Ein Jahr Widerstand gegen Schwarz-Blau

Daueraufstand der Anständigen

Ein Jahr Proteste gegen Schwarz-Blau in Österreich: Der Widerstand ist getragen von der Liebe zu den kleinen Leuten.

Nach einer mehr als einmonatigen Schrecksekunde reagierte das so genannte Andere Österreich am 12. November 1999 auf den erfolgreichen »Stopp der Überfremdung«-Wahlkampf der FPÖ. Mehr als 30 000 demonstrierten auf Einladung der Demokratischen Offensive gegen eine drohende »Koalition mit dem Rassismus« und taten damit so, als hätte die vorangegangene Regierung etwas ganz anderes dargestellt.

Als echte PatriotInnen wollten die OrganisatorInnen der Demo und ein Großteil der TeilnehmerInnen die Beschädigung des internationalen Ansehens abwehren, welche der Republik aus einer Regierungsbeteiligung der FPÖ erwachsen würde. Bei dieser Inszenierung versicherten sich die »Anständigen« wechselseitig, dass Österreich kein Nazi-Land sei: »Mehr als 70 Prozent haben diese Partei nicht gewählt!« tönte es. Aber auch die Haider-WählerInnen wurden in Schutz genommen. Beim FPÖ-Anhang handle es sich mehrheitlich nicht um RassistInnen und AntisemitInnen, sondern um fehlgeleitete Unzufriedene, die nicht auszugrenzen, sondern zurückzuholen seien.

Der Einengung des Problems auf die FPÖ entsprach am 12. November 1999 auch die Auswahl der RednerInnen. Hochrangige PolitikerInnen aus ÖVP und SPÖ konnten blumige Bekenntnisse gegen den Rassismus - der anderen - abgeben. Bei dieser Gelegenheit tat sich jedoch erstmals offener Widerspruch auf. Die Reden der PolitikerInnen wurden von lauten Pfiffen begleitet, Eier flogen. Und bei der Abschlusskundgebung versuchten ein paar AktivistInnen vor der Bühne ein Transparent mit der Aufschrift »PatriotInnen sind IdiotInnen« hochzuhalten. Sie wurden umgehend als »Nazis« beschimpft und körperlich attackiert.

Frei von jeder politischen Phantasie, antworteten die offensiven DemokratInnen auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ am 19. Februar 2000 mit einer weiteren Großdemonstration. Diesmal sollte die Inszenierung reibungslos über die Bühne gehen, und deshalb wurde mit der Polizei vereinbart, dass diese die gefürchteten Autonomen von der Demo isolieren sollte. Die rund 200 000 TeilnehmerInnen blieben auch in anderer Hinsicht unter sich. Während bei der Abschlusskundgebung nationale und internationale Showstars einander das Mikro in die Hand gaben, waren aktive MigrantInnen nicht als RednerInnen zugelassen. Nur ein türkisches Mädchen durfte an das Mitgefühl der Mitmenschen appellieren.

Als zivilgesellschaftlicher Arm der österreichischen Außenpolitik hat diese von Intellektuellen des Austro-Keynesianismus angeführte Bewegung ihre Pflicht erfüllt: Erfolgreich wurde dem Ausland vorgegaukelt, dass Österreich mehrheitlich nicht von einem ressentimentgeladenen Mob bevölkert sei.

Den Wettlauf mit der Regierung um den richtigen Patriotismus hingegen haben die demokratischen KritikerInnen der FPÖVP-Koalition verloren. Ihre Tätigkeit sahen sie von der Angst vor »negativen Auswirkungen für Österreich als Handelsplatz« (Grünen-Chef van der Bellen) geleitet. Die wieder einmal von der ganzen Welt verfolgten ÖsterreicherInnen erkannten gemeinsam mit ihrer Regierung die vaterlandsverräterischen Motive hinter dieser Kritik.

