Scheitern der Rentenkonsensgespräche

Rente auf Raten

Rot-Grün geht aufs Ganze: Nach dem Ausstieg der CDU aus den Rentenkonsensgesprächen kann nur noch das Bundesverfassungsgericht die Pläne von Arbeitsminister Riester stoppen.

Vielleicht haben Sie es noch gar nicht gemerkt. Kann schließlich vorkommen zwischen Sommerurlaub und Rückkehrstress. Trotzdem kommen sie um die freudige Erkenntnis nicht herum. So weit entfernt das Datum Ihnen auch erscheinen mag, Sie sind ihm wieder ein paar Tage näher gekommen - dem Ende des Arbeitslebens. Deshalb sollten Sie etwas genauer hinhören, wenn im Bundestag wieder von Generationengerechtigkeit die Rede ist, von der Überalterung der Gesellschaft und davon, dass das bestehende Rentensystem nicht mehr finanzierbar sei.

Denn ob es nun um den von Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) geprägten Begriff des demographischen Faktors oder um die Nettoanpassungsformel geht, die sein Nachfolger Walter Riester (SPD) in die Debatte gebracht hat, eines steht dabei doch immer außer Frage: Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sollen gesenkt werden - und in der Folge auch das Rentenniveau.

So gesehen bietet die Debatte um die Zukunft der Rente, die immer weniger Menschen erhalten werden, erstaunliche Reize auch für jüngere Zeitgenossen. Schließlich geht es um Geld - um Ihr Geld. Riesters Ziel ist es, die Beitragssätze über einen Ausgleichsfaktor auf maximal 22 Prozent zu halten, was bei Neurentnern im Jahr 2030 zu einer Senkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent ihres vorherigen Nettolohns führen würde.

Riesters Vorschlag schaffe erstmals in der Geschichte der Altersversicherung »Rentner verschiedener Klassen«, wetterte auch CDU-Chefin Angela Merkel, weil alle schlechter gestellt würden, die von 2011 an in Ruhestand gingen.

Doch der Arbeitsminister hat sich abgesichert. Damit nach dem Ende der Arbeitszeit trotzdem ausreichend Geld übrig bleibt für die Mehrheit der Lohnabhängigen, sollen diese künftig durch private Einlagen in Höhe von mindestens vier Prozent ihres Einkommens selbst vorsorgen. Jenes Erfolgsmodell des Rheinischen Kapitalismus, das sich paritätische Finanzierung der Rente durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer nennt, hätte dann ausgedient. Während Unternehmer künftig einen auf elf Prozent eingefrorenen Beitragssatz zu berappen hätten, stiege der Arbeitnehmeranteil auf 15 Prozent. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass Rot-Grün einen Zuschuss zur privaten Vorsorge bereitstellen will, der im nächsten Jahr 2,6 Milliarden Mark betragen und fortan kontinuierlich bis auf 19,8 Milliarden Mark im Jahr 2008 steigen soll.

»Die Kürzung des Rentenniveaus würde viele Rentnerinnen und Renter zu Sozialhilfeempfängern machen«, hatte die SPD noch 1998 in ihr Wahlprogramm geschrieben und versprochen: »Die SPD-geführte Bundesregierung wird die unsoziale Rentenpolitik unmittelbar nach der Bundestagswahl korrigieren.« Doch nichts gewesen außer Spesen: Neben den Beziehern kleiner Einkommen sind vor allem Frührentner, Erwerbsunfähige und - wegen ihrer geringeren Lebensarbeitszeiten - Mütter von den SPD-Plänen betroffen.

Leichter auszumachen als die Verlierer sind eigentlich nur noch die Gewinner der vermeintlichen Reform. Neben den gut verdienenden Lohnabhängigen sind das vor allem die großen Unternehmen. Ganz besonders profitieren dürfte hier die Versicherungswirtschaft, die mit dreistelligen Milliardenbeträgen aus der Privatvorsorge rechnen kann.

Ach, was waren das für Zeiten, als der verhinderte Gesundheitsminister und neue deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dressler, als Vorsitzender einer SPD-Alterssicherungskommission verkünden konnte: »Es gibt keine Begründung für einen grundsätzlichen Systemwechsel in der Alterssicherung.« Im Gegenteil sei »das System der gesetzlichen Rentenversicherung (...) dauerhaft finanzierbar«. Doch von den markigen Ankündigungen aus der Oppositionszeit spricht in der SPD keiner mehr, und auch wenn die CDU am Wochenende den Ausstieg aus den Rentenkonsensgesprächen verkündete, sind sich Regierung und Opposition hier weitgehend einig. Formalfragen regelt dann eben der Vermittlungsausschuss.

Auch die Gewerkschaften, die vor Monaten noch mit einem »heißen Herbst« gedroht hatten, sind eingeknickt. Während sie die Privatvorsorge anfangs völlig ablehnten, begrüßen inzwischen selbst Gewerkschaftslinke wie der Vorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, die Privatisierung sozialer Risiken. Seine Begründung ist eine Sonderrente wert: »Wir haben ja auch nichts gegen Wohnungseigentum.«

Die einzige im Parlament vertretene Partei, die sich grundsätzlich gegen die Privatfinanzierung der Rente ausspricht, ist die PDS. Als »Wahnsinn mit Methode« beschreibt Heidi Knake-Werner, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, die aktuellen Pläne von Regierung, FDP und Union. Würden die Ziele umgesetzt, bedeute dies das Ende der »solidarischen Umlagefinanzierung«. Und die Unternehmer würden »aus der Pflicht zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme« entlassen.

Lediglich das Bundesverfassungsgericht könnte der großen Rentenkoalition einen Strich durch ihre Pläne machen. Der von der SPD abgelehnte Vorschlag von Finanzminister Hans Eichel, nicht mehr die eingezahlten Beiträge, sondern die später ausgezahlten Renten zu besteuern, könnte durch das Votum aus Karlsruhe doch noch erzwungen werden.

Doch selbst der beim Sozialabbau nicht zimperlichen Rentenexpertin der grünen Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckhardt, ging Eichels Vorschlag einer nachgelagerten Besteuerung zu weit. Die Politik dürfe sich nicht von Richtern abhängig machen, wetterte Göring-Eckhardt, die die Renten wohl lieber selbst kürzen will. Aber erst nach der nächsten Bundestagswahl. Denn würde die nachgelagerte Besteuerung jetzt eingeführt, fiele das Rentenniveau unter 60 Prozent - was für die Opposition ein Wahlkampfthema wäre. Ähnliche Überlegungen dürften auch Bundeskanzler Gerhard Schröder dazu bewogen haben, Riester erst einmal zurückzupfeifen.