»Lieber Fidel«

Fatal Attraction

In dem Doku-Thriller »Lieber Fidel« schildert Marita Lorenz ihr Leben für Castro und den CIA.

Marita Lorenz sitzt vor dem Fernseher, entspannt, aber mit konzentriertem Blick auf Fidel Castro, der eine seiner endlosen Reden hält. Früher sei er schöner gewesen. Der »Doku-Thriller« von Wilfried Huismann »Lieber Fidel - Maritas Geschichte« über das verworrene Leben der CIA-Agentin und Geliebten Castros Marita Lorenz beginnt in der Gegenwart, in einem kleinen, unspektakulär eingerichteten Apartment, Marke »Ältere Frau ohne Geld« - Katze, Hund, viele Kissen, Fernseher.

1959 hatte Lorenz Fidel Castro auf dem legendären Luxuskreuzer »Berlin« empfangen, der damals zum letzten Mal im Hafen von Havanna anlegte. Der Kapitän, Maritas Vater, schlief gerade. »Jetzt bist du auf einem Stück Deutschland«, sagt sie. »Ja, aber du bist auf meinem Wasser«, sagt er. Dann Händchenhalten unterm Tisch. Fotos und Originalfilmaufnahmen von der Kreuzfahrt zeigen Marita und Fidel, jung, schön und glamourös. Acht Monate verbringen die beiden im Hotel »Habana Libre«, dem legendären Headquarter der Fidelistas. Inmitten der Kubanischen Revolution nehmen sie sich die Freiheit für eine Affäre, die zumindest für Marita Lorenz folgenschwer war. Im sechsten Monat schwanger, stellt man sie mit Tabletten ruhig; es wird eine Abtreibung durchgeführt. Ob CIA oder Fidelistas dafür verantwortlich sind, scheint sie bis heute nicht zu wissen. Der Film lässt die Frage offen.

Castro verliert das Interesse, und Lorenz flieht zu ihrer Mutter in die USA. Hier tritt die CIA an sie heran und überredet sie, Castro mit Schellfischgift zu ermorden. Lorenz kehrt an den Ort ihrer ersten große Liebe zurück. Sicherheitsvorkehrungen kümmern Castro angesichts schöner Frauen wenig. »Mich kann man nicht töten«, wird er ihr sagen. Die Tabletten landen im Bidet. Den weiteren Verlauf der Begegnung beschreibt Lorenz knapp: »We made love.«

Auf die politischen Dimensionen ihrer Lebensgeschichte einzugehen, weigert sich die heute 61jährige konsequent. Nein, Politik habe sie nie interessiert. Sie sei Agentin, ja, aber eigentlich vor allem Soldatin gewesen, habe ihre beiden Kinder ernähren müssen. Egal, ob sie von ihrer Ehe mit Carlo Marco Jiménez, dem Ex-Diktator Venezulas, erzählt, von ihrer Arbeit für CIA und FBI, von der folgenschweren Aussage im Prozess um die Ermordung Kennedys, mit der sie die CIA schwer belastete, oder von den Attentatsversuchen auf sie oder von ihrem Abstieg zur Sozialhilfeempfängerin - immer geschieht dies in einer Mischung aus Arg- und Hilflosigkeit: »Das war eben so.«

Lorenz wurde in Bremen geboren. Ihre Mutter, eine amerikanische Filmschauspielerin, spioniert für die Alliierten und hilft Zwangsarbeitern. Sie fliegt auf, Mutter und Tochter - Marita ist fünf Jahre alt - werden nach Bergen-Belsen deportiert. Mit sieben wird Marita vergewaltigt. Auch das habe sie nicht kleingekriegt, nur »böse gemacht auf das Leben«. Und der Agentenberuf lag ja irgendwie in der Familie. Auch der Onkel arbeitete fürs FBI, bis Maritas Liaison mit Castro ihn in große Schwierigkeiten brachte. Später habe sie ihre Kinder auch öfter mitgenommen zur Arbeit. Spionage als Familienunternehmen.

