UN-Truppen in Eritrea und Äthiopien

Kofi Annan rüstet auf

Nach zwei Jahren Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea überwachen UN-Peacekeeper einen Friedensprozess, der langwierig zu werden droht.

Der silberne Strich hinter den Bergen da hinten ist der Mereb-Fluss. Das ist die offizielle Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea«, sagt Ronny Persson, der schwedische Kommandeur des UN-Beobachterteams, das in der eritreischen Frontstadt Adi Quala untergebracht ist. Das Team ist Teil der friedenserhaltenden Truppe Unmee (United Nation Mission in Ethiopia and Eritrea). Seit dem 6. Mai 1998 haben die benachbarten Länder am Horn von Afrika einen blutigen Grenzkrieg geführt; erst im Juni dieses Jahres wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet. Bis dahin waren schätzungsweise 100000 Menschen auf dem Schlachtfeld getötet worden.

Die gegenwärtigen Regierungen in Äthiopien und Eritrea werden von ehemaligen Waffengefährten gestellt. Die nördliche Ethiopean Tigray Peoples Liberation Front (TPLF) und die Eritrean Peoples Liberation Front (EPLF) kämpften viele Jahre zusammen gegen den äthiopischen Diktator Mengistu Haile Mariam. Nachdem Mengistu 1991 nach Zimbabwe geflohen war, wurden die Rebellenbewegungen zu Hauptkräften in den politischen Parteien ihrer Länder. Nach einem Referendum im Jahr 1993 erklärte sich Eritrea für unabhängig.

Fast sieben Jahre ging alles gut - so gut, dass die Regierungen vergaßen, den Grenzverlauf festzulegen. Eritrea ging davon aus, dass seine Grenzen dort verliefen, wo eine Vereinbarung von 1902 zwischen der italienischen Kolonialmacht und dem damaligen abessinischen Kaiser Menelik sie gezogen hatte; aber 1997 erkannte Eritrea, dass Tigray dies anders sah. Während des Befreiungskrieges hatten die Rebellenbewegungen aus praktischen Gründen Teile des je anderen Territoriums kontrolliert. Nun forderte Äthiopien diese Gebiete. Die Resultate waren ein Übergriff der Tigray-Miliz, eine Überreaktion der eritreischen Armee und zwei Jahre Krieg.

Bei einer Offensive im Mai eroberte Äthiopien große Gebiete in Eritrea. Nach der Erfahrung dieser heftigen Angriffe entschloss sich Eritrea, zumindest das moralische Übergewicht zu erlangen, indem es das Leben seiner Soldaten und Zivilisten in den Vordergrund stellte. Zu dieser Zeit waren schätzungsweise 1,1 Millionen Eritreer, ein Drittel der Bevölkerung des Landes, auf der Flucht. Nach einem Appell der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) und der UN zog sich die eritreische Armee an der südlichen und westlichen Front zurück. Aber Äthiopien rückte weiter vor. An der zentralen Front nahe Adi Quala kam es wegen dieser Unverfrorenheit zu einer der schlimmsten Schlachten dieses Krieges. Am 18. Juni unterzeichneten beide Seiten schließlich einen Waffenstillstand.

Nun soll mit dem Einsatz einer 4 200 Mann starken multinationalen friedenserhaltenden Truppe ein 25 Kilometer breiter Landstreifen innerhalb von Eritrea demilitarisiert werden. Die Distanz ergibt sich aus der maximalen Reichweite der Artillerie. Nach dem Abzug der Soldaten will man mit der Minenräumung und mit der Demarkation der Grenze beginnen. Die Verhandlungen um ein endgültiges Friedensabkommen sollen währenddessen fortgesetzt werden.

Ein solches Abkommen liegt derzeit in weiter Ferne, kürzlich scheiterten Annäherungsgespräche in Algier. Nach intensiver Pendeldiplomatie des US-amerikanischen Sondergesandten Anthony Lake scheinen die Parteien jedoch bereit zu sein, auf neutralem Boden, etwa in Ägypten, weiter zu verhandeln.

Nach Angaben der UN ist Unmee die am schnellsten eingesetzte Friedensmission seit der Gründung der Organisation. Die ersten Beobachter des Waffenstillstands waren bereits vier Wochen nach der Vereinbarung vom 18. Juni zur Stelle, und das größte Kontingent der Peacekeeper kommt in diesen Tagen an. In Eritrea dominieren jedoch die Zweifel an der Unparteilichkeit der UN. 1952 war die Organisation verantwortlich für die Föderation mit Äthiopien. Im darauffolgenden 30jährigen Befreiungskrieg konnte die Nation am Roten Meer nicht auf UN-Unterstützung zählen, und nun herrscht in Eritrea das Gefühl vor, die UN stehe an der Seite Äthiopiens.

Dennoch war es Eritrea, das eine UN-Mission unter OAU-Auspizien anstatt einer rein afrikanischen Truppe gefordert hatte. Da die OAU ihr Hauptquartier in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba hat, wird diese Organisation für noch parteiischer gehalten als die UN. Hanna, eine Geschichtsstudentin aus Asmara, der Hauptstadt Eritreas, erwartet einen freundlichen Empfang der UN: »Mit einer Menge weißer westlicher Soldaten hier wird sich die Welt schließlich darum kümmern, was in Eritrea passiert. Plötzlich haben sie Interesse daran, den Krieg zu beenden.«

Aber die meisten Eritreer beziehen ihre Zweifel aus den bisherigen Erfahrungen mit den UN. »Die UN haben noch nirgends Frieden gebracht, warum sollten sie in Eritrea und Äthiopien Erfolg haben?« fragt Debrezion Yosief, ein 54jähriger Barmixer. »Natürlich hoffe ich das, aber ich kann nicht darauf vertrauen.«

In den westlichen Ländern, die an Unmee partizipieren - die Niederlande und Kanada werden die größten Kontingente stellen -, versuchen Regierungsvertreter, ihren Parlamenten die Mission mit dem Argument zu verkaufen, es handele sich um eine »klassische friedenserhaltende Mission«. Das ist ein Begriff, der vor Naivität strotzt. Unmee muss jedenfalls auf das Risiko neuer Feindseligkeiten gefasst sein.

