Prozess gegen Hamburgs »Richter Gnadenlos«

Unwirtliche Einzelzellen

Ein Rechter will der Hamburger Richter Schill nicht sein. Dennoch klagt er über den »politischen Prozess«, der jetzt gegen ihn eröffnet wurde.

Seinen Großvater hat er persönlich nicht mehr kennengelernt. Dessen Name aber ist seine Visitenkarte. Angenehm, Schill, »geboren als Enkel des von den Nazis 1944 ermordeten Widerstandkämpfers Kurt Schill«, teilt er gleich im ersten Satz der Vita mit, die er bei der Gründung seiner »Partei rechtsstaatliche Offensive (Pro)« Mitte Juli in Umlauf brachte.

Ein solcher Großvater macht unanfechtbar. Mit ihm, führt der Hamburger Amtsrichter Ronald Schill gerne an, verbindet ihn vieles. Wegen dessen Schicksal »verabscheut« er heute Neonazis. Und wie schon seine Vorfahren werde auch er nun politisch verfolgt. Weil in den heutigen Verhältnissen seine Meinung missliebig sei.

Heute würden selbst die Schulen missbraucht, um » zu einem Umbau der Gesellschaft im Sinne linker Theorie zu gelangen«. Die Politik verschließe die Augen davor, dass »Drogenkuriere in Kurdistan und im Kosovo angeworben werden, indem man ihnen Filme über den Luxus deutscher Strafanstalten zeigt«. Und weil er, Schill, all das enttarnt und damit den Willen des Volkes artikuliert, werde er nun abgestraft. Allein deshalb hätten ihn die ideologisierten Ermittlungsbehörden von der Richterbank auf die Anklagebank gesetzt.

Dort hat er am Montag vergangener Woche Platz genommen - als erster Richter der hanseatischen Justizgeschichte, dem Straftaten im Amt vorgeworfen werden. Er soll eine Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung begangen haben, indem er im Mai 1999 zwei Prozesszuschauer aus der linken Szene in Ordnungshaft nehmen ließ und die sofort eingereichte Beschwerde erst an das zuständige Gericht weiterleitete, als die beiden schon drei Tage im Gefängnis saßen.

Verhandelt wird im Staatsschutzsaal 337, in dem die ZuschauerInnen hinter einer Trennscheibe sitzen, so wie Schill sie auch für die BesucherInnen von Strafgefangenen errichten wird, sollte sein Traum Wirklichkeit werden und er nach der Bürgerschaftswahl Innensenator von Hamburg sein. Sollte er verurteilt werden, wäre der Traum allerdings geplatzt. Die Mindeststrafe lautet ein Jahr Freiheitsentzug. Damit gälte er juristisch als »Verbrecher«, und ein solcher kann weder ein Regierungsamt bekleiden noch auf der Richterbank sitzen.

Schill aber ist sich des Freispruchs sicher. Er hat seinen Großvater, er hat ein tiefes »Gerechtigkeitsempfinden« und er weiß, dass er Recht hat. Hätte er die beiden Prozesszuschauer damals tatsächlich in der Ordnungshaft schmoren lassen wollen, hätte er sie auch für sieben Tage einsperren können. Ergo kann sich nun wirklich niemand beschweren, der nur drei Tage in der Zelle saß, weil er beim Urteil nicht aufrecht stand und dadurch dem Gericht seinen Respekt verweigerte.

Schill wird noch zur Sache aussagen, kündigte er an. Seine Statements pflegt er in einem Rahmen abzugeben, den er sich selber dafür sucht. Bei Gericht äußerte er sich bisher nur auf dem Flur vor laufenden Fernsehkameras. Vor zwei Wochen hat er sich eine Gelegenheit geschaffen, seine Meinung in der Öffentlichkeit kundzutun. Da ging der Richter in den Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, um anlässlich eines familieninternen Mordes die mangelnde Innere Sicherheit anzuprangern. Bei der Gelegenheit kündigte er siegessicher an, er werde freigesprochen, »hundertprozentig«. Wieso? »Weil es ein politischer Prozess ist«, denn er habe »Bodenhaftung«, die anderen Politiker nicht. Viele Passanten klatschten Beifall.

Steht er nicht auf der Kirmes in Wilhelmsburg, eine Bratwurst mit Senf in der Hand, während der Bürgermeister edel im Rathaus zu Mittag speist? Schills politische Vorbilder sind Edmund Stoiber (CSU) und der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani, der Erfinder des Zero-Tolerance-Konzepts.