Ihre Lebensgeschichte, die ein Stück Weltgeschichte streift, erzählt Lorenz im Format einer Liebesschnulze. Auf die Rückseite eines der Flugzettel - »Nieder mit Fidel!« -, die der CIA über Kuba abwerfen ließ, schrieb sie damals: »Fidel, ich liebe dich! Die Deutsche.«

Erstaunlicherweise glaubt man ihr, sowohl im Film als auch »live« im anschließenden Publikumsgespräch. Obwohl man nicht glauben will, dass ein Leben als einzige Frau zwischen 5 000 CIA-Agenten, ein Leben als Ex-Spionin auf der Flucht mit zwei Kindern keine eigenen Gedanken produziert haben soll. War der CIA wirklich so ein lausiger Haufen, ohne politischen Durchblick, aber mit viel Freude an Rambospielen? Jeder Schritt, den sie getan habe, sei vom CIA bestens dokumentiert, versichert Lorenz, alles sei nachzulesen, die Akten seien ja nun freigegeben.

Regisseur Wilfried Huismann folgt der unpolitischen, naiven Sichtweise seiner Protagonistin, lässt sie in der Erinnerung an den großen, aufregenden Fidel schwelgen. Nein, das sei kein politischer Film, versichert der dreifach mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete Fernsehjournalist. Er habe einen unpolitischen Film machen wollen. Diesem Leben sei nichts hinzuzufügen, es erzähle sich selbst. Ganz so naiv arbeitet sein Film jedoch nicht. Vorsichtig spielt er mit den Unglaubwürdigkeiten dieser wahren Geschichte und bricht die im braven Dokustil gedrehten Interviewsequenzen mit nachgestellten Szenen in Sex- und Crime-Ästhetik: Schilderungen von romantischen Liebesnächten im »Habana Libre« werden mit Aufnahmen von roten Spitzen-BHs auf durchwühlten Deckbetten kommentiert; das konspirative Treffen der CIA-Agenten, die einen weiteren Mordversuch planen, wird in billigster Mafiafilm-Manier nachgestellt. Fragt der Regisseur die beteiligten Agenten: »War's so?«, lächeln sie fast geschmeichelt. Doch an keiner Stelle distanziert Huismann sich von Lorenz. Sie ist das Opfer der Geschichte mächtiger und machtbesessener Männer.

Nachhaltig zerstört er die Vorstellung vom irgendwie ideologisch verlässlichen oder wenigstens glamourösen Agentendasein. Statt dessen präsentieren sich abgehalfterte Agenten, die offenbar zu sehr mit ihren persönlichen Kriegsspielen und dem eigenen Mythos beschäftigt waren, als dass sie ausgefeilte Pläne hätten entwickeln können. Klare Feindbilder hatten sie, und klare Zielsetzungen: Castro muss weg, Kennedy muss weg, deshalb klauen wir Waffen und schmieden Mordpläne. Doch die für Castro vorgesehenen Giftpillen landen im Bidet, Tabletten vereisen im Kühlschrank eines nachlässigen Barkeepers, und auch die Pillen, die dafür sorgen sollten, dass Castro die Barthaare ausfallen, haben ihre Wirkung bis heute nicht getan.

Ebenso wenig die Castro zugedachten explosiven Zigarren oder die mit Tuberkulose infizierten Taucheranzüge. Castro überlebte sämtliche Anschläge. Desgleichen Lorenz, die nach ihrer den CIA-schwer belastenden Aussage im Kennedy-Prozess ebenfalls mehr als einmal beseitigt werden sollte. Nun wolle sie zurück nach Deutschland, zurück nach Bremen, erklärt sie im Anschluss an den Film. Vielleicht ein kubanisches Restaurant am Hafen eröffnen, sich ein Bauernhaus mit einer Kuh kaufen. »Castro hatte auch eine«, sagt der Regisseur, »aber die ist schon tot.«

»Lieber Fidel - Maritas Geschichte«, D 2000. B/R: Wilfried Huismann. Start: 16. November