Krise von Labour

Rebellion der rüstigen Rentner

Der britische Regierungschef Tony Blair hat auf dem Labour-Parteitag seine bisher schwerste Niederlage hinnehmen müssen.

Der vernichtende Bericht hätte für die Führung der Labour-Partei zu keinem schlechteren Zeitpunkt erscheinen können. Die von ihr geplante Teilprivatisierung der Londoner U-Bahn sei teuer, unwirtschaftlich, riskant und gefährde die Sicherheit der Passagiere, heißt es in dem vergangene Woche veröffentlichten Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission.

Labours »öffentlich-private Partnerschaft«, nach der Privatunternehmen einen Teil des U-Bahn-Netzes betreiben sollen, könne nur gutgeheißen werden, wenn den Firmen strikte Auflagen gemacht würden. Doch das Gegenteil sei der Fall. Die Firmen dürften die ohnehin miserablen Standards der Londoner Tube sogar noch unterschreiten. Viel vernünftiger als eine Teilprivatisierung sei es, die Mittel für die dringend benötigten Investitionen über Anleihen aufzutreiben und das U-Bahn-Netz in öffentlicher Hand zu belassen.

Der Bericht bestätigte im Wesentlichen die Auffassungen des linken Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone, der nicht zuletzt wegen seiner Kritik an Labours U-Bahn-Plänen gegen die Parteilinie rebelliert hatte und dafür ausgeschlossen worden war. Und er wurde just zu Beginn des Labour-Parteitags publik, der vergangene Woche im britischen Seebad Brighton stattfand.

Der Kongress war wichtig. Erstens dürfte er der letzte Parteitag vor der Unterhauswahl sein, die aller Wahrscheinlichkeit nach im nächsten Frühjahr stattfindet, und zweitens steckt die Regierungspartei - will man den Demoskopen glauben - zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt 1997 in einem Popularitätsloch. Eine ganz neue Erfahrung für den erfolgsgewohnten Premierminister Anthony Blair.

Missmut gibt es schon lange. Die Regierung, die viele für arrogant und kontrollbesessen halten, hatte sich ganz auf den prosperierenden Süden konzentriert und die früheren Labour-Hochburgen im Norden weitgehend vernachlässigt. Die Warteschlangen vor den Krankenhäusern sind nicht kürzer geworden und die Armut hat eher noch zugenommen. Die Arbeitslosenzahlen sanken zwar, aber dafür zahlen all jene, die nun zwei oder gar drei Jobs erledigen müssen, da der Lohn einer Arbeitsstelle zum Leben nicht mehr reicht.

Dass Großbitannien die geringsten Unternehmens- und Einkommenssteuersätze in ganz Europa hat, nutzt der unteren Hälfte der Gesellschaft nicht viel - hier zahlt man vor allem Verbrauchssteuern, und die gehören längst zu den höchsten der Welt. Der Schatzkanzler erhöht jährlich die Abgaben - eine Schachtel Zigaretten kostet beispielsweise über fünf Euro - und verschlimmert so das Missverhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern. Dieser Umstand erklärt auch, weshalb die vergleichsweise harmlosen Proteste gegen den Benzinpreis, an denen sich nur einige Spediteure und Bauern beteiligten, auf Sympathie stießen.

Doch an der ungerechten Steuerpolitik, das machten Schatzkanzler Gordon Brown und Premier Blair in ihren Parteitagsreden klar, wird sich nichts ändern. Die Konservativen dürften nicht das Monopol auf niedrige Steuern beanspruchen, sagte Brown in seiner umjubelten Ansprache, und kündigte weitere Senkungen der direkten Steuern an.

Die Regierung setzt auf Kontinuität. Schon im Wahlkampf 1997 hatte New Labour versprochen, die von Margaret Thatcher initiierte Privatisierungspolitik weiterzutreiben und die direkten Steuern zu senken. Dabei hatte sich damals schon die Mehrheit der Bevölkerung für Steuererhöhungen ausgesprochen, sofern die zusätzlichen Gelder sozialen Einrichtungen, dem Bildungswesen und dem Gesundheitssystem zugute kämen. Auch daran hat sich nichts geändert.

Dass Blair und Brown diese Stimmung nicht zu einer Kurskorrektur nutzen, liegt auch an dem Pakt, den sie mit Medienmagnaten wie Rupert Murdoch geschlossen haben, der unter anderem die auflagenstarken Boulevardblätter Sun und News of the World kontrolliert. Die Unterstützung der Sun hatte zum Wahlerfolg von New Labour beigetragen und der Premierminister dankte, indem er regelmässig Kolumnen für das Revolverblatt verfasste. Nun leidet Blair unter der Abhängigkeit, in er sich begeben hat. Will er die Unterstützung der vorwiegend konservativen Medien behalten, wird er seine Politik fortsetzen müssen.

Dagegen kommt offensichtlich auch die wachsende Opposition in den eigenen Reihen nicht an, die ein Ende der Privatisierungen, bessere Eisenbahnen und einen Stopp des Sozialabbaus fordert. Die Labour-Führung hat noch nicht einmal Konsequenzen aus ihrer Niederlage bei der Bürgermeisterwahl in London gezogen. Nur in einem Punkt gaben Blair und Brown in Brighton nach: Um eine Revolte der Gewerkschaften und der RentnerInnen abzuwenden, versprachen sie, die Renten leicht anzuheben.

Seit diese nicht mehr an das Lohnniveau gekoppelt sind, ist die ältere Bevölkerung von einer Massenarmut betroffen. Mindestens vier Millionen Menschen müssen mit der Mindestrente von umgerechnet 420 Euro im Monat auskommen. Selbst wer noch eine Betriebsrente in gleicher Höhe bezieht, hat nicht genug zum Leben. Insbesondere die Gewerkschaften hatten daher eine Rückkehr zum alten System einer automatischen Anpassung der Altersbezüge an die Einkommensentwicklung gefordert und sich in der Abstimmung durchgesetzt. Für die Regierung war dies ihre bisher schwerste Niederlage auf einem Parteitag, da Blair die Forderung zuvor noch mit der Begründung abgelehnt hatte, kommende Generationen nicht zu sehr belasten zu wollen.

In anderen Bereichen wird jedoch genau dies getan. Die Tatsache, dass der britische Staatshaushalt mittlerweile Milliarden-Überschüsse aufweist, hat auch mit Labours »Privater Finanzierungs-Initiative« (PFI) zu tun.

Dieser Begriff umschreibt die mittlerweile gängige Praxis, öffentliche Investitionen privatem Kapital zu überlassen. Krankenhäuser, Schulen und selbst Strassen werden nicht mehr vom Staat, sondern von Privatunternehmen gebaut, die dafür jährlich eine Nutzungsgebühr kassieren. Der Vorteil: Die jeweilige Regierung spart die Anfangsinvestitionen und entlastet so den Haushalt. Der Nachteil: PFI kommt auf Dauer viel teurer, da auch künftige Generationen noch für den Profit der Unternehmen zahlen müssen.

Der Artikel erschien zuerst in der WoZ, 39/00.