Auch in Hamburg wird es null Toleranz selbst bei Bagatelldelikten geben, sollte der Mann, der sich mit harten Urteilen den Beinamen »Richter Gnadenlos« erwarb, eines Tages Innensenator sein. Bis zu 15 Jahren Haft schlug er für den stadtbekannten Graffiti-Sprayer »OZ« vor. Außerdem, so das Programm seiner Pro, wird »das Kartell strafunwilliger Jugendrichter aufgelöst« und »kriminelle Infektion« vermieden, indem Strafgefangene in »unwirtliche Einzelzellen« gesteckt werden. Aber er selbst auf der Anklagebank, das ist etwas anderes. Das ist Politik.

Seit Schill sich zum Märtyrer erklärte, sammelt er Disziplinarverfahren wie Ehrennadeln. Die Erinnerung an das »richterliche Mäßigungsgebot«, nachdem er in einer Talkshow die Einführung der Todesstrafe gefordert hatte - Politik. Die Dienstaufsichtsbeschwerde, weil er eine widerrechtlich hohe Strafe für »OZ« empfahl - Politik. Und wer so drastische Abwehrreaktionen provoziert, der muss getroffen haben, in die Wunde, mittenrein. Der spricht mit Volkes Stimme und führt der Politik vor Augen, dass sie das schon lange nicht mehr für sich in Anspruch nehmen kann.

Laut haben seine Anhänger aufgejault, als Schill Anfang des Jahres ans Zivilgericht versetzt wurde. »Mundtot« werde der gemacht, der sich zum Anwalt des kleinen Mannes ernannt hat. Schon jetzt ergeht die Warnung, den etablierten Parteien werde bei der kommenden Bürgerschaftswahl ein »Denkzettel« verpasst, sollte die Justiz den Richter zum Verbrecher erklären. Seine Akten beim Zivilgericht bearbeitete er schon lange nicht mehr, ehe er kurz vor Prozesseröffnung vorläufig vom Dienst suspendiert wurde. Rund 480 Fälle blieben liegen. Er sei befangen, teilte er lapidar mit.

Dafür, dass man ihn als Rechtspopulisten tituliert, hat Schill nur ein verächtliches Schnauben übrig. Denn er will doch nur die Verhältnisse ändern, wegen »der immer stärker werdenden Verschiebung politischer Schwerpunkte zu Gunsten der Randgruppen und zu Lasten der Normalbürger«. Der Jörg Haider Hamburgs soll er sein, weil er dem österreichischen Rechtsextremisten zugute hält, ein treffsicheres Gespür für den Menschen auf der Straße zu haben. Und weil er mal die Wahrheit sagt: »Das Boot ist voll.« Um dem zu begegnen, hat er ins Parteiprogramm geschrieben, dass die Pro sich »mit Nachdruck für die Interessen der ausländischen Mitbürger einsetzt, die legal nach Deutschland eingereist sind und hier ein Leben ohne Straftaten führen«.

»Wir machen auch Sozialpolitik«, verkündete er vor zwei Wochen lautstark auf der Kirmes in Wilhelmsburg. Er verwies auf sein Parteiprogramm. In der Tat findet sich dort eine Seite mit dieser Überschrift und acht Punkten, die Schill zum Stichwort Sozialpolitik eingefallen sind. Über einen Schwangerschaftsabbruch, steht dort zu lesen, entscheidet in den ersten Wochen die Frau. Außerdem, teilt Schill als Sozialpolitiker mit, sind »Mann und Frau gleichwertig und gleichberechtigt«. Das hatte vor ihm schon das Grundgesetz festgestellt.

Spricht Richter Schill nicht gerade in Wilhelmsburg zum kleinen Mann, gehört die Bratwurst nicht unbedingt zu seinen Leidenschaften. Mit seiner Freundin Katrin Freund geht er Segeln und Fallschirmspringen, und »die Frau an seiner Seite«, verrät die Pro, »isst am liebsten gegrillte Scampis«. Oder Spaghettis. Geht das aufstrebende Paar gemeinsam aus, werden Freund diese vor allem in ausländischen Restaurants kredenzt. Schill nämlich, sagte er jüngst, speist fast nur in ausländischen Lokalen. Ein Mann wie er kann doch kein Rechter sein.