Neubestimmung von Antifa-Politik Den Papiertiger reiten.

Den Papiertiger reiten

Am 7. Oktober soll in Berlin nicht nur gegen die NPD, sondern auch gegen Abschiebeknäste demonstriert werden. Mehr Antirassimus könnte der Antifa aus ihrer aktuellen Sinnkrise helfen.
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Antifa ist gesellschaftsfähig geworden. Bündnisse gegen rechte Gewalt sprießen aus dem Boden. Grüne Spitzenpolitiker und der Bundestagspräsident besuchen Antifa-Gruppen, die Berliner Zeitung fordert den Bundeskanzler auf, das auch zu tun - Deutschland einig Antifa. Natürlich reagiert die Linke auf diese Umarmungsversuche skeptisch bis ablehnend. Langsam wird es auch den Letzten klar: Mit reinem Anti-Nazi-Kampf ist keine revolutionäre Politik zu machen. Auch dimitroffsche Kommunisten, die schon immer den Kampf gegen die Ausbeutung als die eigentliche Antifa-Politik angesehen haben, trumpfen auf, ebenso wie die antideutsche Bahamas-Fraktion.

Sie übersehen jedoch, dass es bei Antifa-Politik gar nicht nur um die Revolution gehen kann, sondern schlicht um Notwehr. Wenn Antifas - gerade im Osten - nicht um jeden Meter Straße gekämpft hätten, sähe es heute mit der rechten Dominanz in national befreiten Zonen noch viel schlimmer aus. Wer auf Antifa-Arbeit verzichtet, überlässt das Land widerstandslos den Nazi-Schlägern und akzeptiert eine rein deutsche Bevölkerungsstruktur - das scheint die vornehmlich weißen deutschen Bahamas-Redakteure jedoch nicht so sehr zu beunruhigen.

Bei einer Veranstaltung der Bahamas Anfang September in Berlin lehnten die Antideutschen Antifa-Politik grundsätzlich ab, neben anderen war dort auch die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) Zielscheibe der Kritik. So warf man der Organisation vor, mit ihrer Mobilisierung gegen die NPD-Zentrale in Köpenick am 7. Oktober »gemeinsame Sache mit Stoiber« zu machen. Dies beweist jedoch nur, dass es Bahamas bei ihren Polemiken weniger auf Fakten ankommt als auf die Verbreitung von Klischees. Die AAB hat durchaus dazugelernt: Sie mobilisiert nicht nur zur NPD-Zentrale, sondern führt ihre Demonstration auch zum Abschiebeknast in Grünau, um auf den Zusammenhang zwischen staatlicher Flüchtlings- und AusländerInnenpolitik und dem Nazimob auf der Straße aufmerksam zu machen.

Nachdem die autonome Linke schon seit Jahren Antirassismus als wichtigen Politikansatz erkannt hat, scheint nun auch die AAB nicht mehr an diesem Thema vorbeizukommen. Deren klassische Anti-Nazi-Politik hat sich nach diesem Sommer endgültig als kompatibel mit dem herrschenden System erwiesen. Und die symbolischen Schauläufe am 1. Mai und zur Luxemburg-Liebknecht-Demo, mit denen man den sozialistischen, den revolutionären Anspruch zum Ausdruck bringen wollte, können auf Dauer kein Ersatz für praktische Politik jenseits von Anti-Nazi-Kampagnen sein.

Das weitere Vorgehen wird in den diversen Antifa-Kreisen zur Zeit heftig diskutiert. Während die AA/BO nun merkt, dass ihr Gerede vom revolutionären Antifaschismus ein Papiertiger war, müssen die eher auf Recherche spezialisierten Antifas feststellen, dass sie in vielen Fällen Zuarbeit für den Verfassungsschutz geleistet haben. Nicht umsonst baten unabhängige Antifa-Gruppen jüngst in Berlin grüne Spitzenpolitikerinnen zum Gespräch, um ihnen etwas Geld zu entlocken. Es ist ernüchternd: Nur wenige antifaschistische Praxisformen sind bislang nicht vom Zivilgesellschaftsdiskurs vereinnahmt worden. Und das wohl nur deshalb, weil ihnen schlicht die rechtsstaatliche Grundlage fehlt.

Mit Antifa allein ist eben keine linke Politik zu machen. Beim Thema Antirassismus sieht das anders aus, auch was die Bündnisfrage angeht. Während es legitim sein mag, gegen Nazi-Aufmärsche und Nazi-Gewalt Bündnisse bis hinein in die Sozialdemokratie zu suchen, ist dies für antirassistische Praxis ausgeschlossen. Mit den Verantwortlichen der herrschenden rassistischen AusländerInnen- und Flüchtlingspolitik aus SPD und Grünen kann und darf man weder ein Grenzcamp veranstalten, noch vor einen Abschiebeknast ziehen. Allein die Tatsache, dass die Demo am 7. Oktober nicht nur zur NPD-Zentrale, sondern auch zum Abschiebeknast in Grünau führt, wird verhindern, dass Otto Schily und Antje Vollmer in der ersten Reihe laufen. Die Verknüpfung beider Themen und die Demo-Route waren jedoch im Vorbereitungsbündnis durchaus umstritten.

Antirassismus ist nur dann ein linkes Thema, wenn er sich nicht auf die Betreuung von Nazi-Opfern oder den Schutz von Flüchtlingsheimen beschränkt. Die Grenzcamps der letzten Jahre haben eine Perspektive aufgezeigt: Rassismus wurde als konstituierendes Element der Gesellschaft analysiert, und all seine Ausdrucksformen wurden thematisiert und angegriffen - das BGS-Grenzregime und die Abschiebemaschinerie ebenso wie der rassistische Konsens in der Bevölkerung und der organisierte Neofaschismus. Bündnisarbeit gab es dabei kaum, dennoch erreichte man zumindest an den jeweiligen Orten eine enorme öffentliche Wirkung.

Bei der jetzt notwendigen Neubestimmung politischer Strategien stellen sich einige konkrete Fragen: Wie will die Antifa in Zukunft mit Nazi-Aufmärschen umgehen? Überlässt sie endgültig den Thierses und Beers die Aufgabe, Gegenöffentlichkeit zu schaffen? Wenn die Zivilgesellschaft gegen Nazi-Aufmärsche aktiv wird, was macht dann die ach so revolutionäre Antifa? Geht sie auch dahin und versucht mit speziellem Outfit und demonstrierter Militanz besonders radikal zu wirken? Und wenn die CDU fordert, mehr Geld für den Verfassungsschutz zur Verfügung zu stellen, damit man Nazi-Strukturen besser ausforschen kann, fällt der Antifa dann nichts ein, als ebenfalls Staatskohle für diesen Job zu fordern? Konnten die Sinnkrise der autonomen Linken und die inhaltlichen Schwächen in den letzten Jahren durch das Themen- und Ereignisfeld Antifa übertüncht werden - heute ist dies nicht mehr möglich. Die neuen Fragen betreffen daher nicht nur die Antifa, sondern die gesamte radikale Linke.