Wagenburg in Friedrichshain

Platz für die Gäste

Gefährliche Orte CXVII: Statt der Wagenburg schmücken bald ein Hotel und ein Seniorenwohnheim den Platz hinter dem Filmtheater Friedrichshain. Nur noch zwei Wochen bleiben den Bewohnern, das Gelände zu räumen.

Laster- und Hängerburg« steht auf dem gelben Postkasten am Eingang. Ein Zaun mit bunten Urwaldmotiven umgibt das Grundstück, auf dem einige Möbel-, Bauwagen und Anhänger einen Kreis bilden. Alles, was die Bewohner der Wagenburg in der Nähe des Volksparks Friedrichshain besitzen, befindet sich in diesen Fahrzeugen. Man könnte meinen, sie sind jederzeit abfahrbereit - und einige Bewohnerinnen meinen das auch tatsächlich.

»Manche Menschen halten uns für Zigeuner«, sagt die 34jährige Elektra. Vor vier Jahren zog sie mit dem Trecker und ihrem Wohnwagen von Tübingen nach Berlin. Mehrere Tage hat die Fahrt gedauert. Zuerst hat sie in einer Wohnung gelebt, aber »das war schrecklich«. Sie wollte »Eigentum statt Miete« und »schöner wohnen in einem gut ausgestattete Wohnwagen«. Schließlich fand sie den Platz im Stadtteil Prenzlauer Berg.

Ihr rosafarbener Wohnwagen ist umwachsen von Bäumen und Sträuchern. Das von ihr entwickelte »Elektrad« lehnt am Treppengeländer, der Vorderreifen ist platt, aber ansonsten funktioniert das Fahrrad, das von einem alten Xerox-Motor angetrieben wird. Eine Serienfertigung hat sie nie angestrebt, sodass es beim Prototyp geblieben ist. Viel wichtiger sei ihr auch das Schreiben, sagt sie und macht die Tür auf. Drinnen im Wagen ist es dunkel, an der einen Seite steht das Bett, nebenan liegt der Werkraum, in dem sie Photovoltaik-Anlagen herstellt. »Ich räume nicht gerne auf«, erklärt sie und beginnt, die Kataloge von Conrad-Elektronik vom Tisch zu nehmen. Nur die rote Rose in der Multivitaminsaftflasche bleibt stehen.

»Ich bin Elektrikerin«, sagt Elektra, »aber eigentlich möchte ich die Leute mit meinen Sätzen verhexen.« Sie holt ihr Notebook heraus, das nur fünf Watt verbraucht, sodass sie auch bei schlechtem Wetter schreiben kann. Gerade ist ihr erstes Buch »Die Philosophie der Extase« fertig geworden. Worum es geht, ist auf ihrer Website www. reclaim-your-brain.de nachzulesen: »Wir sind humanoide Lebewesen auf der Basis von Kohlenstoffatomen. Wir leben hier auf einem Planeten mit lauter Schizophrenen, ganz weit draußen in einem unbedeutenden Spiralarm einer völlig aus der Mode gekommenen Galaxis ... Wer rettet die Welt vor dem Wahn der Menschen? Ganz klar: Wir sind es!«

Seit zehn Tagen ist sie mit ihrer Website online und bisher hat niemand das Buch bestellt. Wenn sie nicht gerade schreibt oder an irgendwelchen Schaltungen herumbastelt, tritt sie als Kabarettistin auf, aber bald wird sie sich um den Umzug kümmern müssen, denn die Investorengruppe Ebertz und Partner aus Köln will auf dem 6 600 Quadratmeter großen Grundstück am Filmtheater Friedrichshain ein Hotel und Seniorenwohnungen errichten. Nebenan ist schon mit dem Bau von »zwölf attraktiven Eigentumswohnungen« begonnen worden.

Anfang des Jahres hatten die Bewohner der Wagenburg die Mitteilung bekommen, dass im Sommer mit den Bauvorbereitungen gerechnet werden müsste. Sie bereiteten sich auf eine baldige Räumung vor und veranstalteten Parties zu den Terminen, an denen das Grundstück vermessen werden sollte. Aber niemand kam.

