Restriktive deutsche Asylpolitik für Europa

Kompatibel abschieben

Die Bundesregierung instrumentalisiert die Debatten um die europäische Einigung für weitere Einschränkungen des deutschen Asylrechts.

Geht es um eine gemeinsame europäische Asylpolitik, sind sich die rot-grüne Bundesregierung und die Union einig. Schon seit Jahren scheitert jeder Versuch der EU-Kommission, in der Asylpolitik das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen einzuführen - zuerst an Kohl, dann an Schröder. Auch auf dem EU-Gipfel in Nizza beharrte die deutsche Regierung auf dem Konsensprinzip in Asyl- und Einwanderungsfragen und erreichte schließlich, dass sich die EU einstimmig auf ein Asylsystem einigen muss, bevor mehrheitlich über Einzelheiten entschieden werden kann. Damit wurde sie eine ihrer größten Sorgen los: das Vetorecht gegen eventuelle Liberalisierungen in der Migrationspolitik zu verlieren.

Andererseits muss die europäische Einigung immer wieder als Vorwand herhalten, um das bundesdeutsche Asylrecht weiter einzuschränken. Im Entstehungsprozess des berüchtigten Asylkompromisses vom 6. Dezember 1992 bemühte die damalige CDU-Regierung das Schengener Abkommen über den Abbau von Binnengrenzkontrollen und versuchte der SPD deutlich zu machen, dass eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl »europarechtlich unumgänglich« sei. Europafeindschaft mochten sich die SozialdemokratInnen keinesfalls vorwerfen lassen, auch wenn am Ende ein anderes Argument die SPD bewog, der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl am 26. Mai 1993 im Bundestag zur erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu verhelfen: die Notwendigkeit der Abschottung, um die vermeintlich durch Flüchtlinge bedrohte Innere Sicherheit zu retten.

Heute ist es die angestrebte gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik der Europäischen Union, die VertreterInnen der CDU und Teile der rot-grünen Bundesregierung als Begründung ihrer Pläne heranziehen, das Grundrecht auf Asyl endgültig abzuschaffen oder das Asylverfahren weiter einzuschränken. Denn im Oktober 1999 wurde auf dem EU-Sondergipfel im finnischen Tampere beschlossen, die Asyl- und Einwanderungspolitik bis 2004 zu vergemeinschaften und damit EU-weit zu vereinheitlichen. Das in Tampere anvisierte gemeinsame Asylsystem zwingt Deutschland nicht, das eigene Asylrecht weiter zu schleifen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Und genau deshalb beharrt die Bundesregierung darauf, dass eine zukünftige gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik der EU nicht gegen ihre Stimme beschlossen werden darf.

Rot-Grün befürchtet offenbar, dass die EU-Kommission eine liberalere Linie in der Asyl- und Einwanderungspolitik durchsetzen will als sie selbst. Bestes Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) um die Richtlinie zur Familienzusammenführung. Vor einem Jahr hatte die Kommission vorgeschlagen, dass »DrittausländerInnen« mehr Rechte erhalten, um Familienmitglieder nachzuholen. Ein entsprechender Entwurf sah unter anderem vor, dass Flüchtlinge bereits nach einem Jahr ihre Angehörigen einreisen lassen können, während in der Bundesrepublik eine Wartezeit von bis zu acht Jahren üblich ist. Zudem geht die Kommission von einem erweiterten Familienbegriff aus, der nicht, wie in der Bundesrepublik, nur EhepartnerInnen und minderjährige Kinder bis zum 16. Lebensjahr umfasst, sondern auch gleichgeschlechtliche und unverheiratete LebenspartnerInnen - sofern in den Herkunftsländern solche Partnerschaften anerkannt sind - sowie Kinder bis zum 18. Lebensjahr, Großeltern und Eltern. Schily blockierte die Regelung mit der Begründung, sie werde zu einem Freibrief für die massenhafte Einwanderung von Familienangehörigen.

Gleichzeitig wird in der bundesdeutschen Öffentlichkeit weiterhin hartnäckig die These vertreten, das deutsche Asylrecht gehöre zu den liberalsten der Welt und müsse wegen der europäischen Einigung eingeschränkt werden. Vor einigen Wochen sorgte der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit für Schlagzeilen, als er forderte, die Reste des deutschen Grundrechts auf Asyl durch eine institutionelle Garantie zu ersetzen und damit »europatauglich zu machen«. Tatsächlich würde das deutsche Asylrecht dadurch weder mehr noch weniger kompatibel zum europäischen Recht. Aber das Grundrecht auf Asyl verkäme zum Gnadenrecht des Staates.

Die Absicht der CSU allerdings, mit der institutionellen Garantie eine Beschneidung von Klagerechten der AsylbewerberInnen und Flüchtlinge zu erreichen, wird innerhalb der EU auf Widerstand stoßen. In einer »Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird« vom 22. November dieses Jahres führt die Kommission aus, dass sie in der zweiten Phase des asylpolitischen Vergemeinschaftungsprozesses auch auf einheitliche, politisch unabhängige Berufungsinstanzen drängen wird. Damit bliebe AsylbewerberInnen die Möglichkeit, gegen ablehnende Asylentscheidungen zu klagen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Umwandlung des Grundrechts auf Asyl in eine institutionelle Garantie - und damit in ein staatliches Gnadenrecht für Flüchtlinge - folgenlos bliebe. Denn AsylbewerberInnen könnten sich dann in der Bundesrepublik nicht mehr auf die Verfassung berufen, die bislang zumindest theoretisch die gerichtliche Überprüfung von Grundrechtseinschränkungen gewährleistet. Die Möglichkeit zu klagen wäre eingeschränkt, die letzte zuständige juristische Instanz hieße wahrscheinlich nicht mehr Bundesverfassungs-, sondern Bundesverwaltungsgericht. Und das hat sich erst im August dieses Jahres eine Rüge des Verfassungsgerichts eingehandelt.

Denn die Karlsruher RichterInnen entschieden, dass das Bundesverwaltungsgericht Asylanträge zu rigide abgelehnt hat. So wurden Anträge von Flüchtlingen aus Afghanistan regelmäßig negativ beschieden, weil das Verwaltungsgericht das Regime der Taliban nicht als offizielle Regierung anerkennt und somit politische Verfolgung als nicht gegeben beurteilt. Das Bundesverfassungsgericht hingegen sah durch diese juristische Interpretation afghanische Asylsuchende in ihren Grundrechten verletzt.

Das Grundrecht auf Asyl hat in der bundesdeutschen Öffentlichkeit einen hohen symbolischen Wert. Die Abschaffung dieses Grundrechts steht für restriktive AusländerInnenpolitik, die Flüchtlinge und AsylbewerberInnen einzig als Bedrohung für die Werte der bundesdeutschen Gesellschaft und vor allem für die »Innere Sicherheit« betrachtet. Diese Haltung allzu offen zur Schau zu stellen, schadet vor allem dem »Wirtschaftsstandort Deutschland«.

Wohl deshalb haben sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein Innenminister zum Grundrecht auf Asyl bekannt. Und auch Teile der CDU haben mittlerweile die Forderung, dieses Recht umzuwandeln, zurückgestellt und sie den CSU-Stammtischen überlassen. Vereint drohen sich SPD und Union jetzt auf das Asylverfahrensrecht zu stürzen, um die verbliebenen Rechte von Flüchtlingen weiter zu stutzen - und dies als europaweiten Standard zu propagieren.