Udo Lindenbergs Abstieg in die Zivilgesellschaft

Nicht mehr ratlos

Der unaufhaltsame Abstieg des Udo Lindenberg vom Paniker zum Zivilgesellschaftshelden.

Heute macht er Werbung für Telekom und taz. Und kaum noch jemand erinnert sich, warum genau eigentlich Udo Lindenberg so prominent ist. Dabei tauchen seine ersten Alben - vor allem die 1973 erschienene »Alles klar auf der Andrea Doria« - noch regelmäßig in den Listen der »besten deutschen Platten« auf. Doch als guter Musiker ist Lindenberg kaum noch bekannt. Heutzutage gilt er nur als Inbegriff der Versoffenheit, als überalterter Partylöwe und unkonzentrierter Laberkopf. Ein gern gesehener, nützlicher Idiot für Sendungen wie »Explosiv«. Kamerafrauen, die seine Töchter sein könnten, halten erbarmungslos drauf, wenn er Unsinn redet, und Reporter, die noch kein Alter fühlen und zu fürchten haben, grinsen ihm überlegen entgegen.

Anfang der Siebziger war das ganz anders. Der 1946 geborene Lindenberg, der schon sehr jung als Drummer bei diversen Jazzrockgrößen angefangen hatte, ging mit eigenen Programmen und Bands auf Tour. Und plötzlich war Udo Lindenberg Sänger. Die jüngste Mojo-Club-Compilation präsentiert einen Song, den er mit seiner Band Free Orbit aufgenommen hat. In einem stolpernden und akzentbeladenen Englisch ist er als ambitionierter und vor allem guter Jazzsänger zu hören. Auch sein erstes Album nahm er auf Englisch auf.

Seinen Durchbruch schaffte er aber mit deutschsprachigen Songs. Das Andrea Doria-Album und das ein Jahr später erschienene »Ball Pompös« schrieben seinen Ruhm fest. Lindenberg gründete das Panikorchester und ging auf große Deutschlandtournee. Die Deutschen sahen zum ersten Mal einen deutschen Sänger, der eine grandiose Rockshow auf die Beine stellen konnte. Mit Tänzern, Freaks und Durchgeknallten brachte er »Chaos« in die Hallen der Provinz. Die Schnauzbärte tanzten, die Schlaghosen wackelten und Mädchen mit hennafarbenen Haaren schrieen.

Da Lindenbergs Mischung aus Chanson und Rock'n'Roll aufging, und »Udo« erst gar nicht versuchte, in Musik und Gestus die amerikanischen Rocker zu imitieren, wurde er ernst genommen. Dazu kamen die Texte: Man »liebte sich gigantisch«, sagte locker »ey«, »Penner«, »Fuzzi« und »Ultraidiot«, Lindenberg selbst nannte sich »Typ«, plädierte für aufmüpfige Frauen und freie Liebe und machte Witze über Hitler. Platten hießen »Dröhnland-Symphonie«, Singles »Rudi Ratlos« oder »Elli Pyrelli« und Textzeilen gingen so: »Bobo Ballermann spielte Rechtsaußen im Rambo-Zambo-Kickerverein«; das wurde durch den Refrain »ðHau reinÐ ist Tango - ðTu ihn reinÐ ist Cha-cha-cha« ergänzt, der teils von einem Männerchor und teils von einem Frauenchor gesungen wurde.

Zu seiner besten Zeit hatte Lindenberg in Deutschland einen ähnlichen Status wie Serge Gainsbourg in Frankreich. Die Schulbuchredaktionen nahmen seine Texte als originäre Statements der Jugend in die Gemeinschaftskunde- und Deutschlehrbücher auf. Lindenberg arbeitete mit Peter Zadek zusammen, drehte den Film »Panische Zeiten« und ließ sich kryptische Kurztexte von Heiner Müller auf die Plattencover schreiben.

Auch politisch wurde Lindenberg aktiv. Seine Texte waren für Zuhörer, die aus der Lehrlingsbewegung kamen, auf Studentendemos gingen und Kommunenträumen nachhingen, ideal. Und kurz nach dem Deutschen Herbst veröffentlichte er das Stück »Guten Tag, ich heiße Schmidt«, in dem der deutsche Mitläufer (»ein Wesen namens Schmidt«) kritisiert wurde. 1980 nahm er an einem der ersten »Rock gegen Rechts«-Konzerte teil und auch an der Aktion »Freiheit statt Strauß«.

Der bekennende Sozialdemokrat Lindenberg versuchte sich zudem an einer eigenen Form der Ost-West-Aussöhnung. Mit seinem Stück »Sonderzug nach Pankow«, das unter rebellischen Jugendlichen in der DDR zur Hymne wurde, gelang es ihm, im Palast der Republik aufzutreten. Er traf Erich Honecker und schenkte ihm eine Lederjacke. Auch bei den Weltfestspielen der Jugend in der Sowjetunion 1985 trat Lindenberg auf.

Doch mit diesem etwas naiven politischen Mittun-Wollen begann auch Lindenbergs Abstieg. Wenn es in Deutschland einen Star gibt, wird er vom Establishment vereinnahmt. Man lädt ihn zu Banketten, ehrt ihn nicht für seine Kunst, sondern für seine Popularität und vor allem: Man zwingt ihn dazu, sich zur Weltlage zu äußern. Permanent werden in Deutschland Stars zu politischen Ereignissen befragt, sollen sich zur Regierung, zu Problemen der Jugend oder zu Bürgerkriegen äußern. Lindenberg wurde die Rolle des unangepassten DDR-Kritikers zugewiesen.

Für die Mehrheit seiner Fans verlor er damit seine Glaubwürdigkeit. Zumal »Udo« nun zu einer Institution wurde, und sich auch so zu benehmen begann. Er feuerte das Panikorchester, er schmiss sich plötzlich an musikalische Moden ran und versuchte, als Punk seine Klientel zu bedienen. Doch das Publikum, das er so erreichen wollte, erkannte ihn als den Sozialarbeiter, den er im Namen der Unterhaltungsindustrie gab.

Die andere Leidenschaft, die er entdeckte, waren die alten deutschsprachigen Chansons der zwanziger und dreißiger Jahre - etwa auf seiner Platte »Hermine« von 1988, auf der nur Coverversionen waren. So sehr er damit auch Marlene Dietrich und Friedrich Holländer ins Recht setzte, auch die Nazi-Diva Zarah Leander wurde rehabilitiert und mit Brecht/Eissler in ein Boot gesetzt. Alles eins. So wurde Deutschland mit seiner Vergangenheit versöhnt.

Als die Mauer fiel, hatte Udo seine Aufgabe erfüllt. Jetzt konnte er endgültig als Narr vorgeführt werden. Bei der großen Staatsantifademo im vergangenen Monat stand er neben Johannes Rau und nuschelte, dass er »die Schnauze voll von der Nazikacke« habe. Doch dort war er nicht als Mensch der Gegenwart, sondern als Denkmal.

Von der CD »Der Exzessor«, die im Mai dieses Jahres erschien, hörte und las man kaum noch. Über TimeLife kann man neben Roger Whittakers größten Erfolgen nun auch eine Lindenberg-vier-CD-Box kaufen. Auf der findet man allerdings fast nur Songs aus den Siebzigern und kein einziges Stück aus den Neunzigern. Diese alten Sachen aber - und das gilt bis heute - sind richtig gut.

Free Orbit: »Never felt so free« (auf »Mojo Club Vol. 9«, Universal) Udo Lindenberg: »Ultimative Hits«. Zu bestellen über www.timelife.de