Kolumbus' Urenkel kehren heim

Ahnenforschung

Der Seefahrer Christoph Kolumbus sollte nicht eine neue Welt entdecken, sondern die spanischen »Mauren-Vertreiber«, die finanziell klamm waren, mit fresh money versorgen. Die »Neue Welt« wurde zum Refugium für die New Economy von damals. Wer nach Amerika reiste, suchte einen Ausweg aus der Armut: Eifeler oder schwäbische Kuhhirten, italienische Landarbeiter ebenso wie andalusische Tagelöhner. Sie fanden im argentinischen Patagonien ein neue Lebensmöglichkeit, siedelten sich in Chile an, wurden Hacienderos in Brasilien oder Kaffeebauern in Guatemala. Politische Flüchtlinge aus Europa kamen in den folgenden Jahrhunderten dazu. Die Migranten kehrten der Alten Welt den Rücken, um in der Neuen Welt ihr Glück zu machen.

Die Zeiten haben sich längst geändert. Politische Instabilitäten, die Jahrzehnte der Diktatoren in Lateinamerika und jetzt die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die besonders jene Länder beuteln, die einst als Vorzeigeprojekte nachholender Akkumulation galten. Venezuela ist trotz der Erdölvorkommen verarmt, in Brasilien werden nur die Reichen reicher, und in Argentinien stöhnen die Menschen unter einer Arbeitslosenquote von rund 16 Prozent. Der US-Dollar hat faktisch den argentinischen Peso abgelöst, Ecuador hat ihn sogar als offizielle Währung eingeführt. Wer heute seine Familie ernähren will, muss mehrere Jobs gleichzeitig machen, um das geringe Einkommen aufzubessern, oder die Koffer packen, wie viele schon zuvor.

One-Way-Tickets nach Rom und Madrid sind derzeit begehrt. Viele Lateinamerikaner sehen es als einzige Chance, für ihren Lebensunterhalt dadurch zu sorgen, dass sie ins Land ihrer Vorfahren re-emigrieren. Arbeitserlaubnisse für Europa sind allerdings rar, und so berufen sich die Nachfahren italienischer und spanischer Auswanderer auf ihre europäische Herkunft und verlangen die einstmals verschmähten Ausweispapiere wieder zurück, auf die sie in Spanien sogar ein Recht haben. Für die roten Euro-Pappen stehen sich die Menschen in beinahe allen Hauptstädten des Kontinents die Beine in den Bauch.

Im Viertel La Recoleta von Buenos Aires bilden sich seit Monaten bereits in den frühen Morgenstunden lange Schlangen von Argentiniern, die einen spanischen Pass beantragen oder ihn endlich abholen wollen: täglich bis zu 1 000 Personen. Im November und Dezember hat der spanische Generalkonsul 1 718 Reisepässe überreicht, die Zahl der erteilten Visa hat sich um 77 Prozent auf knapp 2 000 in nur zwei Jahren erhöht. 30 Prozent der Argentinier würden lieber heute als morgen das Land der Hyperinflation Richtung Europa verlassen. »Es gibt keine Arbeit, und die Jugendlichen haben keine Zukunftsperspektive«, meint die 26jährige Andrea Ribas, die als Tochter spanischer Auswanderer sich jetzt wieder auf ihre hispanischen »Passwurzeln« besonnen hat.

In Argentinien gibt es derzeit rund 253 000 »Cuidadanos« mit spanischer Staatsbürgerschaft. Mitglieder des spanischen Konsulats in Buenos Aires schätzten, dass noch einmal die gleiche Anzahl von Argentinos Anspruch auf einen spanischen Ausweis hat, weil sie Kinder, Enkel oder Urenkel von SpanierInnen sind. Nicht nur am Rio de la Plata wird derzeit Ahnenforschung betrieben. Täglich drängen sich vor den Botschaften und Konsulaten in Mittel- und Südamerika sowie der Karibik die Menschen, um das Ausweispapier mit dem Wappen des Landes von Juan Carlos I. zu beantragen - in Abwandlung eines alten Sprichwortes: »Ein Ausweis für ein Königreich.«