Warten in den USA

Die Erklärung für alles

Die Entscheidung über die Nachzählung der Stimmen in Florida ist endlich dort, wo sie angeblich weder George W. Bush noch Al Gore haben wollten: vor Gericht. Von zwei Prozessen hängt es ab, wer der nächste Präsident wird. Bush hat vor dem United States Supreme Court die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Florida angefochten, Innenministerin Katherine Harris das Setzen von Fristen für die Nachzählung zu untersagen. Wenn das Gericht die Argumentation der Bush-Anwälte übernimmt, ist die Auszählung vorbei und Bush wird Präsident.

Der zweite Prozess ist noch nicht auf höchster Ebene angekommen, sondern liegt einem örtlichen Gericht in Florida vor. Hier geht es um die Details der Nachzählung. Al Gores Anwälte haben die Entscheidungen der Wahlkomitees in den Bezirken Palm Beach, Miami Dade und Nassau angefochten, die Nachzählungen abzubrechen und Ergebnisse zu verkünden, obwohl nicht alle Stimmzettel berücksichtigt wurden. Außerdem geht es um die Gültigkeit von Wahlkarten, die Spuren von Stanzversuchen zeigen, aber nicht völlig durchstochen sind. Es ist zu erwarten, dass auch dieser Prozess alle drei Instanzen durchläuft. Die Sache wird also noch vor dem Obersten Gerichtshof von Florida und vor dem United States Supreme Court verhandelt werden. Wenn Gore Präsident werden will, muss er beide Prozesse gewinnen und aus der vollständigen Nachzählung als Sieger hervorgehen. Klar ist nur, dass die rechtliche Lage völlig unklar ist - außer für die beiden Parteien und ihre Anhänger.

Vor dem obersten Gerichtshof in Washington finden Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern statt. Die Demonstranten sind nach eigenen Angaben nicht auf Parteikosten mit Bussen angekarrt worden. Einige Journalisten behaupten das Gegenteil, zumindest von den Bush-Anhängern. Ein Passant kommentierte die Demonstrationen gegenüber der Wochenzeitung The Nation: »Es ist verrückt. Hier schreit ein Teil der weißen Mittelklasse einen anderen Teil der weißen Mittelklasse an. Die Superreichen, die hinter beiden Parteien stehen, sind nicht hier.« Und auch kaum Schwarze oder Hispanics.

Auch für die Medien wird es langweilig. Den Journalisten gehen die Stories aus. Die Schwächen des Wahlsystems sind diskutiert, das Wahlmännerkollegium ist bereits hundertfach als Atavismus kritisiert, die Sache mit den Wahlkarten gibt auch nichts mehr her. Die Alternative: Selbstreferenzialität. Jeden Tag Medienkritik, bis wieder was passiert. Frank Rich, Kolumnist der New York Times, findet den treffenden Vergleich in dem Film »Und täglich grüßt das Murmeltier«. Wie in einer Zeitschleife diskreditieren sich die Kandidaten jeden Tag selbst aufs Neue, seit dem 7. November hat sich nichts geändert. Nur die eine klare Aussage, die die Wählerschaft am Wahltag gemacht habe, bestätige sich immer wieder: Weder Bush noch Gore sollte Präsident werden.

Die Internetzeitung ZNet hilft sich selbst mit dem Blick über die Grenzen und zitiert linke und liberale Journalisten aus dem Ausland. Eine in England lebende italienische Journalistin hat die Erklärung für alles: »Es ist offensichtlich, dass IBM und FBI das System unterwandert haben. Letztes Jahr hat mich IBM eingeladen, um die neue Technologie der ðelektronischen DemokratieÐ zu diskutieren. Ich war sehr interessiert und begeistert, hatte aber einen Zweifel: Man kann das Ergebnis einer Wahl mit einem einzigen Knopfdruck oder durch Änderung einer einzelnen Ziffer im Programm beeinflussen. Die Antwort war, dass die meisten hochrangigen Amtsträger nicht viel von Programmierung verstehen. Der kleine Computer-Freak in der Ecke des Raumes sah irgendwie sinister aus. Aber ich bin von Natur aus paranoid.« Offenbar konnten sich IBM und FBI noch nicht auf einen Kandidaten einigen.