Gesammelte Schriften von Robert Smithson

Abstrakte Erde

Die geologische Rhetorik des Robert Smithson.

Der 1973 im Alter von 35 Jahren tödlich verunglückte Robert Smithson gilt als Pionier der Earth Art. Seine gerade auf Deutsch erschienenen Schriften weisen ihn als einen Künstler aus, für den Sprache mehr als bloß kritischer oder programmatischer Rand, vielmehr konstitutiver Bestandteil der Kunst ist. Sie dokumentieren nicht nur die äußeren Bedingungen, unter denen diese Kunst entsteht, sie erneuern auch die Provokation, auf diese Bedingungen einzuwirken.

Bis 1960 sind es vereinzelte, wenn auch einflussreiche Strategien - Duchamp, Dada, Ad Reinhardt -, die einen ähnlichen Einsatz von Sprache in der Kunst propagieren. Nach 1960, mit Fluxus und Konzeptualismus, erhält er neue Dimensionen. Zu Fluxus nimmt Smithson nicht Stellung, an den Sprachstücken der Concept Art stört ihn ihr Idealismus. Seine eigene Kunstauffassung hingegen besteht auf der Konfrontation von Geist und Materie. Sie verwirft die vollständige verstehende Durchdringung der Kunst. In seinem Aufsatz über die Sprache als »Museum in der Nachbarschaft der Kunst« bezeichnet er jene Künstlertexte, vermöge deren abgeschmackter Rhetorik sich die Kunst dem einfühlsamen Kennerblick zu entziehen sucht, als »Gehäuse« für die verborgenen Beweggründe der Künstler. Es ist ja davon auszugehen, dass diese Motive weit außerhalb des Bewusstseins der Künstler liegen. Smithson schiebt sie in seinen eigenen Texten bis in die Erdgeschichte hinaus. Die Erde und ihre Geschichte werden ihm dabei - wie die Sprache und ihr Bewusstsein - zu metaphorischen Ordnungen; sie schließen sich ab.

Das »Gehäuse« als Metapher und die Metapher als Gehäuse, diese Bewegung durchzieht seine Arbeit. Ihre am deutlichsten ausgeprägte Gestalt findet sie in der dialektischen Theorie von Ort und Nicht-Ort, auf die alle seine Erdarbeiten mehr oder weniger Bezug nehmen. Im engeren Sinne sind Nicht-Orte (Non-Sites) für Smithson gegen Ende der sechziger Jahre gewisse Setzungen innerhalb städtischer Ausstellungsräume. Sie stellen sich dar als Installationen von Behältern mit Erdmaterial, das wesentlich peripheren Orten (Sites) entnommen wurde, auf welche sich die Nicht-Orte wie »dreidimensionale Karten« perspektivisch beziehen: »Der Grund oder Boden des Ortes ist in dem Kunstwerk (Nicht-Ort) platziert, nicht das Kunstwerk auf dem Grund.«

Diese Projektion der Erdoberfläche in das Gehäuse der Stadt mit ihren Repräsentationsräumen führt zugleich erdgeschichtliche Dimensionen in das Gehäuse der Kulturgeschichte ein. Das künstlerische Geschehen fordert dazu auf, die urbanistische Ordnung der Produktionsverhältnisse in der mythischen Natur des Bodens zu spiegeln und umgekehrt. Ironisiert wird dieses metaphorische Verhältnis durch die Rohheit des Materials. Das, was zum Mythos oder zum Faktum naturalisiert wurde, kann als Fiktion, d.h. als Erkenntnismittel, wieder angeeignet werden.

Durch gemeinsame Ausstellungen ist Smithson mit den Protagonisten der in der ersten Hälfte der sechziger Jahre entstehenden Minimal Art verbunden. Er wendet sich wie seine Freunde Andre, Judd, LeWitt, Morris gegen den Anthropomorphismus der abstrakten Malerei der Fünfziger, das existenzielle Pathos des Abstrakten Expressionismus, die stille Größe der Nachmalerischen Abstraktion, zumindest in den nostalgischen Anwandlungen der letzteren. Seine Lektüre des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer bestärkt ihn in der Ansicht, dass »jede Kunst, die ihren Ursprung in einem Willen zum ðAusdruckÐ hat, (...) nicht abstrakt, sondern gegenständlich« sei. Sie verharrt in einem Raum, welcher der des menschlichen Körpers ist und mit dem Raum der Kunstgeschichte seit der Renaissance korrespondiert.

