Aktionstag am Otto-Suhr-Institut

Proteste ohne Aktive

Gefährliche Orte CXXII: Am Otto-Suhr-Institut wird über das Wesen von Politik gestritten und darüber, wie ein Studium aussehen soll. Nur die StudentInnen machen nicht mit.

Nur zum Scheinerwerb besuchen viele Studierende in Berlin Seminare und Vorlesungen. Und auch nur scheinbar beginnt nach mehr als dreißig Jahren in Berlin eine neue StudentInnenrevolte. Keimzelle des Widerstandes ist der Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität (FU). Initiiert von StudentInnen des Otto-Suhr-Institutes (Osi), soll es am Donnerstag kommender Woche einen »Aktionstag gegen geistigen Kahlschlag« geben. Mit allem, was dazu gehört: einem »Osi-Protestsong«, einer Party »bis Open End« und Arbeitsgruppen zu Studiengebühren, rot-grüner Bildungspolitik und zur wichtigen Frage »Warum Protest?«

Es ist bereits die zweite Welle des Protestes. Die erste begann pünktlich zum 80jährigen Jubiläum der Hochschule für Politik - wie das Osi zu Gründungszeiten hieß: Am 12. Dezember des letzten Jahres besetzten einige AktivistInnen beide Gebäude des Fachbereichs Politikwissenschaft.

Zünftig, mit einem Lautsprecherwagen und selbst bemalten Transparenten streikten etwa 300 Studierende einen Tag lang. Statt Vorlesungen über politische Soziologie, Globalisierung oder Europarecht gab es Arbeitsgruppen zu Themen wie Öffentlichkeitsarbeit, Studiengebühren, kritische Wissenschaft und interne Kommunikation. Damit auch der Rest der über 40 000 FU-StudentInnen die aufkeimende Revolte spüren und sich ihr anschließen könne, drehte der Lautsprecherwagen umringt von 15 Streikenden und unter Beobachtung des studentischen Wachschutzes eine Runde auf dem Gelände. Dann verhinderten drei Polizisten in Zivil und fehlendes Benzin für das Stromaggregat die Fortsetzung des Protestzuges. Ein kurzer Warnstreik. Nach knapp 24 Stunden kam die Polizei, und die BesetzerInnen gingen.

Grund für diesen nicht eben mitreißenden Protestversuch ist ein Richtungsstreit am Fachbereich Politik. Schon lange schwelt er, aber erst im November kam er zum Ausbruch. Während vor allem die alteingesessenen Dozenten und ein Großteil der Studierenden die Politikwissenschaft als Integrationswissenschaft mit grundsätzlich kritischem Charakter erhalten und ausbauen wollen, favorisiert der andere Teil einen zeitlich, personell und inhaltlich gestrafften, leistungsorientierten Studiengang - zwei verschiedene Zukunftskonzepte, festgehalten in zwei Konzeptpapieren zur Umstrukturierung des Institutes.

Schon im vergangenen Mai hatte der Berliner Wissenschaftsrat in einem Gutachten eine Rationalisierung aller Studiengänge sowie die Schließung einiger Institute vorgeschlagen. Für das Osi sollten zehn bis zwölf Professuren ausreichen. Derzeit hat der Fachbereich 26 Professuren, vor zehn Jahren waren es noch 44. Damals lernten 6 000 StudentInnen am Institut, heute sind es 3 800. Damit ist das Osi noch immer das größte politikwissenschaftliche Institut in der Bundesrepublik. Etwa ein Drittel der deutschen DiplompolitologInnen wird hier ausgebildet.

Als Reaktion auf das Gutachten bildete sich eine institutsinterne Strukturkommission aus VertreterInnen der Studis, der wissenschaftlichen Mitarbeiter und der Professoren. Kurz bevor sie dem Präsidialamt nach dreimonatiger Diskussion ihren von den StudentInnen als »Minimalkonsens« bezeichneten Strukturvorschlag vorlegen wollte, tauchte plötzlich ein zweites Papier auf. Institutsdirektor Eberhard Sandschneider hatte gemeinsam mit einigen Dozenten einen eigenen Vorschlag ausgearbeitet.

