Neues US-Kabinett

Rache der Konföderierten

Mit der Nominierung von John Ashcroft für den Posten des Attorney General bezahlt George W. Bush seine politischen Schulden bei den Ultrarechten. Zur Amtseinsetzung des Präsidenten formiert sich eine breite Protestbewegung.

Brian Becker, Co-Direktor des International Action Center (IAC) in New York, ist sich sicher: »Dies wird der mit Abstand größte Protest gegen die Inauguration eines Präsidenten seit 1973, als Richard Nixon zum zweiten Mal gewählt wurde.« Hält man sich an die Einschätzung der Polizei von Washington D.C., werden Beckers Erwartungen sogar noch übertroffen. Die Polizei rechnet damit, dass sich etwa eine Dreiviertelmillion Menschen am 20. Januar, wenn George W. Bush offiziell die Amtsgeschäfte von William Clinton übernimmt, in Washington D.C. einfinden wird. 1973 protestierten nach unterschiedlichen Angaben zwischen 25 000 und 100 000 Menschen gegen Richard Nixons Amtseinsetzung.

Das IAC hatte geplant, unabhängig davon, wer Präsident würde, gegen die Inauguration zu protestieren. Doch die Spezifika dieser Präsidentschaftswahl, insbesondere der Ausschluss vieler Schwarzer aus den Wahllokalen sowie die öffentliche Erregung über die Vorgänge in Florida und das Gebaren des US Supreme Court, stärkten die Protestbewegung. »Wir organisieren häufig Proteste«, sagte Becker in einem Interview mit der Washington Post vor drei Wochen. »Wir wissen, wann etwas Hand und Fuß hat und wann nicht. Dies hier hat Hand und Fuß.«

Das IAC ist bei weitem nicht die einzige Organisation, die zu den Protesten aufruft. Das Justice Action Movement (JAM) plant, ähnlich wie zu den Wahlparteitagen in Philadelphia und Los Angeles im vergangenen Jahr eine ganze Woche lang jeden Tag Veranstaltungen abzuhalten. Informationen über die Rechte von Demonstranten gehören ebenso zum Programm wie Diskussionsforen zu den politischen Themen Todesstrafe, Wahlrecht und staatlicher Rassismus. Zum Abschluss ist eine Versteigerung des Weißen Hauses am 20. Januar geplant. Eine Vorbereitungsgruppe hatte im Dezember bereits erfolglos versucht, das Weiße Haus für zehn Dollar an eine Gruppe Zimmerleute zu verkaufen, die damit beschäftigt war, Tribünen für eine Parade zu bauen. Zu den Demonstrationen am 20. Januar rufen auch viele Prominente wie Noam Chomsky und der demokratische Politiker und Bürgerrechtsaktivist Jesse Jackson auf.

George W. Bush gibt sich indessen alle Mühe, Gründe für weitere Proteste zu liefern. Einer heißt John Ashcroft und ist Bushs Kandidat für das Amt des Attorney General, das, an deutschen Standards gemessen, die Kompetenzen eines Justizministers mit denen eines Generalbundesanwaltes kombiniert. Ashcrofts Amtszeit als Senator für den Staat Missouri geht im Januar zu Ende. Er hatte gegen Randy Carnahan, die Witwe des während des Wahlkampfes verstorbenen Kandidaten der Demokratischen Partei, verloren. Bevor Ashcroft 1994 in den Kongress gewählt wurde, war er zweimal Gouverneur von Missouri, davor hatte er unterschiedliche Ämter bekleidet, unter anderem das des Attorney General von Missouri.

In seiner langen politischen Karriere hat sich Ashcroft als fundamentalistischer Christ und Reaktionär einen Namen gemacht. Er profilierte sich durch eine strikte Anti-Desegregationspolitik, d.h. gegen die Aufhebung der »Rassentrennung«, setzte die Abgabe staatlicher sozialer Aufgaben an die Kirchen durch, trat vehement gegen Abtreibung ein und sabotierte die Kandidatur von Ronnie White, einem afro-amerikanischen Staatsrichter von Missouri, für ein Bundesgericht mit der Begründung, White habe sich zu häufig gegen die Verhängung der Todesstrafe ausgesprochen. Harriet Woods, eine seiner Stellvertreterinnen als Gouverneur von Missouri, nannte Ashcroft öffentlich ein »Desaster für Frauen und Minderheiten«.