Im Zusammenhang mit den Kontroversen um die documenta 5 wird Smithson 1972 eine solche vergegenständlichte Abstraktion als Bedingung und Ausdruck der Trennung von Produktion und Arbeit erkennen; eine Abstraktion, die nur noch als »Superwährung für privilegierte Gruppen« zirkuliert und eine erfüllte Gegenwart setzt, für die es keinen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft mehr gibt. »In der Kunst wird das Geschehen stets zu Trägheit, doch diese Trägheit hat keinen Grund, auf dem sie zur Ruhe kommen kann, außer dem Bewusstsein, das ebenso leer ist wie die aktuelle Zeit.«

Auslöser für die Abkehr vom objektorientierten Minimalismus wird sein Engagement als künstlerischer Berater eines Architekturbüros bei der Ausgestaltung des geplanten Flughafens von Dallas/Fort Worth, Texas, für den er einen Objektentwurf erarbeitet. Der Ausgang des Kunstobjekts aus der Galerie und sein Einbau ins Gelände des Flughafens zur Markierung der Ortsspezifik - aviatische statt optische Perspektive - stößt zugleich eine neue Vermischung von Kunst und Schreiben an.

Mit einigen Kunstleuten (seiner Frau Nancy Holt, Andre, Morris, der Galeristin Virginia Dwan u.a.) macht sich Smithson zu Begehungen auf, zunächst der Gegend um New York, später durchstreifen sie Yucatan oder das Ruhrgebiet. In New Jersey, der Gegend am Passaic-Fluss, wo er geboren wurde, finden sie Orte, in denen Gelände und Zeit im leeren Bewusstsein implodieren: endlose Vororte, Müllplätze, verrottende Industrieanlagen, Ermüdungsgebiet der urbanen Expansionsbewegung.

Am Passaic lebte auch der alte Dichter William Carlos Williams, der bereits einige Dekaden zuvor im Bruch mit den in fragwürdigen politischen Haltungen versteinerten Modernisten (Pound, Eliot) sein poetisches Prinzip formuliert hatte, dass die Bewegung des Gedichts eine »Erscheinung eher physikalischer als literarischer Art« sei. Damit setzt er einen wichtigen Bezugspunkt für die Beatniks, mit denen ihn auch geographische Nachbarschaft verbindet. In Paterson, NJ, wuchs Allen Ginsberg auf, wie Kerouac und Selby ein Bekannter Smithsons. Smithson hat Williams in den fünfziger Jahren besucht. Lässt man sich auf die Fiktion eines daemon loci ein, so haust er sowohl in Williams' Ortsbeschreibung »Life Along the Passaic River« als auch in Smithsons Reisebericht »Fahrt zu den Monumenten von Passaic, New Jersey«.

Die Monumente, die Smithson hier anpreist, sind eine Rohrleitung, eine verrostete Pumpstation und ein Sandkasten. Der Passaic-Text Smithsons verstrickt die Kunstgeschichte mit der zeitlosen Leere des Orts in einer läppischen Epiphanie: »Hat Passaic Rom als Ewige Stadt abgelöst?« Smithsons poetisches Prinzip, demzufolge die Poesie ein »Produkt der Erschöpfung, nicht der Erschaffung« ist, stimuliert seinen Trip im Passaic-Gebiet. Das Ereignis der Reise erschöpft die bloß metaphorische und abstrakte Beziehung von Ort und Nicht-Ort (Rom oder Passaic). Im Reisebericht wird dieses Ereignis provisorisch kartiert. Ihre Neutralisierung in der Fiktion ersetzt so die monumentale Abstraktion.

Mit seinen Überlegungen zu einer künstlerisch beobachteten Rekultivierung industriell verbrauchter Landschaften scheint sich die Position Smithsons, der sich trotz gewisser theoretischer Affinitäten nie als Marxist verstanden hat, in den Siebzigern in Richtung eines ökologischen Reformismus zu verschieben; eine Haltung, die er noch einige Jahre zuvor durch seine erdgeschichtliche Katastrophentheorie kategorisch ausgeschlossen hatte. Es ist allerdings festzuhalten, dass für ihn Rekultivierung nicht Renaturalisierung, sondern künstlerische Denaturalisierung, nämlich der bereits wieder als Natur anerkannten Verfallsgebiete, bedeutet. Die weitere politische Verdeutlichung seiner geologischen Rhetorik wurde durch Smithsons allzu frühen Tod unglücklicherweise jäh abgebrochen.

Robert Smithson: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Eva Schmidt und Kai Vöckler. Aus dem Amerikanischen von Gaby Hartel und Christoph Hollender. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2000, 357 S., DM 78

Die Ausstellung »Robert Smithson: Filme, Texte, Zeichnungen« wird noch bis zum 25. Februar in der Kunsthalle Wien gezeigt.