Was tun an Weihnachten?

Bleiben, wo man ist

Nichtwegfahrer ersparen sich eine Menge Stress.

Richtiger Weihnachsstress geht viel früher los, als allgemein vermutet wird. Mindestens einen Monat vorher muss man nämlich damit beginnen, das Fest vorzubereiten, wenn man nicht - wie in den Jahren zuvor - den 24. Dezember nur zu zweit oder zu dritt verbringen möchte.

Besonders wichtig ist es, rechtzeitig die traditionelle Umfrage durchzuführen: Wer bleibt diesmal aber wirklich in der Stadt? Besonders unter denjenigen, die sich in der Vergangenheit zwar gern an den Planungen für ein ausgiebiges Festmahl beteiligten, am 23. aber erklärten, sie hätten eine günstige Mitfahrgelegenheit gefunden und führen doch zur Familie.

Im Kreuzverhör ist solchen Personen dann kein Argument zu dumm, als dass es nicht zur Verschleierung des eigentlichen Grundes herangezogen würde: hoffnungslose Weihnachtssentimentalität verbunden mit Sehnsucht nach a) der Weihnachtsgans und b) Mama und Papa.

Die Eltern würden halt langsam alt, da müsse man sich einfach mehr um sie kümmern, heißt es beispielsweise Mitleid heischend. Dass sie auch dann alt sind, wenn gerade nicht Weihnachten ist, kümmert dagegen kaum, in der restlichen Zeit drückt man sich im Gegenteil sogar vor Anrufen nach Hause herum.

Auch die Begründung, dass man Weihnachten endlich einmal wieder den Rest der Familie treffen könne, ist ziemlich haltlos, denn niemandem, der einigermaßen klar im Kopf ist, kann die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Tante Klara und Onkel Wilmar wirklich Freude machen. Schließlich handelt es sich bei der Verwandtschaft durchweg um Menschen, von denen die Weihnachtsspießer sonst gerne Schauergeschichten erzählen und die sie eigentlich gern aus ihrem Leben streichen würden.

So verhält es sich auch mit den alten Freunden, die die Heimfahrer angeblich mal wieder besuchen wollen und die ein weiteres völlig unglaubwürdiges Motiv dafür sind, ausgerechnet zu Weihnachten in das langweilige Kaff zurückzukehren, von dem man sich vor vielen Jahren so erleichtert abgewandt hat. Nach jedem einzelnen Besuch hatten die Heimfahrer bisher entsetzt davon berichtet, wie dämlich die Zurückgelassenen inzwischen geworden seien, wie sie völlig stulle immer noch in derselben Kneipe herumsäßen und dabei dieselben alten Geschichten erzählten. Oder wie sie mittlerweile derart in Ehe und Kindererziehung aufgingen, dass man mit ihnen nur noch über Kita-Unterbringung und Hausbauprobleme reden könne.

Aber in diesem Jahr, so lautet das Standardversprechen der Mama-Söhnchen und -Töchterchen, werde wirklich alles ganz anders. Denn nach dem Fiasko beim letzten Mal sei man fest entschlossen, nie wieder zu Weihnachten nach Hause zu fahren. Denn da sei es, völlig unüblich, schon vor dem Dessert losgegangen: Pausenlos habe man sich rechtfertigen müssen, den großen Bruder als leuchtendes Vorbild hingestellt bekommen und sich dann auch noch die blöden Fragen von Tante Klara und Onkel Wilmar anhören müssen. Werde es nicht langsam Zeit, sich fortzupflanzen? An später zu denken und endlich einen festen Job mit Pensionsberechtigung anzunehmen? Einen Bausparvertrag abzuschließen?

Eine Stunde später sei der rituelle Weihnachtskrach in vollem Gange gewesen, wobei es keinerlei Fluchtmöglichkeiten gegeben habe. In der Ortskneipe waren alle bereits stinkend besoffen. Deswegen sei der Rückzug ins ehemalige Kinderzimmer erfolgt, wo man zur Zerstreuung mit den alten »Fünf Freunde«-Bänden vorlieb nehmen musste.

Deswegen sei es auch eine richtig tolle Idee, in diesem Jahr alles anders zu machen. Ein ausgiebiges Festessen nur unter Freunden sei genau das Richtige, daran werde man sich auf jeden Fall beteiligen.

Same procedure as every year. Stundenlang werden in der Folge Kochbücher gewälzt, Rezepte besprochen, Aufgaben verteilt, Einkäufe geplant und die richtigen Getränke diskutiert. Und dann, nur wenige Stunden, bevor es wirklich ernst wird und man sich im Supermarkt treffen wird, passiert das, was in jedem Jahr zu diesem Zeitpunkt passiert: Das Telefon klingelt. »Sorry, ich weiß, das ist jetzt echt Scheiße, aber ich fahre doch nach Hause.« Die Mitfahrgelegenheit sei so günstig, Mutter werde langsam alt, und außerdem freue man sich darauf, dass man endlich einmal die restliche Familie und all die alten Freunde wieder ...

Aber nun reicht es. Auf die Weihnachtsidioten wird keine Rücksicht mehr genommen. Falls sie jemals wirklich nicht nach Hause fahren sollten, können sie das Fest einsam vor dem Fernseher verbringen. Uns doch egal.