Benzinpreis und nationale Formierung

Der ideelle Gesamtbrummi

Bier und Benzin sind die Schmiermittel der Republik. Einschneidende Veränderungen der Preise können für die Regierung zur Gefahr werden. Äußerste Vorsicht ist geboten. So erklärt sich auch, dass die Benzinpreiserhöhung von 30 Pfennig auf fünf Stufen à sechs Pfennig pro Liter gestreckt und für die grüne Klientel mit dem Etikett Öko versehen wurde.

Der Widerstand der Opposition bleibt hilflos. Dort setzt man auf eine Konfrontation mit der Regierung und schielt neidisch nach Frankreich. Allerdings verliefen die Proteste der Brummifahrer »äußerst kooperativ«. So freute sich ein Polizeisprecher über die »Nichts-geht-mehr«-Aktion und das ausbleibende Verkehrschaos am letzten Dienstag in Berlin.

Anders als in Frankreich werden in Deutschland soziale Konflikte nicht konfrontativ, sondern im Konsens gelöst. Dazu muss eine Gemeinschaft beschworen werden. Für diese Aufgabe ist zur Zeit in der SPD turnusmäßig Generalsekretär Franz Müntefering zuständig: »Wir sollten im Interesse des Landes eine gemeinsame Linie gegen die Ölmultis organisieren.« Taugt ein sozialer Konflikt zur nationalen Formierung, kann zum Kampf gegen den Bösewicht mobilisiert werden: den Scheich oder den Multi.

Diese Mobilisierungsfertigkeit besitzt die Opposition zur Zeit nicht. Geradezu dankbar schnappt sie daher nach jedem Knochen, der ihr zur Inszenierung einer Kampagne hingehalten wird. Neueste Auflage: die »(Ö)K.o.-Kampagne, angeführt von der »Mutter Teresa aller Trucker« (SZ) Angelika Merkel oder dem Aufkleber verteilenden Ruprecht Polenz. Sie appellieren nicht an das nationale Kollektiv, sondern an den betrogenen kleinen Mann und fordern von der Ökosteuer, zu sein, was sie niemals vorgab: nämlich sozial und ökologisch.

Im Koalitionsvertrag ist die Reform unter der Rubrik »Senkung der Lohnnebenkosten« aufgeführt. Die Mehreinnahmen werden, wie in dem Papier festgehalten, zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet. Von ökologischer Verkehrsplanung oder Wirtschaftslenkung war dagegen nur in den Wahlkampfpapieren der beiden späteren Regierungsparteien die Rede, nicht mehr jedoch im Koalitionsvertrag.

Das parteipolitische Interesse an solchen Kampagnen ist nur allzu offenkundig. Immerhin haben CDU/CSU und FDP die Mineralölsteuer zwischen 1969 und 1998 von 35 Pfennig auf circa eine Mark fast verdreifacht. Dagegen nimmt sich die rot-grüne Benzinpreiserhöhung geradezu bescheiden aus.

Dass sich CDU und CSU zu Parteien des Straßenprotestes entwickeln, bezeugt ihre derzeitige Schwäche, souverän das nationale Kollektiv anzurufen. Immerhin können sie gelegentlich für eine autofreie Innenstadt sorgen: Drei Stufen der Ökosteuerreform stehen noch aus.