Je leidenschaftlicher die parteiförmige Opposition und ihr außerparlamentarischer Arm den eigenen Patriotismus hervorkehrten, desto schneller wurde ihre Kritik am österreichischen Tabubruch als heimtückische Verbrüderung mit den »Feinden Österreichs« (Jörg Haider) identifiziert. Weil in Österreich - und verstärkt unter dem Eindruck der so genannten Sanktionen der 14 EU-Staaten - kein Platz für Dissens und Nicht-Identität ist, verlegte man sich auf das, was euphemistisch »konstruktive Kritik« genannt wird. Die FPÖVP-Koalition wird im Prozess ihrer Normalisierung nun nicht mehr per se abgelehnt, sondern in einzelnen Bereichen - vor allem in der Sozialpolitik - kritisiert.

Ausgehend von den tagelangen, spontanen und überraschend militanten Protesten gegen die neue Regierung Anfang Februar bildete sich daneben in Wien ein loses Aktionskomitee gegen Schwarzblau. Dieses machte es sich zur Aufgabe, den Protest in einer allwöchentlichen Demo zu kanalisieren. Es kam, wie es kommen musste: Die Donnerstagsdemos, an denen sich zwischen 500 und 3 000 Leute aus unterschiedlichsten sozialen Milieus und politischen Zusammenhängen beteiligen, wurden rasch zum harmlosen, aber dafür geselligen Beisammensein der Restlinken.

In den seltenen Momenten der Konfrontation mit der Staatsmacht wird von den DemonstrantInnen mehrheitlich »Keine Gewalt!« gerufen, womit aber nicht die Polizei gemeint ist, sondern diejenigen, die sich ihr in den Weg stellen. Bei aller Eintönigkeit und Disziplin sind diese Demos aber immerhin ein sichtbarer Ausdruck der Weigerung, diese Regierung als normal hinzunehmen.

Angesichts der sozialen und politischen Heterogenität der DemonstrantInnen ist es schwer, gemeinsame Inhalte und Strategien über den allgemeinen »Widerstand« hinaus zu identifizieren. Es entspricht aber der Hegemonie linkssozialistischer und kommunistischer Gruppen, dass vorrangig gegen staatlichen Rassismus und Sozialabbau demonstriert wird. Dieser massenorientierte Flügel der Linken greift wie die rot-grüne Opposition die Regierung an und schweigt von deren Massenbasis.

Hatten die linken VolksfreundInnen schon vorher Schwierigkeiten, den Rassismus von unten zu benennen, gerät er nun vollständig aus dem Blick. Stattdessen wird ein Widerspruch zwischen der Regierung und dem Volk als deren Opfer behauptet. Einige DemonstrantInnen brachten ihre theoretischen Defizite anfänglich auch in Parolen wie »Wir sind das Volk« zum Ausdruck. Wenn aktive MigrantInnen die Donnerstagsdemos weitgehend meiden, so kann wohl niemand überrascht sein.

Dass der Rassismus nur als Erscheinungsform der politischen Macht bekämpft wird, hat seinen Grund in der anhaltenden Neigung der Linken zu den so genannten kleinen Leuten. Anstatt deren Zustand zu problematisieren, versucht diese Linke, mit Anti-Sozialabbauparolen massenwirksam zu werden.

Während sich die meisten DemonstrantInnen für die Opfer des Sozialabbaus stark machen, bleiben die Opfer des NS außen vor. Es war in Österreich tatsächlich möglich, fast ein Jahr lang gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren, ohne auf die Kämpfe der Überlebenden um Entschädigung einzugehen. Ein Transparent wie »Österreich denken, heißt Auschwitz denken« geht nicht nur unter, seine TrägerInnen werden auch angefeindet.

Dennoch gibt es immer mehr Leute, die sich von den sozialen Kämpfen der inländerfreundlichen Linken verabschieden und den österreichischen Normalzustand - dessen integraler Teil die Bewegung gegen die FPÖVP-Koalition ist - angreifen. Dass sie ihren Einfluss vergrößern, ist die einzige Hoffnung, die man nach einem Jahr des so genannten Widerstands noch hegen kann. Und dass dieser vielleicht wieder unberechenbarer wird.