Diesem so genannten »Professorenpapier« zufolge soll der Studiengang sich künftig vor allem auf drei Themengebiete konzentrieren: Systemlehre, internationale Beziehungen und politische Theorie. Die Studienzeit soll verkürzt, Anzahl und Umfang der Leistungsnachweise sollen dagegen erhöht werden. »Regierungslehre« nennen das empört die StudentInnen, die kritische Lehre solle einer Staatswissenschaft weichen. Unterstützung erhalten sie von einigen Lehrenden. Das Professorenpapier wolle »eine Verengung des Studiums auf den institutionellen Blick«, meint beispielsweise der Dozent Peter Grottian. Er ist Mitverfasser des so genannten Kommissionspapiers.

Darin wird der Rationalisierung des Fachbereichs der Erhalt des integrationswissenschaftlichen Ansatzes und der Ausbau interdisziplinärer Elemente entgegengesetzt. Das Studium der Politik müsse deren Breite und Relevanz als Gesellschaftswissenschaft widerspiegeln. Dazu gehörten eben auch Bereiche wie Geschichte, Recht und Ökonomie. Vor allem feministische Theorien und Genderpolitics sollten gestärkt werden.

Doch so fundamental die Angriffe auf die letzten Errungenschaften der Studentenbewegung von 1968 auch sein mögen, der Protest bleibt verhalten. Die AktivistInnen wirken eher verunsichert als entschlossen. Zwar zehrt das Osi hin und wieder noch von seinem in den heißen Tagen der Studentenrevolte erkämpften Ruf, gerecht wird es ihm nicht mehr. So liest sich der Forderungskatalog der studentischen Vollversammlung eher wie eine kritische Fußnote. Der Diplomstudiengang soll erhalten bleiben, ebenso wie das Tutorienmodell und der integrationswissenschaftliche Ansatz. Studiengebühren soll es nicht geben und auch keinen Numerus Clausus. Das Professorenpapier soll zurückgezogen werden, und die StudentInnen sollen mehr Sit-ze im Entscheidungsgremium erhalten.

Ein ursprünglich vorgesehener Absatz gegen die Einführung der internationalen Standards angepassten Studienabschlüsse Bachelor und Masters wurde allerdings wieder gestrichen. Denn auf der Vollversammlung wusste niemand genau, wie diese neuen Abschlüsse sich auf die Studienbedingungen auswirken würden. Dennoch erreichte das Studirevöltchen etwas: Das Präsidialamt verschob wegen des Protests die für Dezember geplante Entscheidung auf den 25. Januar. Eine Schlichtungskommission soll dann einen Kompromissvorschlag vorlegen.

Ein erfolgreicher Protest, obwohl sich kaum jemand daran beteiligt? Beim letzten Streik im Winter 1997/98 war noch mehr als eine halbe Million Studierender an 143 Hochschulen mit von der Partie. Erreicht wurde damals nicht viel. Heute scheinen sich selbst PolitikstudentInnen nicht mehr für Politik zu interessieren. Und das, obwohl seit dem Frühjahr 2000 das Pressearchiv des Osi dicht ist, ein Einstellungsstopp für studentische Hilfskräfte besteht, es seit letztem Jahr nicht einmal mehr ein Vorlesungsverzeichnis gibt und die Seminare überfüllt sind. An den Berliner Hochschulen wurde nach einer Schätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft seit 1992 fast eine Milliarde Mark eingespart, 32 000 Studienplätze wurden abgeschafft.

Die StudentInnenrevolte gegen diese Entwicklung ist nicht mehr als ein Gespenst. Es ist eine neue Form der Protestbewegung, eine Bewegung fast ohne Studis. Die Anzahl der Prominenten ist im Verhältnis zur Anzahl der AktivistInnen außerordentlich groß. ProfessorInnen aus den USA, Großbritannien und der Schweiz, Oskar Lafontaine, Lothar Bisky sowie der IG Medien-Chef Detlef Hensche haben die Protestresolution unterzeichnet.