»Heftige Opposition gegen Abtreibung«, schreibt Bruce Shapiro in der jüngsten Ausgabe der linksliberalen Wochenzeitung The Nation, »ist längst nicht alles. Die Liste der Dinge, gegen die Ashcroft opponiert hat, liest sich wie ein Katalog des sozialen Fortschritts in Amerika: Empfängnisverhütung, Desegregation an Schulen, Sonnenenergie, staatliche Unterstützung für wirtschaftliche Unternehmen von Frauen und Minderheiten, Richtlinien für den Benzinverbrauch von Autos, Gesetze gegen die Diskriminierung von Homosexuellen am Arbeitsplatz, Reform der Parteienfinanzierung, Atomwaffenteststoppvertrag. Als Gouverneur hat er sogar den Verkauf von alkoholhaltigen Pralinen in Süßwarengeschäften verboten.« Die Tageszeitung St. Louis Post-Dispatch kommentiert lapidar: Ashcroft »hat seine Karriere auf seiner Gegnerschaft zur Desegregation von Schulen aufgebaut (...) und darauf, dass er Afro-Amerikaner von öffentlichen Ämtern fernhielt.«

Der Attorney General der USA hat weit gehende Kompetenzen, vor allem was Ermittlungen von Bundesbehörden bei Straftaten angeht. Außerdem ist er faktisch für die Gesetzesinitiativen der Regierung und die Ernennung von Bundesrichtern zuständig. Nach Auffassung von The Nation ist Ashcrofts Nominierung die Konzession Bushs an die extreme Rechte. Im Vorwahlkampf fiel im vergangenen Jahr die Entscheidung der Republikanischen Partei zwischen George W. Bush und John McCain, einem Senator aus Arizona, der sich für eine Reform des Parteienfinanzierungsgesetzes stark gemacht hatte, in South Carolina. Bush gelang es, die Unterstützung der extremen Rechten für sich zu gewinnen, trug so den Sieg in South Carolina davon und wurde als Präsidentschaftskandidat der Republikaner nominiert. Er gewann damals nicht nur die Unterstützung der extremen Rechten, sondern auch ihr Schweigen. Während des Wahlkampfes hielten sich die reaktionären Einpeitscher im Kongress merklich zurück. Nun bekommen sie ihre Belohnung.

Mit der Opposition gegen John Ashcrofts Kandidatur formiert sich die Opposition gegen die Regierung im Senat und im Repräsentantenhaus. Viele Parlamentarier meinen, dass Bush angesichts des Wahlausganges eine zentristische Regierungspolitik verfolgen sollte. Ashcroft kann beim besten Willen nicht als Verkörperung einer solchen Politik gelten.

Doch obschon die 100 Sitze im Senat jeweils zur Hälfte an Republikaner und Demokraten gehen, bedeutet das politisch nicht viel. Ein beträchtlicher Teil der Demokraten im Senat und im Repräsentantenhaus kommt aus den Staaten der ehemaligen Konföderation. Die Demokratische Partei stand im Sezessionskrieg auf der Seite der Südstaaten, und viele Southern Democrats könnten wegen ihrer traditionalistischen - d.h. stockreaktionären - Haltung nördlich der ehemaligen Frontlinie nicht einmal für die Republikaner antreten. In den achtziger Jahren war diese Strömung als Reagan Democrats bekannt; sie sorgte dafür, dass Reagans konservativer roll back ohne nennenswerte parlamentarische Opposition über die Bühne ging.

Liberale Demokraten wie der Abgeordnete Jesse Jackson Jr., Sohn des Bürgerrechtsaktivisten und prominentes Mitglied des Congressional Black Caucus, der Interessengruppe der schwarzen Kongressabgeordneten, befürchten, dass die Southern Democrats auch Bush eine Dominanz im Kongress garantieren werden. Zudem könnte der Anschein erweckt werden, dass Bushs Politik die Parteigrenzen überschreitet. Für die Linke wäre dies das worst case scenario. Eine Hoffnung hingegen ist, dass sich aus der außerparlamentarischen Opposition eine dauerhafte soziale Bewegung gegen Bushs »mitfühlenden Konservatismus« formiert.