Die Zusammensetzung der UN-Mission hat sich Generalsekretär Kofi Annan ausgedacht. Er sähe es gerne, wenn die Aufgabe der UN von »Friedenserhaltung« auf »Friedensschaffung« ausgedehnt würde. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht riet er, friedenserhaltende Truppen sollten vollständig bewaffnet sein. Unmee zählt nicht nur rund 250 unbewaffnete Beobachter, sondern auch drei bestens ausgerüstete Infanteriebataillone. Um Kalamitäten wie in Somalia, Ruanda oder bei der laufenden Mission in Sierra Leone zu vermeiden, sollten die Blauhelme nur unter der Bedingung eingesetzt werden, dass sie »auf alle möglichen Situationen, einschließlich der Teilnahme an Auseinandersetzungen, vorbereitet« sind.

Bislang loben die UN die Disziplin der feindlichen Armeen. Zeitweilig kann die Atmosphäre an der Front sehr gespannt sein, vor allem an den Frontabschnitten, wo die Feinde nur wenige hundert Meter voneinander entfernt in ihren Schützengräben liegen. Aber noch haben die UN-Militärbeobachter (UN Military Observers - Unmos) keine Verletzung des Waffenstillstandes bemerkt, wenngleich ihre Zahl natürlich beschränkt ist und sie nicht jederzeit überall sein können.

Die frühere Freundschaft zwischen beiden Ländern ist endgültig zerstört. Die Propagandamaschinen laufen seit dem Waffenstillstand weiter. Während Äthiopien - nicht unverdient - den militärischen Sieg beansprucht, reklamiert Eritrea - auch nicht unverdient - den moralischen Sieg. Oberst Frederick Hoogeland, Chef der Beobachter der Mission, stellt zu diesem Thema rechtsphilosophische Betrachtungen an: »Die Eritreer sind vollständig überzeugt, dass sie im Recht sind, und ich kann mir vorstellen, dass sie das tatsächlich sind. Aber sie sehen den Unterschied zwischen im Recht sein und Recht bekommen nicht.«

Obwohl der Krieg offiziell für beendet erklärt wurde, hat die Kampfbereitschaft auf beiden Seiten kaum gelitten. Der äthiopische Präsident Meles Zenawi hat seinen Truppen wiederholt erklärt, sie sollten für eine weitere Offensive bereit sein, und das eritreische Außenministerium behauptet regelmäßig, dass Äthiopien eine neue Runde des Kampfes vorbereitet. Während der Amtseinführung des neuen sudanesischen Präsidenten Abdulkarim Salat Hassan im August waren sowohl Zenawi als auch der eritreische Präsident Isaias Afeworki anwesend, aber sie ignorierten einander.

»Wenn er (Zenawi) nicht mit mir redet, warum sollte ich anfangen, mit ihm zu reden?« sagt Präsident Afeworki in einem Interview mit Jungle World im Denden Club nahe seinem Büro in Asmara. Hinter ihm scheint die Sonne auf ein großes Bild - drei Panzer sind darauf zu sehen. Die finsteren Augen eines Freiheitskämpfers mit Dreadlocks und Kalaschnikow schauen aus einem andern Bild. In der Vergangenheit war das Gebäude der Offiziersclub der Äthiopier, davor der Italiener. Nun hat die eritreische Regierung, die überwiegend aus ehemaligen Kämpfern besteht, den Club übernommen.

Im Gegensatz zur UN ist Afeworki vom Friedenswillen Äthiopiens nicht überzeugt. Nach 25 Jahren auf den eritreischen Schlachtfeldern und neun Jahren auf dem Präsidentensessel ist er immer noch Soldat und nicht Diplomat. »Ich glaube, was ich sehe. Und ich sehe, dass Äthiopien seit Beginn des Waffenstillstands die großen besetzten Teile Eritreas vermint. Sie haben neue Schützengräben gezogen und sammeln Soldaten und Waffen. Sagen Sie mir, ob ich auf der Basis dieser Fakten den friedlichen Absichten Äthiopiens trauen soll«, sagt er und lacht bitter.

Obwohl der Waffenstillstand zu halten scheint, kann der wirkliche Erfolg der Mission erst in einigen Jahren ermessen werden. Beide Parteien werden zunächst ihre Forderungen hinsichtlich des Grenzverlaufs aufstellen müssen; Äthiopien hat nie genau erklärt, wie die seinen aussehen. Erst danach kann die Demarkation beginnen. Aber auch nach einer offiziellen Grenzziehung können neue Streitigkeiten aufkommen, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Mission der UN-Truppe innerhalb des vorgesehenen einen Jahres erfüllt werden kann. Immerhin wurde eine erste Hürde genommen. Vergangene Woche hat die Unmee einen ersten Sicherheitskorridor zwischen den verfeindeten Nachbarstaaten eingerichtet.