut ist zunächst nichts weiter als eine weitere CD Schmidts, die mit der Illusion spielt, hier gebe es eine richtige Band, die »authentische« Musik aufführt. Die simulierte Band ist eine Tanzkapelle, die Kraftwerk-Songs im Gewand lateinamerikanischer Standardtänze (Cha-Cha-Cha, Merengue etc.) zum Besten gibt. So weit, so verdreht. Das ist aber noch nicht alles. Denn als es daran ging, für die diesjährige PopKomm eine Sensation zu konstruieren, verfiel die Programmleitung der Messe auf die Idee, ausgerechnet Señor Coconut als Live-Version zu präsentieren. Das Konzert im Kölner Stadtgarten hätte gleich zweimal ausverkauft sein können. Die Live-Umsetzung sah so aus, dass ein dänisches Reiseunternehmen eine Gruppe aus gemütlich dreinblickenden dänischen Musikern zusammentrommelte, die dann mit Schmidt und - Authentizität! - einem lateinamerikanischen Sänger live probte.

Was für ein irres Spiegelkabinett: Deutsche Electroklassiker, groovefrei und maschinenfetischistisch bis zum Anschlag, werden in ein südländisches Korsett gesteckt, das komplett am Bildschirm entworfen und arrangiert wird. Und schließlich werden sie von einer dänischen Band gnadenlos muckermäßig auf die Bühne gebracht. Ehe man jetzt von einer neuen Weltmusik schwärmt, von Dekonstruktion und dem freien Flottieren der Zeichen und Codes, sollte nüchtern festgestellt werden: Es funktioniert nicht.

Die Kraftwerk-Tracks sind - rein vom Material her betrachtet - zu schwach, als dass sie diese Transformationen überstehen könnten. Ihre Stärke besteht nicht in ihrer kompositorischen Gestaltung, sondern in ihrem Effekt: ein kühler, abweisender Sound kombiniert mit der entsprechenden Maschinenästhetik. Das Neuarrangement und die anschließende Live-Interpretation macht aus den Stücken Rambazambamusik. Davon abgesehen gibt Schmidt der Band eine sequenzierte Rhythmusspur vor. Die Livemusik ist also gar nicht so live - was gar nicht mal so unclever ist, verweist das doch wieder auf Kraftwerk.

Wahrscheinlich würde Schmidt die Kritik gar nicht treffen, weil er auf etwas anderes hinauswill: auf eine genuine Produzentenästhetik. Nicht die Musik an sich und die spielerische Arbeit mit ihr (also Improvisation) stehen im Mittelpunkt, sondern der souveräne, allmächtige Zugriff. Ein Produzent, der sich als adäquater Ersatz des Livemusikers und als Gegenmodell zum DJ etabliert. Schmidt verkehrt die Methode des Technoproduzenten - Anonymität, strenge, minimalistische Musik - ins Gegenteil: offensiv zur Schau gestellte multiple Künstleroutfits und ein omnipräsentes Auftreten.

Im Auftreten längst nicht so popistisch, aber in der musikalischen Umsetzung um einiges raffinierter ist Bernd »Burnt« Friedmann, ein guter Kumpel Schmidts, zusammen betrieben sie das Flanger-Projekt. Er wohnt in Köln, macht aber nicht die hyperserialisierte Musik, die man von einem Kölner Elektronikproduzenten erwartet. Auf seiner CD »Con Ritmo« ackert er sich wie Schmidt durch zeitgenössische südamerikanische Tanzmusik, ohne aber eine allzu deutliche Rückbindung an die Siebziger zu versuchen. Trotzdem ist das Retro-Szenario perfekt. Es klingt einfach authentisch und wie live gespielt und so gar nicht nach den Minimalismen der späten Popkultur. Polyrhythmische Grooves, verwinkelte Melodien und vor allem grellbunte Arrangements - hier ein hauchendes Saxofon, da eine sanft quietschende Orgel, dazu Wahwah-Gitarren - werden übereinander geschichtet und miteinander verbunden.

Erst mit der Zeit kommt man dahinter, dass dieser Sound nicht live inszeniert sein kann, dazu ist das Authentische zu glatt poliert, zu perfekt arrangiert und zu gut produziert. Friedmann verschmäht das Offensichtliche und präsentiert in einem dialektischen Winkelzug seinen Sound als das Alleroffensichtlichste. Genau das ist er aber nicht. Je genauer man hinhört, desto fremder schallt es zurück. Während Schmidt im Cha-Cha-Cha-Feeling das ursprüngliche Kraftwerk-Stück hervorstreicht - ein Novelty-Gag der von der Wiedererkennung lebt -, erweist sich Friedmann als ein Meister der Andeutungen.

In beiden Fällen geht es aber um die wiedergewonnene Allmacht des Produzenten. Die drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass beide Platten nur ein Durchgangsstadium zum nächsten Projekt markieren: Schmidts neue Platte, »My Life with Jesus«, ist bereits erschienen, demnächst soll auch ein neues Flanger-Album rauskommen, und pünktlich zum Advent wird es von Friedmann Weihnachtssongs geben.

Señor Coconut Y Su Conjunto: »El Baile Alemán«. Multicolor (EFA)
Burnt Friedman: »Con Ritmo«. Non Place (EFA)
Geeez'n'Gosh: »My Life with Jesus«. Mille Plateaux (EFA)