Das Internationale Frauenkriegstribunal 2000 in Tokio

Lücken der Erinnerung

Das Internationale Frauenkriegstribunal 2000 in Tokio thematisiert ein vernachlässigtes Kapitel der japanischen Kolonial- und Kriegsgeschichte.

Ich musste mit dem Militär andauernd herumziehen - nach Changchun, Harbin / China und in andere Orte. Eines Tages fiel ich vor Erschöpfung um, weil ich zuvor mit 40 Soldaten schlafen musste.« Das Zitat vom August 1992 stammt von der Koreanerin Kim Dae-Il und zählt zu einer der ersten öffentlichen Aussagen über das Schicksal von mehr als 200 000 Frauen aus Korea und anderen ehemaligen japanischen Kolonien, die im Asien-Pazifik-Krieg (1937 - 1945) vom japanischen Militär zur Zwangsprostitution gezwungen wurden. Bis Anfang der neunziger Jahre war über die geschlechtsspezifische Dimension des Krieges praktisch nichts bekannt.

Den nun sich zu Wort meldenden Überlebenden der offiziell als »Troststationen« bezeichneten Militärbordelle ist es in Südkorea mittlerweile gelungen, dem Aspekt eine - wenn auch randständige - Präsenz in der gesellschaftlichen Diskussion zu verschaffen. Maßgeblichen Anteil daran hat das 1990 gegründete »Korean Council for the Women Drafted for Military Sexual Slavery by Japan«. Diese Nichtregierungsorganisation veranstaltet nicht nur seit 1992 zusammen mit den überlebenden Opfern jeden Mittwoch eine Demonstration vor der japanischen Botschaft in Seoul, sondern auch das vom 7. bis 11. Dezember 2000 in Tokio stattfindende Internationale Frauenkriegstribunal 2000.

In diesem symbolischen Gerichtsverfahren erheben BürgerInnenorganisationen aus den asiatischen Opferstaaten Nord- und Südkorea, Taiwan, China, Philippinen, Malaysia und Indonesien vier Forderungen an Japan. Erstens eine offizielle Entschuldigung Japans für die vom japanischen Militärregime systematisch erzwungene Prostitution. Verlangt wird zweitens die individuelle finanzielle Entschädigung der heute noch et-wa 300 lebenden betroffenen Frauen bzw. der hinterbliebenen Familienangehörigen sowie drittens um die strafrechtliche Verfolgung der Täter. Schließlich soll es auch um die überfällige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Gewalt gegen Frauen im Asien-Pazifik-Krieg gehen, verbunden mit einer entsprechenden Gedenkpolitik.

Eine in diese Richtung weisende staatliche Bildungspolitik in Japan gibt es nicht. Bis heute sucht man in den japanischen Schulbüchern nahezu vergeblich nach Hinweisen auf die Geschichte der Zwangsprostituierten. Diese finden lediglich als »Trostfrauen« und »Krankenschwestern« Erwähnung, Zwangsprostitution wird so - wie geschlechtsspezifische Kriegführungsstrategien generell - zu einem kleinen Detail am Rande des Krieges. Dagegen strahlt einem das blitzsaubere Profil des kaisertreuen japanischen Militärs aus der nationalen Geschichtsschreibung entgegen.

An diesem Bild ändert selbst das unter öffentlichem Druck erzwungene Eingeständnis der japanischen Regierung von 1993 nichts, dass an der Zwangsprostitution »Privatpersonen unter Einsatz von Beamten« beteiligt waren. Im Gegenteil: Ein Mitte der neunziger Jahre eingerichteter, auf Privatspenden basierender so genannter Wohltätigkeitsfonds sollte dazu dienen, dieses Kapitel der kolonialen Vergangenheit von einer öffentlich-staatlichen zu einer privaten Angelegenheit zu machen.

Im Hinblick auf das Internationale Frauenkriegstribunal 2000 finden auch in Deutschland mehrere Informationsveranstaltungen statt. Die Initiative geht von mehreren Frauen- und Frauen-Lesbengruppen aus, die dabei nicht nur das System der japanischen Zwangsprostitution während des Asien-Pazifik-Krieges im Auge haben. Der Blick ist auch auf Deutschland gerichtet. Zum einen soll an die immer noch unzureichende Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischer Gewalt im Zweiten Weltkrieg erinnert werden. Zum anderen soll die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe in der Asyl- und Flüchtlingsdebatte durchgesetzt werden.

Was die inhaltlichen Ziele des Tokioter Tribunals betrifft, sind sich wohl alle engagierten Gruppen und Einzelpersonen einig. Allerdings müssten zwei Aspekte unbedingt mitreflektiert werden. Zum einen wäre ein Schuldeingeständnis des japanischen Staates ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur gesellschaftlichen Rehabilitation der zwangsprostituierten Frauen. Der grundsätzliche Mangel an repräsentativer Macht der noch lebenden Zwangsprostituierten im gesellschaftlichen Diskurs ist dadurch aber nicht automatisch beseitigt. Nichts verdeutlicht das klarer als das Beispiel der koreanischen Stadt Pusan. Dort wurde vor einigen Jahren die Errichtung eines Denkmals für die zwangsprostituierten Frauen von BürgerInnen mit der Begründung verhindert, dass diese Frauen kein Vorbild für die koreanische Jugend sein könnten.

Zum andern sollten Appelle an die deutsche Regierung, die ebenso wie die japanische einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anvisiert, eine vorbildliche Lektion in Vergangenheitsbewältigung zu erteilen, Befremden auslösen. Die Fortsetzung deutscher Gedenkpolitik im japanischen Format würde allein den Zweck verfolgen, die nationale Souveränität Japans im Sinne einer hierzulande gut bekannten Schlussstrichmentalität wiederherzustellen. Helmut Kohls »geistig-moralische Wende«, sein Besuch der SS-Gräber auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg oder die aggressive Berufung auf Auschwitz beim Bombardement Jugoslawiens, um deutsche Kriegseinsätze zu legitimieren, sind nur einige der entsprechenden Wegmarken.