Dann passierte eine Weile gar nichts, bis Baustadträtin Dorothee Dubrau (Bündnis 90/Grüne) Vertreter der Investoren und Wagenburgler für Mitte September zu einem Runden Tisch ins Bezirksamt Prenzlauer Berg einlud.

Am Morgen vor der Verhandlung treffen sich die Bewohner auf dem Platz noch einmal zum Frühstück. Sie sitzen auf Holzbänken um ein Lagerfeuer. »Dass wir abziehen, wird als Selbstverständlichkeit angesehen«, sagt einer. »Aber niemand stellt die richtigen Fragen: Wozu brauchen wir dieses Hotel? Und wozu brauchen Senioren teure Seniorenwohnungen?« Der Bezirk hatte schon vor Jahren ähnliche Fragen gestellt und damals sein Veto gegen das Bauvorhaben eingelegt. Erst als der Investor sich bereit erklärte, den Anteil der Wohnungen zu erhöhen und den Hotelbereich zu verkleinern, zog die Verwaltung ihre Einwände zurück.

Kurz vor zehn Uhr macht sich Elektra mit ihren Mitbewohnern auf, die Wagenburg zu retten. Die meisten fahren mit dem Fahrrad zum Bezirksamt. Der runde Tisch ist in Wirklichkeit rechteckig, und weiter könnten die beiden Parteien nicht voneinander entfernt sitzen. Auf der einen Seite hat Baustadträtin Dubrau zusammen mit dem Vertreter der Investoren, Uwe Mikrikow, Platz genommen, auf der anderen Seite sitzen die Bewohner, die sich als Verein »Menschen in äußerster Erregung« vorstellen.

Dazwischen sitzt der Anwalt der Wagenburgler, Moritz Heusinger. »Unsere Hoffnung«, wie Elektra sagt. Und weil sie die Hoffnung nicht aufgeben wollen, lassen sie ihren Anwalt sprechen. Er hält es für »extrem problematisch, in so kurzer Zeit ein neues Grundstück zu finden«, und sagt, dass es hier »um Menschen geht und eine Lebensidee, die Akzeptanz braucht und verdient«.

Doch den Investoren-Repräsentanten Mikrikow interessiert das nicht. Ihm kann es mit dem Abzug der Wagenburg gar nicht schnell genug gehen und gibt den Wagenburglern vierzehn Tage. »Zwei Wochen«, sagt er noch einmal, hebt den linken Arm und spreizt Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen.

Dann zählt Mikrikow auf, was alles getan werden muss. Er redet von Erdarbeiten und Grundstückssicherung, von Baustelleneinrichtung und Baumfällung. Der anwesende Bauingenieur sieht das anders. Er spricht von infrastrukturellen Maßnahmen und meint, dass Bewohner und Bauarbeiter eine Weile koexistieren könnten. »Aber dann kommt ein Zeitpunkt, nennen wir den mal Stunde Null, da müssen wir uns voneinander trennen.«

Die Stunde Null kommt schneller, als die Wagenburgler das gedacht hätten. »Heute gibt's eine Lösung, und wenn's 'ne Marathonsitzung wird«, erklärt Mikrikow und bittet den Rechtsanwalt heraus zum Gespräch. Als sie zurück in den Raum kommen, ist der Deal perfekt: Auch wenn Sozialstadträtin Ines Saager (CDU) den Seniorenbereich weiterhin für überflüssig hält, werden Hotel und Seniorenheim nun gebaut.

Auch die Wagenburgler verpflichten sich, das Grundstück innerhalb von vier Wochen zu räumen.Die Eigentümer zahlen 45 000 Mark an die Bewohner - als Pacht für eine Ersatzfläche.

Wohin es geht, ist noch nicht klar, nur im Prenzlauer Berg könne die Wagenburg nicht bleiben, so Baustadträtin Dubrau. Von diesem Stadtteil möchten sich die Bewohner aber nicht so schnell verabschieden und kündigen an, trotzdem hier auf Alternativstandortsuche zu gehen. Nach Ablauf der Frist wird Elektra ihren Wagen wieder hinter den blauen Trecker spannen und losfahren. Nur wird die Fahrt diesmal nicht vier Tage dauern.